Beginnen wir mit etwas Bekanntem: Disneys „König der Löwen“. Als der Film von Regisseur Rob Minkoff vor 30 Jahren in die Kinos kam, war noch alles in Ordnung: Zeichentrickfilme wurden gezeichnet, und in Realfilmen traten reale Menschen auf. Dann kam „Toy Story“ mit seiner Computeranimation, und bald wurden die Stifte in den Studios weggepackt.
Rob Minkoff ist nun 63 und als Jury-Mitglied auf dem Filmfestival in Venedig. Nicht in der prestigeträchtigen Wettbewerbsjury, sondern bei dem wohl größten Wettbewerb für KI-Filme, den es bisher gibt. Minkoff erinnert sich an seine Zeit bei Disney. Er lernte dort das Zeichen von Hand auf Papier: „Wir haben frühe Computeranimationen gesehen und fanden sie alle schrecklich. Ein paar Jahre später kam ‚Toy Story‘ und revolutionierte das gesamte Geschäft.“
Heute gewinnt man den Eindruck, man befinde sich mitten in einem Tsunami der künstlichen Intelligenz, der sämtliche bisherigen Geschäftsmodelle hinwegblasen werde. „Moment, Moment“, sagt Minkoff. „Ja, die großen Technologiekonzerne entwickeln KI-Werkzeuge. Doch wo werden die beim Film angewendet? Eigentlich nur in der Welt der Independents und vor allem in der Werbung: Die braucht kurze Clips, fantasievollen Inhalt und das kostengünstig. Es ist alles eine Funktion der Wirtschaftlichkeit.“
Und was ist mit dem berühmten Kellner? Dem, der in einer Szene im Hintergrund umhergeistert und einmal für ein paar Sekunden den Hauptfiguren im Vordergrund zwei Gläser Bier auf den Tisch stellt? Auch um diesen fiktiven Kellner ging es beim Streik der Hollywood-Schauspieler, die erreichen wollten, dass er nicht einfach durch eine KI-Schimäre ersetzt werden kann. Und das in einem Tarifvertrag auch erreicht haben, der Kleindarsteller schützt.
„Im Übrigen“, sagt Minkoff, „wird es immer billiger sein, die Szene mit einem realen Darsteller zu filmen, als sie im Computer zu simulieren. Der Kellner ist also nicht in Gefahr.“ Auch eine Frage der Ökonomie.
Eine Sache der Technik ist es nicht mehr. Oder bald nicht mehr. Unter den Kurzfilmen im KI-Wettbewerb hat Minkoff Erstaunliches gesehen. „Love on First Sight“ (der Gewinner des Wettbewerbs) von dem Italiener Jacopo Reale zum Beispiel, in dem ein Junge und ein Mädchen sich verlieben. Um junge Darsteller zu einer derartigen Glaubwürdigkeit zu verhelfen, musste man bisher Hunderte von Kindern testen und dann wochenlang mit ihnen arbeiten. Reale erzählt, er habe der KI die Situation erklärt – präpubertäre Kinder, Feuer fangen beim ersten Treffen, unsichere Gefühle – und in wenigen Versuchen das Bild eines Jungen geliefert bekommen, der ganz seinen Vorstellungen entsprach und das Publikum in Venedig tatsächlich emotional ansprach. Produktionszeit: eine Woche.
Das Prahlen mit kurzen Produktionszeiten ist ein Fetisch der KI-Branche. Ein Regisseur namens Rokhi (ist Regisseur noch das richtige Wort?) zeigte in Venedig eine Art Anime, in der ein junger Mann durch eine japanische Großstadt läuft. Für den ersten Teil habe es sechs Monate und ein großes Team in Japan gebraucht, für den zweiten einen Monat Arbeit von ihm und seinem Bruder zu Hause, und für den dritten – schätzt er – würden die beiden ein bis zwei Wochen benötigen.
Welchem der zehn Finalisten in dem KI-Wettbewerb – veranstaltet von dem italienischen Software-Riesen Reply – man auch zuhört, von fast jedem hört man eine Art Entschuldigung. Der eingereichte Film sei vor einem halben oder dreiviertel Jahr entstanden, und seitdem hätten die Tools entscheidende Fortschritte gemacht, bei der Lippensynchronizität, bei der Darstellung schneller Bewegungen und so weiter und so fort. Und dann folgen die Namen der verwendeten Tools, von Luma über Runway bis zu Midjourney, so wie man früher mit Kennermiene die Namen des Kameramanns oder der Kostümdesignerin erwähnt hat.
„Mein Job als Regisseur ändert sich wenig“, sagt Minkoff. „Die Techniker oder zunehmend die KI bieten mir etwas an, und ich kann entscheiden, ob das meiner Vision entspricht oder nicht.“ Aber wird die „Vision“ nicht korrumpiert, wenn man mit mehrmaligem Knopfdrücken Dutzende von Varianten auf seinen Schirm rufen kann? „Es endet nie“, sagt der KI-Künstler Andres Aloi aus Argentinien. Was wird aus dem großen Zampano, der der Regisseur bisher war?
Ein paar der Regisseure im Wettbewerb geben an, sie hätten ganz konservativ zuerst ihre Geschichte aufgeschrieben, dann Storyboards erstellt und erst danach die KI eingeschaltet. Andere haben sich mehr oder minder von den Bildern lenken lassen, welche die KI auf die ursprüngliche Anfrage geliefert hatte.
Die Demokratisierung des Filmemachens, welche von der Videorevolution in den Siebzigerjahren erwartet wurde, aber nur begrenzt eintrat, ist nun für jeden halbwegs ambitionierten KI-Nutzer zum Greifen nahe. „Ich zeige Ihnen mal was“, sagt Rob Minkoff und zückt sein Handy. „Hier: ,Wes Andersons Star Wars‘!“ Und tatsächlich, auf Trailerlänge sieht man die Sternenkrieger in hellem Rot, tiefem Blau und erdigem Grün, den Lieblingsfarben des Regisseurs Wes Anderson. Die künstliche Intelligenz kennt sich offenbar in der Andersonschen Farbpalette aus, was ein netter Gag ist, aber nicht mehr.
Man kann sich auch eine anspruchsvollere Aufgabe stellen, wie der Berliner Mark Wachholz in „The Cinema that Never Was“ (der den zweiten Preis gewann). Er wollte Szenen aus Filmen generieren, die es nie gab, aber hätte geben können, und deshalb lautete seine Aufforderung an die KI: „1960er, sowjetisches Kino, Melodram, schwarz-weiß.“ Und in der Tat: Das Resultat sieht optisch so aus, wie man sich es vorstellt, weil man einen ähnlichen Film vielleicht einmal gesehen hat. „Bis vor zwei Jahren war ich Drehbuchautor“, sagt Wachholz. „Jetzt bin ich etwas Anderes“. Was dieses Andere ist, wie es sich nennt, wohin es führen könnte, dafür gibt es bisher weder eine Bezeichnung noch ein Ziel.
„KI wird sich als getrennte Industrie entwickeln, und sie wird disruptiv sein“, prophezeit Rob Minkoff. „Davon sind wir vielleicht noch fünf Jahre entfernt.“ Es werde Dinge geben, die nicht gehen: „Bei Computeranimation schalten wir unser kritisches Denken aus. Wir wissen, dass sie eine Illusion ist, wie die Tricks bei einem Zauberer auf der Bühne. Ich zweifle jedoch daran, dass selbst die detailgetreuste KI-Darstellung von Menschen von den Menschen im Publikum jemals akzeptiert werden wird.“ Es werde Dinge geben, die begrenzt gehen: „Wenn Bruce Willis’ Familie sein Gesicht wirklich lizenziert hätte, würde das Interesse daran für ein, zwei Filme reichen, jedoch nicht weiter.“
Aber wie wäre es damit: mit der Story von Frank Sinatra und seiner Beziehung zu John F. Kennedy? „Ich hatte das Skript in Händen, es las sich großartig. Daraus wurde dann ein Film, in dem Ray Liotta Frank Sinatra spielte. Der war nicht schlecht, aber letztlich kein Erfolg – denn die Zuschauer hatten immer die richtigen Gesichter vor Augen. Wenn man diesen Stoff in paar Jahren mit KI machen könnte …“
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