Selbst am Steuer kann man sich Andy Warhol nicht vorstellen. Er soll auch nicht einmal eine Fahrerlaubnis besessen haben. Aber mit Autos konnte er schon etwas anfangen. Einmal legte Warhol sogar persönlich Hand an, tunkte den Langhaarpinsel in den Farbeimer und lackierte ein Automobil.
Der Erfinder der Pop-Art und der „Factory“ stand eigentlich für eine serielle Kunst, deren Ausführung der Künstler als Ideengeber auch namenlosen Handlangern überlassen kann. Im Auftrag von BMW hat ihn wohl auch das Paradox gereizt, ein industrielles Serienmodell zu einem Unikat zu machen.
Auf einem leicht unscharfen Dokumentarfoto sehen wir Warhol, wie er im Jahr 1979 vor einem Gruppe 4 BMW M1 in einer Werkstatt der Bayerischen Motorenwerke in Dachau niederkniet und den Sportwagen in gerade einmal 28 Minuten in ein „Art Car“ verwandelt. Er pinselt Zweikomponenten-Decklack in den Farben Gelb, Grün, Hell- und Mittelblau und Feuerrot auf die aggressive Frontschürze, die breiten Kotflügel und die Klappscheinwerfer.
Weiter geht es über die Motorhaube, das fliehende Dach und den überdimensionierten Heckspoiler bis hin zu der im Vergleich zu heutigen Modellen fast zierlich wirkenden „Niere“ des Kühlergrills. Man erkennt dicke Pinselspuren und Farbnasen, Spritzer und Fingerabdrücke im Lack. Andy Warhol kokettierte nach getaner Arbeit: Leider sei das Kunstwerk nicht ganz so gut gelungen wie das Auto selbst.
Vom Supersportwagen M1 wurden zwischen Herbst 1978 und Ende des Jahres 1981 nur 460 Exemplare gebaut. Die Version, die Warhol gestalten durfte, war für die legendären „24 Stunden von Le Mans“ aufgemotzt worden. Ausgestattet mit einem Sechszylinder-Reihenmotor mit je vier Ventilen brachte die Rennversion 470 Pferdestärken und eine Höchstgeschwindigkeit von 310 Stundenkilometern auf den Asphalt.
Beim Rennen vom 9. bis 10. Juni 1979 startete das Art Car mit der Startnummer 76. Von den Fahrern Manfred Winkelhock, Marcel Mignot und Hervé Poulain wurde es nach 284 Runden und einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 161 km/h auf Rang sechs gesteuert. Den drei Porsches 953 auf den ersten Plätzen war in jenem Jahr allerdings kein Konkurrent gewachsen.
Vielleicht lag es ja doch am durch Warhols dick aufgetragenes Action-Painting minimal verschlechterten cw-Wert? „Ich habe versucht, Geschwindigkeit anschaulich darzustellen“, erklärte der New Yorker Künstler sein abstrakt-expressionistisches Design. „Wenn ein Auto wirklich schnell ist, verschwimmen alle Konturen und Farben.“
Die ineinanderfließenden Farbflächen stünden in krassem Gegensatz zu den technoid-präzisen Verzierungen eines Rennwagens und seien „Vorläufer der ‚Bad-Painting‘-Bewegung“, interpretierte es Hervé Poulain – und befand: „Das Auto war seiner Zeit voraus – das ist schließlich das Wichtigste in einem Wettbewerb, sei es auf der Rennstrecke oder in der Kunstwelt.“
Poulain gehört zu den wenigen Menschen, die sich in beiden Welten bestens auskennen. Der studierte Jurist begann seine Karriere als Kunstauktionator bei dem Pariser Traditionsversteigerer Drouot. Mitte der 1970er-Jahre spezialisierte er sich auf Oldtimer-Auktionen. Nebenbei fuhr er Autorallyes wie zehnmal das 24-Stunden-Rennen von Le Mans – und erfand die „BMW Art Cars“, die in diesem Jahr ihren 50. Geburtstag feiern.
BMW Art Cars: Heiß beschleunigen oder kühl parken
1975 war es Alexander Calder, der auf Anregung von Poulain und mit Unterstützung des damaligen Direktors der Motorsportabteilung von BMW, Jochen Neerpasch, den ersten künstlerisch veredelten Rennwagen schuf. Als Bildhauer von sich im Wind wiegenden Mobiles sei Calder prädestiniert gewesen, die „Skulptur in Bewegung“ zu erschaffen, erzählt Poulain in einem anlässlich des Jubiläums neu aufgelegten Buch, das alle – mittlerweile sind es zwanzig – Art Cars vorstellt.
Elf Modelle sind seit Calders in den Grundfarben verziertem 1975er-BMW 3.0 CSL tatsächlich ins Rennen gegangen. Darunter war ein von Jenny Holzer beschrifteter V12 LMR (1999), der es immerhin in die Vorqualifikation von Le Mans schaffte. Und Jeff Koons gestaltete einen M3 GT2 im Comic-Pop-Stil seiner Gemälde.
Zuletzt raste der von Julie Mehretu gestaltete M Hybrid V8 im Jahr 2024 über die Strecke. Bis heute am originellsten ist das innovative Wasserstoff-Projektfahrzeug H2R aus dem Jahr 2007, das Ólafur Elíasson allerdings sicherheitshalber in einer Art Kokon aus Eis parkte.
Die Art Cars stehen gewöhnlich im BMW-Museum in München, werden aber immer mal wieder ausgeliehen. Noch bis zum 31. August 2025 sind acht Modelle im Louwman Museum in Den Haag zu sehen, darunter auch zwei Coupés (Robert Rauschenberg, David Hockney) und zwei Limousinen (César Manrique, Esther Mahlangu).
Sie allein als PR-Modelle zu begreifen, wäre ein Missverständnis. Tatsächlich stehen die Auftragsarbeiten für eine Innovationskraft, die herausragende Kunst und Technik gleichermaßen auszeichnet. Vor 120 Jahren formulierte Filippo Tommaso Marinetti in seinem futuristischen Manifest das Dogma „Ein Rennwagen … ist schöner als die Nike von Samothrake“. Obwohl er wenig später politisch arg driftete, lässt sich seiner ästhetischen Vision womöglich bis heute kaum widersprechen.
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