Filme haben es im Museum nicht immer leicht. Gewohnt zu wandeln und wie ein Jäger nach visueller Beute Ausschau zu halten, muss der Rezipient für das bewegte Bild längere Zeit sitzenbleiben, auf einer harten Bank, oder, wenn man Glück hat, in einem Sitzsack, der einem die Körperspannung einer Qualle verleiht und entsprechend unvorteilhaft aussehen lässt. Es fehlt die Höhle, es fehlt die Gemeinschaft der Kinogänger, es fehlt auch das Popcorn. Wenn man Film als Kunst zeigen will, geht das eigentlich nur im Kino.

Trotzdem hat sich die Bundeskunsthalle entschlossen, den sehr bekannten Regisseur Wim Wenders zum Achtzigsten mit einer klassischen Ausstellung zu ehren. Er selbst führt hindurch, als Stimme im Audioguide, sodass man gleich mehrere Ebenen von Wenders übereinander geschichtet präsentiert bekommt – die Vorarbeiten und Paraphernalien des Drehs, Fotos vom Set, Filmausschnitte, seine und andere Kommentare, die Einordnung durch Wandtexte, die Rezeption und im hintersten Raum die Trophäen und Preise.

In einer immersiven Installation kann man sich Ausschnitte aus 24 Filmen auf Sitzkissen ansehen. Die Schau, konzipiert von der Bundeskunsthalle mit dem Deutschen Filminstitut & Filmmuseum in Frankfurt am Main und der Wim Wenders Stiftung, geht im Großen und Ganzen chronologisch vor, mit einer Ausnahme. Schon zu Anfang, noch vor den noch nicht gezeigten Jugendbildern und Frühwerken von Wim Wenders ist die Szene zu sehen, in der Bruno Ganz und Otto Sander als Engel im schwarz-weißen Berlin des Jahres 1987 in langen Mänteln nebeneinander hergehen.

Der Sog der Zeit

„Der Himmel über Berlin“ ist sicher der bekannteste Film von Wenders, und er fängt etwas ein, das wichtig ist. Gleich nebenan sieht man Aufnahmen aus einem Hubschrauber, der über West-Berlin und entlang der Mauer fliegt, gechartert von der britischen Armee, denn private Flüge durfte es in der vom Kalten Krieg eingekapselten Stadt nicht geben. Man sieht den Mauerstreifen, die Berliner Höfe und die Mietskasernen, die ja immer noch da sind, nur mit anderen Menschen darin, und dann passiert etwas Seltsames. Es ist, als würde sich auf der Wand ein Abgrund auftun und mit einem unwiderstehlichen Sog alles an sich reißen – Otto Sander und Bruno Ganz, die mittlerweile tot sind, die grauen Häuser, den Potsdamer Platz.

Es ist der Sog der Zeit, der aus diesen Bildern herausgreift, und dann wird einem bewusst, dass das ja alles hier längst vergangen und niemals wiederzubeschaffen ist: die mit der Schreibmaschine getippten Skripte und die Kindheitserinnerungen aus der Trümmerzeit, der ungebrochene Glaube an Gefühl und Ausdruck, an Rock’n’Roll, Sinnsuche und Selbsterfahrung, die Sehnsucht nach Amerika und Frankreich. Der klassische deutsche Nachkriegsweltschmerz ist dabei auszusterben, mitsamt seinen Bluesgitarren, 35mm-Kopien und den schönen alten Autos. Wim Wenders hat früh einen Sinn für Orte bewiesen, die bald darauf verschwinden würden, wie das West-Berlin des Jahres 1987.

„Ich kann den Potsdamer Platz nicht finden“, sagt der damals 86-jährige Curt Bois, als er über die Wüstenei des von der Mauer zerschnittenen, abgeräumten einstigen Lebensknotens einer Metropole wandert. „Das kann er doch nicht sein.“ Der Witz ist, dass man den Potsdamer Platz aus dem Film heute auch nicht mehr finden kann. Vergänglichkeit ist ein Hauptmotiv des Regisseurs und Fotografen Wim Wenders, der sich für Palermo, Lissabon, Havanna begeistert. Es sind nostalgische Städte. In Berlin ist die Veränderung so extrem, dass „Der Himmel über Berlin“ paradigmatisch für die von Schocks und Umwälzungen gekennzeichnete deutsche Geschichte stehen mag.

Geboren wurde der Arztsohn Wim Wenders in Düsseldorf am 14. August 1945, drei Monate nach Ende des Krieges in Europa, eine Woche nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki, wie er bei der Pressekonferenz zu seiner Retrospektive betont. „Düsseldorf war zu neunzig Prozent zerstört“, erinnert er sich, „überall nur noch Kamine und Trümmer.“ Die ersten Lebensjahre verlebte Wenders in den Hinterzimmern der Apotheke des Großvaters, die halbwegs intakt geblieben war. „Ich bin in Ruinen aufgewachsen und fand aus den Zeitungen meines Vaters und der Enzyklopädie meines Großvaters heraus, dass die Welt nicht überall so aussieht wie bei uns. Das war eine große Entdeckung und der Hauptantrieb meines Lebens.“

Fremdes Deutschland

Hier kommt er her, der Durst nach fremder Luft. In Paris will Wenders zum Maler werden (die Schau zeigt einige Bilder), rezipiert ein Jahr lang in tausend Streifen die Filmgeschichte in der Cinématèque française und gehört zu den ersten Studenten der Hochschule für Film und Fernsehen in München. Mit anderen Regisseuren des Neuen Deutschen Films gründet Wenders 1971 den Filmverlag der Autoren. Drei Jahre später gelingt ihm der künstlerische Durchbruch mit „Alice in den Städten“. 1984 gewinnt er für „Paris, Texas“ die Goldene Palme von Cannes – als einziger Deutscher neben Volker Schlöndorff, bis heute.

Wenders hat auch in Deutschland gedreht, doch dieses Deutschland sieht immer fremd aus, während das Ausland bei ihm etwas Vertrautes bekommt. Wenders-Filme spielen in Texas, Japan, Sizilien, New York, Australien, China, Japan, Kuba, in Wüsten und in Metropolen. Wenders ist der Regisseur der Reise, der Roadtrips, der Wanderungen und des Verlorengehens. Er ist zugleich auch einer der ganz wenigen deutschen Regisseure, die weltweite Anerkennung gefunden haben. In Deutschland ist oft bemängelt worden, dass diese schönen, malerischen Wim-Wenders-Filme manchmal auch etwas Peinliches haben.

Sein Film über einen Toilettenmann in Tokio, „Perfect Days“ von 2023, begeisterte die Kritik, dem mit Wenders Freund Campino von den Toten Hosen besetzten Künstlerkrisenfilm „Palermo Shooting“ attestierte der Kritiker Rüdiger Suchsland 2008 eine „erbärmliche Dialogqualität“. Wenders Anselm-Kiefer-Porträt von 2023 wurde von der „FAZ“ als „hoch pathetisch“ kritisiert, seine Dialoge mehrmals als pseudophilosophisch bekrittelt.

Und ja, da ist ein Hang zum Erhabenen und Nostalgischen auszumachen, ganz besonders in dieser Schau, die sich tief vor dem nun bald Achtzigjährigen verbeugt und wenig andere Weggefährten in eigener Stimme zu Wort kommen lässt. Das weiche Licht, die leeren Straßen, die sinnenden Männer, die handgemachte Musik, es scheint schon manchmal aus der Zeit gefallen. Aber was ist auch dagegen zu sagen? Ry Cooder, Nick Cave, Pina Bausch, Lou Reed, Francis Ford Coppola – dass so viele gute Künstler mit ihm zusammenarbeiten wollten, muss etwas bedeuten.

Und jetzt ist Wenders also in Bonn angekommen, am Anfang. Zwei Polaroidaufnahmen des Rheins beschließen den Parcours durch Leben und Werk. „Ich bin ja auch am Rhein aufgewachsen“, sagt Wenders, „habe den Fluss jeden Tag gesehen, kenne jede Burg mit Namen“. Die beiden kleinformatigen Bilder sind verwunschen schön mit ihren dunstigen Hügeln und dem hohen Wasserstand. Sie entstanden in Vorbereitung für den Film „Falsche Bewegung“, einer Adaption von „Wilhelm Meisters Lehrjahre“, die dessen Lehren umkehrt, wie Wenders erklärt. „Während bei Goethe die Reisebewegung quer durch Deutschland noch eine ist, bei der Wilhelm Meister viel lernt, lernt er bei uns überhaupt nichts. Er kommt am Schluss auf der Zugspitze an und weiß weniger als am Anfang“.

„W.I.M. Die Kunst des Sehens“ ist bis zum 11. Januar 2026 in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen.

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