Max Goldt ist wieder da! Nun gut, eigentlich war der Schriftsteller nie weg, sondern immer auf Lesereisen. Doch nun gibt es endlich wieder ein Buch mit neuen Texten von ihm, nach ganzen 13 Jahren. Hat sich das Warten gelohnt? Immerhin erfährt man in dem schlicht „Aber?“ betitelten Band, wie der 1958 in Göttingen geborene Stilist seine vielen Lesereisen bewältigt. Die Begegnung mit dem Publikum in freier Wildbahn, vor allem in der Provinz, braucht nämlich strenge Regeln und genaue Vorbereitung. Hilft nur nichts, wenn dem Stilisten ein paar impertinent zugekokste Exemplare auf die Pelle rücken.

Was dem lesenden Autor alles zugemutet wird! Autogrammgierige Zahnarztgattinnen oder ungewaschene Sammlertypen müssen bereits durch geschicktes Positionieren des Signiertisches verscheucht werden. Und dann kommt noch diese junge Dame, die eine Widmung für alle Männer will, die auf ihrem Klo verweilen – und der man, weil sie auf solche Zumutungen angesprochen eher pampig reagiert, schon mal ein freundliches „Gucken Sie nicht so feministisch!“ an den Kopf werfen darf. Das ist Goldts Humor, der einer Welt der Takt- und Schamlosigkeiten mit charmantem Snobismus antwortet.

Alles muss er sich nicht gefallen lassen, dafür ist Goldt zu lange im Geschäft. Vor über 40 Jahren erschien mit „Mein äußerst schwer erziehbarer schwuler Schwager aus der Schweiz“ sein erster Band mit Texten. Kurz zuvor stürmte er mit seiner Band Foyer des Arts bis in die ZDF-„Hitparade“, der Neue-Deutsche-Welle-Song „Wissenswertes über Erlangen“ war eine stilprägende Hommage an die bundesrepublikanische Provinz. Bekannt wurde Goldt ab 1989 durch seine Kolumnen für die „Titanic“, das Zentralorgan der Neuen Frankfurter Schule und Olymp der humoristischen Gesellschaftskritik.

Goldt zählt zu der Riege von Humoristen oder Satirikern, für die Kabarett ein Schimpfwort ist – und Schenkelklopferwitze ein Tabu. Stattdessen gilt es, mit feiner Klinge die Gedankenlosigkeiten und Dummheiten des öffentlichen Sprach- und damit Vernunftgebrauchs zu denunzieren. Es ist eine Außenseiterposition im Mainstream-Diskurs, wie sie Goldt in seinem älteren Text „Der Sprachkritiker als gesellschaftlicher Nichtsnutz und Kreuzritter der Zukunftsfähigkeit“ umrissen hat – und die er bis heute kultiviert. Als Kritiker macht man sich keine Freunde. Aber wer braucht schon Freunde?

Ob das von Goldt gepflegte Einzelgängertum nun mehr Pose oder notwendiger Schutz vor der Betriebsnudeligkeit ist (oder beides), lässt sich streiten. Zum Medienrummel hält Goldt jedenfalls seit langem Abstand, Interviews gibt er keine (und selbst das kürzlich im „Spiegel“ erschienene Porträt über Goldt fußt letztlich auf einem Nichtinterview mit viel Weißwein). Da überrascht es nicht, dass sich Goldt auch in „Aber?“ über die Presse echauffiert – und zwar völlig zu Recht. Oder soll man schweigen, wenn das ZDF aufs Dümmste und ohne Not bei Wikipedia abschreibt („Petra Gerster vs. David Bowie“)?

Meist kommt Goldt mit feindosierter Polemik aus, bei „Morrissey vs. ‚Der Spiegel‘“ gibt es davon aber eine Prise mehr. „Das Fürchterliche an dem Interview war die sprachliche Unbedarftheit der jungen Dame, die ohne Sinn und Verstand nach Los Angeles geschickt worden war, um dort ihr kichernd aufgeregtes Desinteresse an ihrem Interviewopfer zu demonstrieren.“ Und wer das bereits etwas altväterlich intoniert findet (so befand auch die Interviewerin selbst die Kritik als sexistisch), bekommt direkt noch Nachschlag. „Es scheint, als ob die derzeit am meisten wahrgenommene Variante oder vielleicht auch Schwundform des Feminismus“, so Goldt, „die Karrieren von extrovertierten und oft etwas ordinären, auf jeden Fall aber selbstgefälligen und stark zur wortreichen Aufgeregtheit neigenden jungen Frauen begünstigt, ­zumindest in den Medien.“

Man kann solche Urteile in der Sache richtig oder unachtsam gegenüber größeren Ungerechtigkeiten und somit den guten Geschmack verletzend finden. Nur: Goldt nimmt auf bestimmte Befindlichkeiten wenig Rücksicht. Muss er auch nicht. Kunst ist nicht Erziehung, wo jede Kinderzeichnung als „superschön“ durchgehen darf, auch wenn es dem Augenschein widerspricht. Goldt wäre in diesem Bild der fiese Onkel, der die pädagogische Blase durchs Realitätsprinzip zum Platzen bringt. Mögen muss man das nicht, unter Erwachsenen sollte das aber auch kein Grund zur Aufregung sein.

Überall Moscheen

Wer sucht, kann in „Aber?“ jedoch einige Sachen finden, die auf den ersten Blick wie ein Aufreger aussehen. „Die Homo-Ehe ist genauso nutzlos wie die Hetero-Ehe, und Frauenfußball so kläglich und trist wie Männerfußball, aber noch ein kleines bisschen langweiliger“, heißt es an einer Stelle. An einer anderen Stelle geht es um eine Zukunft, in der überall Moscheen stehen, die aber nicht mehr als Gebetshäuser genutzt werden, weil alle Moslems wie überhaupt alle Religiösen sanft entschlafen sind. Und auch in dem Streit, ob „Fotze“ ein Unterschichtswort ist oder man es gerade deswegen sagt, aus Solidarität mit den Marginalisierten nämlich, kann sich keine Seite auf Goldt verlassen. Bei ihm regiert statt bloßen Gerechtigkeitsreflexen ein humanistischer Ästhetizismus à la Oscar Wilde.

Ein Geheimnis lüftet Goldt auch noch: Was ist eigentlich genau 1991 auf der „Super-Laser-Abspritz-Show“-Tour mit dem „sonderbaren Kollegen, dem Polemiker, Rabauken und professionellen Aufbrauser“ Wiglaf Droste passiert, dass lange behauptet wurde, die beiden seien verfeindet? Es ging um einen „dummen Satz“: Eine Schlagerparodie von Droste verglich Goldt mit Kunstfurzerei (wird beklatscht, ist aber unter jeder Würde). Droste drohte, ihm eine reinhauen, er schlage aber keine Schwulen. Danach ging man getrennte Wege. Seine Version der Dinge hatte Goldt nach Drostes Tod 2019 bereits dem Droste-Biografen Christof Meueler geschildert. Der Text ist keine penible Richtigstellung, sondern ein einfühlsames Porträt, das mit einem überraschenden Geständnis endet.

Zwischen Einblicken in Lesereisen (mit und ohne Kollegen wie Droste) und mehr oder weniger dezenten Hinweisen darauf, wie es um das zeitgenössische Pressewesen, den Feminismus oder überhaupt ums von Phrasen zerfräste Sprachzentrum bestellt ist, finden sich in „Aber?“ wunderbar stilisierte Szenen aus dem Alltag. Doch, Vorsicht! Man spreche nur nicht vom „alltäglichen Wahnsinn“, von den „Banalitäten des Alltags“ oder, schlimmer noch, den „Absurditäten“ desselben, das steht nämlich auf der Liste der von Goldt für immer geächteten Hohlfloskeln ganz oben. Vor Worthülsen wird gewarnt.

In „Aber?“ ist alles Goldt, was glänzt: Sprache und Urteil sind wie immer geschliffen, manchmal so glatt, dass es fast etwas selbstverliebt wirkt. Doch genau dafür wird Max Goldt geliebt und verehrt. Und manchmal vielleicht auch ein kleines bisschen gehasst.

Max Goldt: Aber? Dtv, 160 Seiten, 24 Euro

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