Querschnittgelähmt nennt sich das. Das fatale Datum: Januar 1968 in Vietnam. Da hat Ron mit den anderen Marines seiner Kompanie ein einheimisches Dorf zusammengeschossen, angeblich ein Widerstandsnest. Erst nachher stellte sich heraus, dass dort hauptsächlich Frauen und Kinder waren. Die Viets schießen zurück. Ein Geschoss trifft den Freiwilligen Ron Kovic ins Rückgrat.

Ein schwarzer Kamerad trägt ihn unter Feuer zum Verbandsplatz. Aber die Verwundung hat schon durchgeschlagen, Ron ist gelähmt von der Hüfte abwärts. Zwei Jahre verbringt er in einem amerikanischen Lazarett. Er wird Sozialist, Pazifist, Friedenskämpfer. Von nun an lebt er in Venice Beach, zu dieser Zeit eine Art Hippieparadies am Ufer des Pazifik. Die Wohnung teilt er mit seinem Freund Bob samt dessen Frau und kleinem Sohn. Seine Autobiografie nennt er „Geboren am 4. Juli“, tatsächlich sein Geburtstag und auch der der Vereinigten Staaten.

Proteste gegen den Vietnamkrieg

Jetzt rollt Ron ins Badezimmer. Leert als Erstes seinen Urinbeutel in die Klomuschel. Hievt sich in die Badewanne, wobei der verkrüppelte Penis sichtbar wird. Bobs kleiner Sohn wird ihm nachgereicht. Er stöhnt: „Give me a hug! Give me a hug!“ Babyumarmung immer noch besser als gar keine. Bob hilft Ron dann beim Anziehen. Schiebt ihn auf die Straße, wo bereits etliche fahnenbewehrte Hippies auf ihn warten. Mit dem Ruf „Stop the bombing“ wird zum Stadtkern marschiert. Dort beginnt er, energisch aus seinem Buch vorzutragen. Leute sammeln sich zu einer lauten Protestaktion gegen den Vietnamkrieg.

Ein Polizist erscheint und mahnt höflich: „Leute, nichts gegen eine Demo, aber ihr blockiert hier den Bürgersteig.“ Ron: „Ich lese bloß aus einem Buch vor, das wird doch noch erlaubt sein.“ Mehrere Marines in Uniform ziehen vorbei. Ron begrüßt sie mit „Happy Birthday“, denn heute ist der 200. Geburtstag des Marinekorps, das einige Jahre älter ist als die Vereinigten Staaten selbst.

Bob bringt Ron zum Sportplatz, auf dem der Jahrestag gefeiert wird. Großer Aufmarsch der Marines in ihren weißen Mützen. Wir haben erreicht, dass Ron in seinem Rollstuhl nebenher fahren darf. Angstlos stößt er seine Protestschreie gegen den Krieg aus. Dazu Rufe von den Zuschauertribünen: „Fucking communists!“ In Rons Gesicht ist nicht nur Abscheu zu lesen, sondern auch so etwas wie Liebe und Anhänglichkeit zu den Kameraden.

Später am Nachmittag: Besuch des Lazaretts, in dem Ron lange vergeblich auf Heilung gehofft hatte. Mangels Erlaubnis haben wir die Kamera in einer Tragetasche versteckt. Ron selbst trägt das Tonbandgerät auf den Knien. Keine Fenster, nur Neonlicht in dem Gewölbe. Immerhin ist jedes Bett mit einem Fernseher ausgestattet. Mehrere der querschnittgelähmten Patienten liegen bäuchlings auf fahrbaren Rolltischen und bewegen sich paddelnd vorwärts. In einer Ecke ein Uralter, der vielleicht schon seit dem Zweiten Weltkrieg hier dahinvegetiert.

Am Ausgang kommt dann ein Marine-Sergeant auf Ron zu: „Bist du verwundet, oder was?“ „Querschnittgelähmt in Vietnam.“ Darauf der Sergeant verächtlich: „Warum verschwindest du dann nicht?“ Es wird der Untertitel unserer Sendung.

Abends Interview mit einem völlig erschöpften Ron. Ob er jetzt in Frieden mit seiner Versehrtheit leben könne. Ron nach langem Nachdenken: „Ich habe entdeckt, dass wir nicht aufgeben müssen, wenn eine Tragödie hereinbricht. Dass es eine Riesenkraft gibt im menschlichen Geist, um zu überwinden, uns zu wandeln angesichts der schwersten Krisen. Aber wir können es. Der Schlüssel zur Bewältigung der Qual ist Liebe, Vergebung, Mitgefühl. Es ist der einzige Weg.“

Georg Stefan Troller, 1921 in Wien in eine jüdische Familie geboren, lebt in Paris. Zu seinen wichtigsten Werken gehören rund 1500 Interviews, darunter legendäre Fernsehformate wie das „Pariser Journal“ und die „Personenbeschreibung“. Für die „Literarische Welt“ schreibt Troller monatlich eine Kolumne, in der er von seinen Begegnungen mit Berühmtheiten des 20. Jahrhunderts berichtet.

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