Familie kann man sich nicht aussuchen, die hat man. Das galt ganz besonders für einen wie Christoph von Dohnányi. Das war der mit „onani“, im Gegensatz zu seinem zwei Jahre älteren Bruder Klaus, dem „ochnanni“ Gesprochenen. Der war unter anderem in den Siebzigern unter Willy Brandt kurz Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und von 1981 bis 88 Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg. Da ging die glänzende wie turbulente Zeit seines Bruders (von 1977 bis 84) als Intendant und Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper und Chefdirigent des Philharmonischen Staatsorchesters schon langsam zu Ende.
Das illustre Brüderpaar hatte freilich noch mehr zu bieten. Sie waren die Söhne des Juristen und in den letzten Kriegstagen hingerichteten Widerstandskämpfers Hans von Dohnányi und von Christine Bonhoeffer, der Schwester von Dietrich Bonhoeffer, der ebenfalls im Naziterror sterben musste. Das waren also prominenteste Namensträger des deutschen Bildungsbürgertums. Doch damit nicht genug: Christoph von Dohnányi, der am 8. September 1929 in Berlin geborene Hanseat mit der preußischen Disziplin, ungarisierte nicht von ungefähr seinen Nachnamen, als er schnell und erfolgreich als Dirigent im internationalen Musikgeschäft Erfolg verbuchen konnte. Schließlich war sein Großvater der bedeutende Pianist und Komponist Ernst (Ernő) von Dohnányi (1877-1960). Ihrer Verdienste in den Türkenkriegen wegen war die protestantische ungarische Familie Dohnányi bereits 1653 geadelt worden.
Christoph von Dohnányi war zudem mit der Schauspielerin Renate Zillessen, mit der er zwei Kinder hatte, einer ist der bekannte Schauspieler Justus von Dohnányi, verheiratet und danach mit der weltberühmten Sängerin – dem einstigen Kindersopranwunder – Anja Silja; mit der hatte er drei Kinder. Als dritte Gattin folgte seine einstige Assistentin Barbara Koller.
Auf die Frage, ob Dirigenten im Alter immer besser werden, hat er einst sehr pragmatisch geantwortet: „Nein, das ist eine Fama. Dirigieren ist eine physische Belastung. Aus geriatrischen Gründen würde ich das niemandem empfehlen.“ Christoph von Dohnányi selbst hat freilich, obwohl es mit dem Hören und auch dem Stehen immer schlechter wurde, bemerkenswert lange durchgehalten.
Doch als er spätestens nach einer „Salome“-Premiere an der Berliner Lindenoper im März 2018 bemerkte, dass es nicht mehr so recht funktionierte, da legte er die Leitung nieder. Und das bei einer Oper, für die er in der von ihm entfachten Mischung aus Sinn, Struktur und Sinnlichkeit einst berühmt war, erst mit der Silja, später in Salzburg und London mit Catherine Malfitano. Er wusste eben, wann es Zeit ist.
Genauso wie etwa die Wiener Philharmoniker, mit ihrem Glanz und Schmäh eigentlich das genaue charakterliche Gegenteil dieses Notenanalytikers, ihn genau deswegen gerne engagierten, über 100 Mal. Er war ein Lieblingsdirigent von Gerard Mortier, der bei ihm das Opernhandwerk gelernt hatte, aber auch ein Freund von Daniel Barenboim, der ihn später oft zu seiner Berliner Staatskapelle einlud. Zu Heimspielen, gewissermaßen.
Denn Christoph von Dohnányi hat eine distinguierte Weltkarriere gemacht, eine, die Oper und Konzert ausbalancierte, genauso wie Brahms und Strauss und Wagner und modernste Musik. Er brachte Werke von György Ligeti, Harrison Birtwistle oder John Adams zur Uraufführung, auch Hans Werner Henzes „Der junge Lord“ (1965) und „Die Bassariden“ (1966) sowie Friedrich Cerhas „Baal“ (1981).
Best Band in the Land
Von Dohnányi war Mitglied des Leipziger Thomanerchores, belegte aber bereits mit sechzehn Jahren Rechtswissenschaften in München, wo er dann Komposition, Klavier und Dirigieren studierte. Großvater Ernst gab dem Enkel den letzten Schliff in Florida, in Tanglewood wurde Leonard Bernstein zu einem prägenden Erlebnis. Dohnányi schlug amerikanische Angebote aus, wurde 1953 Assistent von Georg Solti an der Oper Frankfurt. Mit 27 Jahren startete er am Theater Lübeck als jüngster Generalmusikdirektor der Bundesrepublik. Von 1963 bis 66 folgte Kassel, 1964 bis 69 leitete er gleichzeitig das Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester.
Seit 1968 war er Generalmusikdirektor und seit 1972 zusätzlich Direktor der Oper Frankfurt, eine glanzvolle Zeit, in der dort jung und von ihrem Generalmusikdirektor gefördert, Agnes Baltsa, Ileana Cotrubaș, Éva Marton, Julia Varady oder Hildegard Behrens sangen und Gerard Mortier sich im Betriebsbüro erste Sporen verdiente. Anderseits strengte er aber auch eineb Urheberrechtsprozess gegen den Regisseur Peter Mussbach an, den er verlor, weil er nach der Premiere unrechtmäßig in dessen „Götterdämmerung“-Inszenierung eingegriffen hatte. Er selbst führte auch Regie, kämpfte schon damals mit einer bisweilen ignoranten Politik für die Kultur.
Dann folgte der Wechsel nach Hamburg, wo er gerne Schauspielregisseure und Bühnenbildner wie Luc Bondy, Achim Freyer, Jürgen Flimm und Herbert Wernicke zu durchaus kontroversen Premieren verführte. 1982 bis 2002 war er Music Director beim Cleveland Orchestra in Ohio, was seiner internationalen Karriere einen bedeutenden Schub gab. „Best Band in the Land“, titelt das Time Magazine 1993 zum 75-jährigen Bestehen des Orchesters.
Von 1997 bis 2008 war Christoph von Dohnányi außerdem Principal Conductor des Philharmonia Orchestra in London, von 1998 bis 2000 zusätzlich Chef des Orchestre de Paris. 2004 kehrte er nach Hamburg zurück und leitete bis 2010 als Chefdirigent das damalige NDR-Sinfonieorchester. Später sollte ihm dort sein einstiger Assistent Alan Gilbert folgen. Er gastierte zudem bei allen bedeutenden Klangkörpern weltweit, besonders gerne in den USA („Es ist sinnvoll, dass man woanders sich prüft und geprüft wird“), an den großen Opernhäusern und renommierten Festivals. Als Decca-Exklusivkünster spielte er viele heute noch gültige Platten von Beethoven bis Berg und Schönberg ein, musste aber auch hinnehmen, dass ihm, als Folge der CD-Absatzkrise, nach der „Walküre“ sein „Ring“-Projekt mit dem Cleveland Orchestra gekündigt wurde.
Über sich selbst hat er einmal gesagt: „Ich habe ein wenig den Ruf, arrogant zu sein. Das liegt vielleicht daran, dass ich vom Dirigenten eigentlich nicht viel halte. Otto Klemperer war mit 50 Jahren gigantisch, völlig verloren allerdings am Ende. Celibidache, noch kurz vor seinem Tode, war von irrsinniger Kraft und Persönlichkeit, obwohl er kaum noch stehen oder sitzen konnte. Aber die große Zeit der Dirigenten ist vorbei. Heute kommt es viel stärker auf Komponisten an. Die werden wirklich gebraucht.“ Aber auch er wurde gebraucht. Sehr lange. Und an wunderbaren Orten. Am 6. September ist Christoph von Dohnányi, der glänzende Perfektionist mit Gefühl, in München gestorben; zwei Tage vor seinem 96. Geburtstag.
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