Tolles Wording“: Unter dieser Überschrift hat die „Süddeutsche Zeitung“ jüngst den Imperialismus des Englischen und die Unterwerfung des Deutschen aufgespießt. Ein Hauptsünder sei Kanzler Friedrich Merz, der Englisch „zu einer vollwertigen Landessprache“ machen wolle. Die nationale Schicksalsfrage: „Wollen wir in einer zunehmend anglisierten Weise sprechen und dies als Deutsch begreifen?“ Antwort: „Je größer die Flut des Englischen“, desto drastischer die „Ebbe“ des Deutschen.
„Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein“, hieß es in dem patriotischen Lied der Kaiserzeit, „Die Wacht am Rhein“. Denn: Sprachlich hat die „Nation“ (lat.) endlose Attacken seit römischen Zeiten überlebt; wir reden/schreiben immer noch Deutsch, obwohl wir das „Alphabet“ (gr.-lat.) importiert haben. Dagegen machen Anglizismen einen Bruchteil im Vergleich zum Lateinischen aus. Deutsch ohne Latein ist nicht vorstellbar. Weiter mit „Archiv“, „Ampulle“, „Arena“, „Argument“. Das sind bloß ein paar A-Wörter; der Rest lässt sich nicht zählen. Unter der französischen Kulturhoheit ergoss sich eine Flut von Lehnwörtern über das Deutsche. Von A wie „Abonnement“, „Adresse“ oder „Atelier“ bis Z wie „Zigarette“. Die Anglos haben dagegen „angst“, „ersatz“, „doppelganger“, „weltschmerz“ bis „zeitgeist“ aus dem Deutschen übernommen.
Aneignung ist keine Schande, sondern Gewinn. Englisch ist das neue Latein mit simplerer (frz.) Syntax und Grammatik (gr.-lat.). Es hat keine Bandsätze und keine ausgefieselte Sprachlehre wie das Deutsche. Deshalb lässt es sich anfänglich leichter erlernen. Die meisten Wörter sind kürzer; so wird aus „Überzeugungsargument“ ein „selling point“ mit drei Silben. Englisch ist praktisch; das ist ein Grund für dessen Status (lat.) als Universalsprache. Und die „Eingeborenen“ unterwerfen sich nicht, sondern ergreifen selber ein Stück Herrschaft. Das „Handy“ kennen Anglos nicht, sondern nur das „mobile“.
Auf die Gipfel des Geistes. In der Gelehrtenrepublik war einst Deutsch „top“ – Spitze. In der Wissenschaft war es so bis Adolf H., als Deutsch die Verkehrssprache war. Jetzt müssen deutsche Forscher auf Englisch publizieren, um gelesen zu werden, auf Kongressen Englisch reden. Europäische Unis bieten immer mehr Kurse in Englisch an.
So viel zur Hochkultur. Doch ist der eigentliche Treiber die amerikanisch dominierte Popkultur rund um den Erdball. Wir hören, singen, tanzen, essen, gucken und kleiden uns amerikanisch, ohne es zu merken, weil derlei global abläuft – von Malibu über München bis Manila – und Shanghai.
Der Hellenismus regierte bloß von Makedonien bis zu den Seleukiden am Kaspischen Meer. Rom herrschte nur rings ums Mittelmeer – mit Ausläufern in Britannia, Gallia und Dacia (Rumänien). Das amerikanische Kulturimperium hat sich über die Welt verbreitet – kein Wunder, dass die Sprache nachzog. Diese globale Kultur, geschätzt oder gegeißelt, spricht amerikanisches Englisch – nicht mehr französisch wie die Oberschicht in Deutschland oder im Russland der Zaren. Die Kultur folgt dem Sternenbanner – oben mit Harvard und High Tech, unten mit Hollywood, McDonald’s und Rap.
Die Popkultur erklärt auch den Siegeszug der Bilder „Made in USA“. Woher haben wir „fist bumps“ (Fäuste freundschaftlich zusammenstoßen)? „High Fives“ (sich abklatschen)? Wieso hüpfen junge Mädchen auf und ab, um Begeisterung zu plakatieren? Die Gestik drang mit den Sitcoms (neudeutsch), Teenie-Serien (dito) und ungezählten amerikanischen Filmen in die deutsche Körpersprache ein. Der hochgehaltene rechte Daumen – „toll, gut so“ – wird rings um die Welt imitiert. Dito der ausgestreckte Mittelfinger. Also: Nicht das Sein, sondern das Bild bestimmt das Bewusstsein.
Worte ohne Pendant
„Okay“, so ist die Welt, wobei dieser universelle Zweisilber allenfalls mit „einverstanden“ übersetzt werden kann. Das ist ein weiterer Grund für den Triumph des Englischen: Vier Buchstaben sind schneller und knackiger. Über allem schwebt die Sprachentwicklung seit Anbeginn der Menschheit. Alle haben von allen gestohlen. Und wir schnappen uns Begriffe, die im Deutschen kein Pendant haben. Die „Wortliga“ liefert Vertrautes: Babysitter, Interview, Live, Comeback, Clown, Fan, Hobby, Party, Sex, Steak. „Cool“, eine Silbe, deckt ein ganzes Spektrum ab: „gelassen“, „selbstbewusst“ und „bewundernswert“.
Wie sagen wir „Jeans“ auf Deutsch? „Nietenhose aus robustem Baumwolltuch“? „Band“ ist ökonomischer als „Kapelle“. Wollen wir nicht lieber einen „snack“ statt eine „Zwischenmahlzeit“? „Hi“ ist lässiger als „Guten Tag“. „Actionfilm“ ist knapper als einer, wo der Inhalt mit Ballerei, Dynamit und Leichenbergen zu beschreiben wäre.
Der Hauptfaktor ist Amerika als weltumspannendes Quasi-Imperium. Rom besetzte und unterwarf. Die USA profitierten von „weicher Macht“ – jedenfalls bis Donald Trump. Die machte Amerika zum wirtschaftlich-kulturellen Taktgeber. Der muss nicht erobern wie Rom. Dass die Welt Englisch spricht, verdankt sie nicht der Gewalt, sondern der Nachahmung. Und weil die USA Maschine der Moderne sind, die in Europa schon nach dem Ersten Weltkrieg rotierte. Sie brachte Charleston und Swing, Hollywood und Massenkultur. Das Fließband (Fordismus) revolutionierte die Produktion und trieb den Massenkonsum.
Heute zwingt niemand die Deutschen, Englisch oder „Denglisch“ zu sprechen. Sie tun es, weil „Laptop“ besser ist als „tragbarer Rechner“. (Amerikaner nutzen auch „Shleptop“ aus dem Jiddischen.) Das „iPad“ ersetzt zu Recht die „handgehaltene elektronische Tafel“. So weit, so okay. Doch brauchen wir kein „Keyboard“, weil „Tastatur“ reicht. Schon gar nicht müssen wir „downloaden“, statt „runterladen“. Wozu „Content“ statt „Inhalt“? Dagegen sind „Fake“ und „Influencer“ schwer zu ersetzen, weil „gezielte Falschnachrichten“ holpert und „Influencer“ einen halben Satz im Deutschen erfordert. „Shitstorm“ ist nicht „Scheißsturm“, weil es nicht um die Wetterlage geht.
Blühender Unsinn
Aber warum „Slow Motion“, wenn „Zeitlupe“ ebenfalls nur drei Silben hat? Wieso redet die TV-Reklame geradezu zwanghaft Englisch? Hier blüht der Unsinn. Der „Viewer“, Zuschauer, versteht’s nicht. Ebenso wenig den Firmennamen „refurb“, einen Begriff, den es im korrekten Englisch nicht gibt. Was verkaufen die „hippen“ Anbieter? Generalüberholte Zweithand-Geräte. Eine deutsche Parfümeriekette riet einst der Kundschaft: „Come in and find out“ (was es gibt). Die verstand: „Kommt rein und findet wieder raus.“
Der Oberbajuware Markus Söder verkündet direkt aus dem Englischen: „Das ist fein mit mir.“ Am schlimmsten wird’s im Marketing-Sprech. Da wird „Bewährtes“ zu „Best Practice“, „Prognose“ zu „Forecast“, „Auftakt“ zu „Kick-off Meeting“, „Ablaufplan“ zu „Roadmap“, „Kompromiss“ zu „Trade-Off“, „Nach vorn blickend“ zu „Going Forward“. „Game Changer“ ist dagegen lässlich, weil „Was die Regeln ändert“ schlicht umständlicher ist. Und „Mainstream“ ist nicht „Hauptstrom“.
Warum fließt das Kauderwelsch? „Big Business“ wird immer dichter vernetzt, die hiesigen Führungskräfte werden aus amerikanischen Business Schools rekrutiert. Oder aus europäischen BWL-Schulen wie INSEAD in Paris und Bocconi in Mailand, die ebenfalls auf Englisch lehren. Und so reden die „Bosse“ auch daheim. Englisch beherrscht nun mal die Welt. Doch plaudert Bundeskanzler Friedrich Merz vor heimischen Gremien von „whatever it takes“ und „all-in“ wie am Pokertisch. Böse Geister lästern über „Bullshit“, was leider ebenfalls Englisch ist.
Wozu Anglizismen, solange die nicht treffender sind? Weil Englisch nicht nur die Weltsprache ist – und es im Deutschen kein passendes Wort für „Brainstorming“ gibt – etwa „Gehirnsturm“? Mehr noch: Englisch ist ein soziales Unterscheidungsmerkmal. Der Sprecher offenbart so Weltläufigkeit, angesagte Bildung und einen kulturellen Vorsprung, der ihn aus der Masse der Unbeleckten hervorhebt.
Ein Schurke, der sich Böses dabei denkt. Es lief so unter der Vorherrschaft des Lateinischen und Französischen. Für den Alten Fritz in Preußen waren seine französischen Schriften und Voltaire im Schloss die zweite Salbung. Dito bei den Zaren, um sich vom gemeinen Volk abzugrenzen. Wir oben, ihr unten. Im demokratischen Zeitalter machen es gewählte oder ernannte Größen ähnlich. Die kriegen zwar keine Krone, aber ein Statusabzeichen.
Das Problem: Verstehen uns eigentlich die Unbeleckten? Wie überzeugen wir sie, wenn wir von „Spin-off“ und „burden-sharing“ reden? Dies ist kein Plädoyer für Sprachchauvinismus; es bleibt bei der uralten Einsicht, wonach Importe die eigene Sprache befruchten und bereichern. Abschottung, wie nationalgesinnte Puristen wähnen, nährt nur den provinziellen Kleingeist. Dennoch: „Facility Management“, „Mindset“ oder „Slideshow“ sind unverständlich und wichtigtuerisch.
In diesem Sinne: „Let’s be hip and trendy, but not go all-in.“ Dieser Artikel ist übrigens nicht „gelayoutet“, sondern „umbrochen“ worden. Das ist nicht einwärts gekrümmter Nationalismus, sondern gutes Deutsch. „Bye“ ist kürzer, „Auf Wiedersehen!“, liebenswürdiger. Es kommt vom französischen „au revoir“ – noch so einem deutschen Beutegut.
Josef Joffe ist ein deutscher Publizist, der an amerikanischen „Top“-Universitäten unterrichtet hat. Er schätzt Deutsch wie Englisch gleichermaßen.
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