Mithilfe einer Portion Zynismus ließe sich behaupten, „Der Tiger“ sei der Film zur Lage in Europa, wo seit drei Jahren wieder Panzer rollen. Der „Tiger“ war der Stolz der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, allen sowjetischen Panzern in puncto Feuerkraft und Schutzschilden überlegen. Ihm folgten der „Königstiger“ und der „Panther“, und als Deutschland 20 Jahre nach Kriegsende wieder begann, selbst Panzer zu bauen, setzte man mit dem „Leopard“ und dem „Puma“ die Raubkatzentradition ungebrochen fort.
Dennis Gansels „Tiger“ spielt im Herbst 1943, seit dem Stalingrad-Debakel befindet sich die Hitler-Armee auf dem Rückzug. Da bekommen Leutnant Gerkes (David Schütter) und seine vierköpfige Mannschaft (Laurence Rupp, Leonard Kunz, Sebastian Urzendowsky und Yoran Leicher) einen Geheimauftrag. Und rasseln los mit ihrem Tiger I, durch Panzersperren, Flüsse und sowjetische Linien, überstehen Explosionen, Sprengfallen und feindliche Attacken. Und die Kameradschaft ist rau, aber vorzüglich, ganz wie in den deutschen Landser-Filmen der 1950er-Jahre.
Das ist natürlich ungerecht, Regisseur Gansel ist Jahrgang 1973. Als Kind hat er in den Ferien den besten Freund seines Opas besucht, und der erzählte gerne aus dem Krieg, unter anderem, wie er als Kommandant eines Tiger-Panzers in Nordafrika Spiegeleier auf dessen Stahlmantel briet. Einmal, als die alten Kameraden bei einem Kegelabend sehr viel tranken, erzählten sie aber auch Geschichten aus dem Russlandfeldzug, was sie gesehen, getan und erlitten hatten, von Schuld und Trauma.
Gansel hat eine inoffizielle Faschismus-Trilogie gedreht: „Napola“ über die NS-Eliteschule, „Die Welle“ über ein Sozialexperiment, das zeigt, wie in einer Gesellschaft faschistoide Strukturen entstehen – und nun ist er im Herzen der Finsternis angekommen, dem deutschen Vernichtungsfeldzug im Osten. Gemessen an dessen zentraler Bedeutung für unsere Historie gibt es nicht viele deutsche Filme darüber, die bekanntesten sind Joseph Vilsmaiers „Stalingrad“ und Philipp Kadelbachs „Unsere Mütter, unsere Väter“. Das ist wenig verwunderlich, denn spätestens seit der Wehrmachtsausstellung lässt sich dieser Krieg nicht mehr für ein simples Action-Abenteuer gebrauchen.
Dennoch beginnt Gansel mit purer Action. Eine umkämpfte Brücke, am einen Ende die sowjetischen Angreifer, am anderen die deutschen Verteidiger, in der Mitte Gerkes’ Tiger-Tank, der noch ein paar feindliche Panzer erledigen will. Es ist vier Minuten vor Mitternacht, und um 0.00 Uhr werden die Deutschen die Brücke sprengen, um den Sowjet-Vormarsch aufzuhalten. Die Zeit wird knapp, aber schließlich gibt Gerkes den Umkehrbefehl. Der Film wechselt in die Vogelperspektive, ein Kampfflugzeug stürzt sich auf die Brücke, die schließlich mit infernalischem Getöse zusammenbricht. Saubere Spezialeffektarbeit, wie im gesamten Film, und Amazon hat richtig entschieden, „Der Tiger“ als erste seiner deutschen Produktionen vor dem Streaming-Start im Kino zu zeigen, leider nur auf CineStar-Leinwänden.
Das nächste, was wir sehen, ist Gerkes’ Tiger I, verschrammt und verbogen, aber von seiner Besatzung wieder einsatzfähig gemacht. Gerade rechtzeitig für den Geheimauftrag: hinter den feindlichen Linien einen wichtigen Offizier zu finden und in Sicherheit zu bringen. Und das ist der Moment, in dem sich „Der Tiger“ vom handelsüblichen Kriegsfilm verabschiedet – und von dem gewöhnlichen Antikriegsfilm auch.
Zunehmend gewinnt man den Eindruck, Gerkes’ Truppe sei in Dantes siebten Kreis der Hölle geraten, wohin die Seelen der Gewalttätigen verbannt sind. Auf der Suche nach Benzin kommen sie in ein ukrainisches Dorf, wo eine SS-Einheit gerade Frauen und Kinder in eine Kirche sperrt und diese anzündet, als Vergeltung für einen Partisanenanschlag. Gerkes und seine Männer – ein Lateinlehrer, ein Winzer, ein Lokführer, ein Bauernjunge – stehen da wie gelähmt im roten Höllenschein des Feuers und unternehmen nichts; Soldaten wie sie werden später auf Befehlsnotstand plädieren und ihren Enkeln von Spiegeleiern erzählen. Gansel findet einen Kniff, wie man ihn im Kriegsfilm bisher nicht gesehen hat, und in ihm kristallisieren sich Wahn und Verdrängung, Schuld und Gewissen, Reue und Strafe. Es ist ein verblüffender erzählerischer Coup, und die wenigsten Zuschauer sehen ihn kommen, obwohl Gansel vorher ein paar Indizien einstreut.
Der Abrundung halber sei erwähnt, dass die Firma Rheinmetall, deren Umsatz im militärischen Geschäft sich 2024 um 50 Prozent erhöhte, gerade den Kampfpanzer Panther KF51 entwickelt. Der ist „für eine dreiköpfige Besatzung ausgelegt“, heißt es in der Werbebroschüre. „Im Fahrgestell befinden sich zwei Bedienerplätze für die Besatzung, einer für den Fahrer und ein optionaler für den Kompaniechef oder einen Drohnenbediener.“ Für die Zukunft seien unbemannte Türme und ferngesteuerte Tanks geplant. Spätestens dann, wenn auch der Panzerkrieg wie ein Videospiel funktioniert, werden Filme wie der von Dennis Gansel anachronistisch sein.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke