Wenn dieser Film eines verdeutlicht, dann das: Die gekonnt überspitzte Anverwandlung ist eine von Helge Schneiders großen Spezialitäten – der Moment, wo sich eine musikalische oder sprachliche Konvention auf absurde Weise verselbstständigt und ihren belachenswerten Kern offenbart. Das kann ein unendlich wiederholter einzelner Ton in einem Rockgitarren-Solo sein, die sich unaufhörlich exaltiert verbiegende linke Hand bei einem klassischen Klaviervortrag oder eine abstruse Schlager-Hyperbel wie in dem Schneider-Songklassiker „Hunderttausend Rosen schick ich dir“.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht weiter überraschend, dass sich hinter der dokumentarischen Künstlerbiografie „Helge Schneider – The Klimperclown“ zu weiten Teilen keine dokumentarische Künstlerbiografie verbirgt. Sondern die kauzige Eskalation dessen, was ein derartiges Format verlangt. Sicher: Es gibt intime Einblicke in den Alltag, Treffen mit altgedienten Weggefährten wie dem Verleger Helge Malchow, dem Filmemacher Alexander Kluge oder dem Schlagzeuger Peter Thoms. Sogar ein handfestes Kindheitstrauma wird offenbart („niemand wollte mit ihm spielen, er hatte rote Haare und einen Eierkopp“). Doch das ist alles nur angetäuscht, gleichsam unter einer Perücke und einer Karnevalsnase versteckt wie die „Hebamme“, die von Schneiders gelungener Geburt berichtet.

Auch der Protagonist probiert verschiedene Rollen aus, ist mal der alternde Rockstar im Lamborghini, der nach der Fahrt in unbequemer Sitzposition wegen Rückenproblemen zum Physiotherapeuten muss, mal der raunende Anekdotenonkel im Schaukelstuhl. Man sieht ihn auch als schrillen Avantgarde-Krachmacher an der Orgel in einer Kunstausstellung, als genießerischen Finca-Besitzer in Spanien oder als Boxer, der Mike Tyson gerne einen auf die Omme geben würde.

Manches davon mag von der Realität gedeckt sein, manches berührt wie die alten Videoaufnahmen im Wohnzimmer der Eltern, manches wiederum ist eindeutig totaler Quatsch. Was will man auch anderes erwarten von einem Film, der mit den keckernd ausgestoßenen Worten „Guten Tach! Mein Name ist Helge Schneider und ich bin Clown“ beginnt und mit dem Hinweis „Diese Geschichte könnte erfunden sein. Aber die wirklich wahren Geschichten klingen immer wie ein fantastischer Traum“ endet?

Das Legen der falschen Fährten beginnt schon im Pressetext zur Dokumentation. „Ich wollte mal aufzeigen, wie es wirklich hinter den Kulissen der künstlerischen Arbeit aussieht und hatte mich von vielen in der Vergangenheit produzierten Formaten über mich nicht wirklich verstanden gefühlt“, bemerkt Schneider über die von ihm im Vorspann als „Machwerk“ bezeichnete Mischung aus Lebensrückschau, Mockumentary, Homestory, nie zuvor gezeigten Aufzeichnungen seiner ersten Gehversuche und Humorschule. Man könnte es auch so deuten: Bevor jemand anderes einen Film anlässlich seines 70. Geburtstags am 30. August macht, setzt sich Schneider unter Mithilfe des Gitarristen Sandro Giampietro an der Kamera lieber selbst sein eigenes (un)sinnstiftendes Denkmal.

Möglicherweise aus Sicherheitsgründen. „The Klimperclown“ läuft ja jetzt nicht nur in den deutschsprachigen Kinos, sondern steht ab 18. August auch zum Streamen abrufbereit in der ARD-Mediathek. So bleibt den Zuschauern des öffentlich-rechtlichen Programms ein joviales „Katzeklo“-Augengezwinkere aus fremder Hand erspart. Loriot, Schneiders Vorgänger als größter Komödiant der Nation, hatte es bei seinen runden Jubiläen auch nicht anders gehalten.

Wer einen Vergleich dieser beiden empört ablehnt, dem sei gesagt: Als Verwandte im Geiste schöpfen sie ihren Witz aus der gleichen Quelle, und zwar aus der Musik. Während es im Falle von Loriot die gutbürgerliche Klassik war mit all ihrer peniblen Akkuratesse und Detailschärfe, ist es für Schneider der kleine ungewaschene Jazz mit seiner flamboyanten Ad-hoc-Sprunghaftigkeit. Es ist kein Zufall, dass der Mülheimer in „The Klimperclown“ immer dann ganz bei sich zu sein scheint und seine Kunstfigur abstreift, wenn ein Saxofon im Spiel ist. Da bläst er seelenvolle Tongirlanden auf dem Bariton oder nickt anerkennend zu einem Live-Mitschnitt seiner Band im Düsseldorfer Jazzclub Downtown. Auf dem Tenorsaxofon einer Kassetten-Aufnahme erklingt der Standard „There Will Never Be Another You“.

Das passt. Schließlich ist das unbeirrbare Festhalten am Individuellen und Eigenartigen – und sei es noch so albern – das wichtigste Merkmal von Schneiders Kunst. So ungefähr drückt es auch der Publizist Peter Kemper in seinem Reclam-Bändchen über die singende Herrentorte aus. „Jazz verkörpert für Helge Schneider nicht nur ein Stück unverzichtbarer Freiheit, die gelebt wird, sondern verkörpert zugleich Dissidenz, Abweichung, Außenseitertum. Jazz ist für ihn die Methode, permanente Überraschungen zu erzeugen“, ist aus dem Off zu hören, während der Künstler ruhig auf einer Bank sitzt und keinerlei Faxen macht.

Von wegen Klimperclown: Die Dokumentation macht mit großem komischem Ernst klar, dass Helge Schneider der konsequenteste und radikalste Improvisator ist, den dieses Land hat.

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