Es fühlt sich an wie Zauberei, und die meisten Menschen kennen es. Wir müssen nur ein paar Takte eines bestimmten Songs hören und werden wieder zurückversetzt in die Zeit, als wir Teenager waren – inklusive der dazugehörigen Gefühle: Unbeschwertheit, Euphorie, Freiheit.
Natürlich wurde dieses Phänomen auch schon untersucht. Studien zeigten, dass uns Lieder besonders tief berühren und unser Leben lang begleiten, die während unserer Teenagerjahre besonders populär waren. Das sind die Hits jener Zeit, es können aber auch ältere Stücke sein, die zum Soundtrack der Jugend werden, Erinnerungen und Gefühle in uns wachrufen.
Sechs stern-Mitarbeiter erzählen von ihren persönlichen Teenager-Tracks, von Status Quo, Echt und Miriam Makeba, von der Bundeswehr, den ersten Partys und dem Gefühl von Freiheit.

Die Musik, die unser Leben prägte
"2010" von Echt – oder: Das Gefühl, es der Welt zeigen zu wollen
von Lena Steeg
Das Sich-nicht-verstanden-Fühlen begleitet uns alle ein Leben lang, nie zieht man daraus aber so viel Wut und Antrieb, so viel Power wie in der Jugend. Es der Welt zeigen wollen, bald schon – diese Schubkraft braucht es, um irgendwo hinzukommen. Und das will man ja, mit 15, 16, 17, 18 Jahren ganz besonders stark: wegkommen von dem, was ist, zu etwas Besserem, Aufregenderem, Größeren.
"Meine Zeit wird kommen im Jahr 2010 / Wenn wir uns wiedersehen". Ein Refrain als Ansage. Es war das Jahr 1999, ich 15 Jahre alt, und mein Bett stand in einem immer noch mehr Kinder- als Jugendzimmer in der Dinslakener Doppelhaushälfte meiner Eltern. Im Video zur Single rannten die fast gleichaltrigen Bandmitglieder Kim, Flo, Kai, Gunnar und Puffi nackt über die Reeperbahn, sprangen in die Elbe, LEBTEN. Sie waren meine Verbündeten, meine Freunde, auch wenn wir uns nicht kannten. Verbindendes Grundgefühl: Denen zeigen wir's! Dass "denen" für mich Lehrer und Mitschüler waren, für die Jungs die konservativ verkantete deutsche Musiklandschaft mit ihrem damaligen Hang zu glatt geföhnten Boybands – egal. 2010, in dieser weit, weit entfernten Zeit, würde alles anders sein, würden wir es allen bewiesen haben.
15 Jahre später, 2010, tourte ich als Volontärin bei einer Regionalzeitung von Lokalredaktion zu Lokalredaktion durchs Rheinland. Viel Brauchtumsberichterstattung, wenig Platz für große journalistische Träume. Aber manchmal, nach wirklich langen, unglamourösen Arbeitstagen, hörte ich auf dem Heimweg diesen Song. Fenster runter, mitsingen, wissen: 2010 ist nur ein Synonym für "bald dann". Irgendein 2010 bleibt uns immer.
Den Song können Sie (der alten Zeiten willen) hier als CD kaufen.

"Pata Pata" von Miriam Makeba – oder: Die Zukunft ist eine Party
von Christine Zerwes
Zwar bin ich ein Teenager der Neunziger Jahre, doch das Lied, das mich sofort in meine Jugend zurückbeamt, stammt aus dem Jahr 1967. Es ist "Pata Pata" von Miriam Makeba. Auf jeder Party, die wir damals Ende der 1990er und Anfang der 2000er feierten – und es waren einige – schallte es irgendwann aus den Boxen. Das lag auch daran, dass meist mein damaliger Freund hinter dem DJ-Pult stand: Er wusste, dass ich diesen Song liebe, und legte eh immer großartig facettenreich auf.
Spätestens wenn die ersten Takte von "Pata Pata" erklangen, stürmten meine Freundin Katrin und ich die Tanzfläche. Es ist nicht leicht, zu diesem Lied zu tanzen, und noch schwerer, es mitzusingen, weil Makeba, die aus Südafrika stammt, es auf isiXhosa singt, einer der elf Amtssprachen des Landes. Aber wir haben es trotzdem versucht – und einfach die kurzen englischen Einschübe besonders laut mitgesungen.
Alles an "Pata Pata" ist wunderbar – der Rhythmus der Bongos, Makebas warme Stimme, durch die man ihr Lächeln hört, ihr Jauchzen. Höre ich den Song heute, bin ich noch mal 19, meine besten Freunde sind um mich, das Leben fühlt sich leicht und gut gelaunt an und geht gerade erst so richtig los, denn: "Every Friday and Saturday Night, it’s Pata Pata Time!"
Den Song können Sie auch unterwegs hier streamen oder als Vinyl kaufen.

Sly & the Family Stone: "Hot Fun in The Summertime" – oder: Ein Leben ohne Gegenverkehr
von Oliver vom Hofe
Vor mir lag schnurgerade die Landstraße, und an ihrem Ende war ein Baggersee, an dem meine Freunde warteten. Mein knallblaues Leichtkraftrad sägte wie verrückt, um die 80 Stundenkilometer Höchstgeschwindigkeit zu halten, aber davon hörte ich nichts, weil ich unter dem Helm Walkman hörte, ein Mixtape von Sly & the Family Stone. Sly, der eigentlich Sylvester Stewart hieß, und seine Familie waren die perfekte Band: Männer und Frauen, schwarz und weiß, Pop und Funk, schreiend bunte Hippie-Klamotten und ein Saxofonist mit dem erfrischenden Namen Jerry Martini. Und die Songtitel sagten alles, was ich als 17-Jähriger Anfang der 80er wissen wollte: "I Want To Take You Higher", "Stand!", "You Can Make It If You Try".
Dann begann auf dem Mixtape "Hot Fun In The Summertime": ein unwiderstehlicher Schunkel-Beat, Männer und Frauen, die wild durcheinander jubeln, und dazu schwerelose Geigen und Trompeten, die das Ganze in den Himmel heben. Ich konnte gar nicht anders, als die nächsten zwei Minuten und 37 Sekunden in schönen, weiten Schlangenlinien über die Straße zu cruisen, während entgegenkommende Radfahrer den Kopf schüttelten und schimpften. Was die Dorfmenschen nicht wussten: Wer gerade Sly Stone hört, der schert sich nicht um Gegenwind, Gegenmeinung und Gegenverkehr.
Den Song können Sie unterwegs hier streamen.
"Von Party zu Party" von SXTN – oder: Zum ersten Mal ohne Eltern auf Achse
von Mathilde Sophie Göbel
2017. Sommer. Mein erster Festivalmoment mit 16 – das "Spektrum" in Hamburg. Zwei Freunde, drei Tage weg von zu Hause, das Okay von meinem Vater.
Die Luft schmeckt nach warmem Bier, Staub und jugendlicher Dummheit. Deutschrap dominiert damals meine Playlisten. Die 187 Straßenbande, Gzuz und Bonez, UFO361 und Capital Bra laufen auf Dauerschleife. Mit rund 200 Gleichgesinnten stehe ich vor einer Bühne, auf der gerade Trettmann seine Songs spielt. Doch die Szene wird aufgemischt von zwei Frauen: Nura und Juju, als Duo SXTN. Danach dröhnt "Von Party zu Party" jeden Morgen durch meine Kopfhörer, wenn ich mit meinem Fahrrad morgens zur Schule radle. Zwei Jahre noch, dann habe ich mein Abi.
Mein Herz brach das erste Mal, als sich das Duo 2019 trennte – und ein zweites Mal, als vor ein paar Wochen einige Songs von SXTN auf mysteriöse Weise für kurze Zeit von Spotify verschwanden.
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"Ständchen" von Franz Liszt/Franz Schubert, gespielt von Wladimir Horowitz – oder: Schmalz zum Mitfühlen
von Daniel E. Sippel
Vielleicht war es rückblickend ein Fehler, dass mir diese CD in die Hände fiel. Ich muss 12 oder 13 Jahre alt gewesen sein. Auf dem Cover grinst mir ein älterer Herr direkt ins Gesicht. Er sieht lieb aus, aber auch unglaublich elegant. Ein Cover, das hervorsticht aus der elterlichen CD-Sammlung mit Kirchenmusik, Queen und den Beatles. Der Mann trägt eine rote Fliege und scheint in seinem prunkvollen Wohnzimmer zu posieren. Hinter ihm ein aufgeklappter Flügel. Über ihm prangt das gelbe "Deutsche Grammophon"-Label: "Horowitz At Home" steht da.
Irgendwie habe ich mich immer "at home" gefühlt mit diesen Aufnahmen von Wladimir Horowitz. An Track Nummer 7, dem "Ständchen" von Franz Liszt, der sich bei Franz Schubert bedient hat, bin ich immer hängengeblieben. Ich glaube, ich habe in den Tönen schlicht meine jugendliche Gefühlswelt spiegeln können: ein bisschen einsam, viel zu melancholisch, oft verliebt.
Irgendwann habe ich dann herausbekommen, dass das Ständchen eigentlich ein Lied ist. Es beginnt mit den Worten "Leise flehen meine Lieder durch die Nacht zu Dir". Das hat genau zum jugendlichen Daniel gepasst. Klar, alles trieft in dieser Liszt-Bearbeitung von Klassik-Kitsch. Und jede Strophe legt noch mal eine Schippe Schmalz darauf, bis es kaum noch auszuhalten ist. Aber so muss es eben manchmal sein. Es ist ein guter, edler Schmalz, weil Horowitz in diesen Aufnahmen Schmalz-Meister ist. Und ich verlor mich ein wenig darin.

"In the Army Now" von Status Quo – oder: Das Ende der Freiheit
von Frank Donovitz
Mittwoch, 1. Juli 1987. Kurz nach 6 Uhr. Ich sitze im Auto. Geliehen von meiner Mutter. Auf dem Weg in eine Kaserne. Antritt Grundwehrdienst. Ich schalte das Radio ein, Hessischer Rundfunk, drittes Programm. Und es läuft … unfassbar … "In The Army Now". Die englische Band Status Quo hatte den Song einige Monate zuvor rausgebracht – ihr größter Single-Erfolg, völlig anders als alles, was sie bis dahin im Repertoire hatten. Ein Anti-Kriegslied, dessen Text polemisch und sarkastisch die "Vorzüge" des Militärdienstes beschreibt. Wie treffend dieser Text die Wirklichkeit aufspießt, wurde ich schon ein paar Tage später gewahr. In Uniform. Jähes Ende jeder jugendlichen Leichtigkeit.
Dass der Song vom niederländischen Synthie-Pop-Duo Bolland & Bolland stammt, wusste ich damals nicht. Veröffentlicht 1981, eine Zeit, in die der Text noch viel besser passte. In jedem Manöver, mental und körperlich kurz vor Ende, erinnerte ich mich an die gebrüllte Textzeile "Stand Up And Fight". Und heute denke ich an die jungen Leute, die sich zum Wehrdienst melden. Mit Respekt. Mit Unbehagen. Und mit Quo im Ohr.
Den Song können Sie unterwegs hier streamen.
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