Es war der Beginn der Nullerjahre, genau genommen 2001, als die Serie „The Office“ eine eigene Form der Comedy begründete. Der britische Komiker Ricky Gervais erfand mit seiner Serie aus dem Alltag im Großraumbüro der Papier-Großhandelsfirma Wernham Hogg im tristen südenglischen Ort Slough die „Mockumentary“, die „mock documentary“, also die sich selbst ironisierende Dokuserie.
Innerhalb kürzester Zeit wurde die Serie über den Regionalmanager David Brent (gespielt von Gervais) und das Büroalltagsleben zwischen Kopierer und Teeküche ein Kult-Hit, die menschliche Komödie der Angestelltenwelt, passend zum Zeitgeist der Nullerjahre. Noch erfolgreicher wurde die amerikanische Version von „The Office“, die 2005 anlief: Hier spielte Steve Carell Michael Scott, den Regionalmanager des Papierunternehmens Dunder Mifflin in Pennsylvania. Bis heute dürfte es kaum eine Show geben, die so viele Memes und Gifs hervorgebracht hat wie „The Office“; Gervais und Carell brachten hier ihre Karrieren auf einen Höhepunkt.
Ein Spin-off ließ lange auf sich warten, aber jetzt ist es da: „The Paper“ erzählt vom Journalismus in Krisenzeiten und setzt da an, wo „The Office“ aufhört. Die Papierfirma Dunder Mifflin wurde an eine andere Papierfirma namens Enervate verkauft. In einer der vielen ziemlich hintergründigen Anspielungen der Serie auf den Niedergang des Printjournalismus gehören zu den Produkten von Enervate Toilettenpapier – und eine Zeitung.
Ned Sampson (herrlich unbeholfen gespielt von dem Iren Domnhall Gleeson), Held der Serie, wähnt sich in der guten alten Zeit des Journalismus, als man mit Nachrichten und klugen Kommentaren noch Geld verdienen konnte und die Mächtigen noch jeden Tag schlotterten, wenn sie die Morgenblätter aufschlugen, weil ihnen vielleicht ein Enthüllungsgenie auf die Schliche gekommen war.
Sensationsmüll aus dem Internet
Ort des Geschehens ist Toledo, im Bundesstaat Ohio. Ned Sampson wurde als Chefredakteur angeheuert, um den „Toledo Truth Teller“ wieder auf Vordermann zu bringen. Bei diesem Organ handelt es sich um ein lokales Käseblatt, das überhaupt nur noch deshalb existiert, weil dort kriminell unterbezahlte junge Leute Sensationsmüll aus dem Internet herunterladen und auf die Zeitungsseiten kippen, um so möglichst viele Clicks zu generieren. Wie Don Quijote, der einst Huren für vornehme Damen hielt, sieht New Sampson eine Redaktion vor sich, wo er es in Wahrheit doch mit einem Haufen von Trotteln, Tussis und Transusen zu tun hat.
Zu einem Don Quijote gehört ein treuer Sancho Pansa, der die Realität mit kaltem Blick sieht, um seinem Herrn und Meister dann mit einem tiefen Seufzer doch in die Schlacht zu folgen. In dieser Serie ist Sancho Pansa eine Frau: Mare Pritti (Chelsea Frei), die einzige Person außer dem Chefredakteur mit journalistischer Erfahrung, weil sie einst für die Armeezeitung „Stars and Stripes“ geschrieben hat. Wie ihr sprechender Name verrät („Mare Pritti“ heißt so viel wie „Mähre, hübsche“), ist diese Frau Sancho Pansa und Dulcinea in einem – mehr soll hier nicht gespoilert werden. Die Rosinante des Ned Sampson aber ist die klapprige Schreibmaschine, auf der er seine Artikel zusammenhackt, gerade so, als befänden wir uns in der märchenhaften Epoche, in der das Schreiben noch geholfen hat.
Man könnte einwenden, die Metaphern jener zwei Herren, die „The Paper“ ausgeheckt haben – Greg Daniels, der schon aus der britischen Serie „The Office“ den mindestens ebenso erfolgreichen amerikanischen Ableger „The Office“ machte und Michael Kofman, – seien mitunter ein bisschen zu drastisch geraten; zu sehr on the nose, wie man im amerikanischen Englisch sagt, also „auf die Zwölf“. Dass etwa die Firma, die die Zeitung herausgibt, eigentlich vom Verkauf von Klopapier lebt – eindeutig das einträglichere Geschäft –, ist ein deutlicher Hinweis auf den Wert des heutigen Journalismus.
„Wie jeden Tag Hausaufgaben“
Im Intro jeder Folge sehen wir, was mit Zeitungen so passiert: Fische werden darin eingewickelt, Hunde pinkeln darauf, und am Schluss der Eingangssequenz wird der Buchstabensalat in den Abfalleimer gewischt. Dass in der ersten Folge das Haus gleich neben der Zeitungsredaktion in Flammen steht, was aber keinem der anwesenden Journalisten auffällt, weil der Clickbait-Blödsinn ihre Aufmerksamkeit komplett in Beschlag genommen hat, ist ein weiteres drastisches Realsymbol.
Aber bitte, was heißt hier zu sehr on the nose! Unsere Zeiten haben verdient, dass die Satire ihnen kräftig auf die Nase schlägt; schließlich gibt es keine Übertreibung mehr, die nicht am nächsten Morgen gleich nach dem Frühstück von der Realität übertroffen würde.
Außerdem spritzt in „The Paper“ bei aller Schlägerei nie das Blut: Marv Pittman, der Superkapitalist, der die Zeitung finanziert, ist kein Schurke, sein einziger Charakterfehler besteht darin, dass er Bilanzen lesen kann. Gespielt wird er von dem alten Stand-up-Komödianten Allen Harvey, und in einer Sequenz beweist er die Geduld eines Engels, obwohl er in der Redaktion nach Strich und Faden verhöhnt wird. Nicht menschliche Bosheit ist hier die Gegnerin, sondern die Dummheit; und die führt immerhin zu herrlichen Dialogzeilen. Die Serie romantisiert das Nachrichtengeschäft nicht; aber sie hat bei aller beißenden Ironie Sympathien für die Branche in Not – ein Bestandteil des Erfolgsrezepts von „The Office“. Ned beschreibt das Redigieren einer Zeitung als „wie jeden Tag Hausaufgaben zu haben, bis die Zeitung scheitert und ich meinen Job verliere“. Er lächelt, als er das sagt.
„The Paper“, ab 5.9. bei Wow
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