Das Locarno Film Festival nimmt’s dieses Jahr sehr wörtlich mit der Bombenstimmung – indem es sein Publikum mit Irans Nuklearprogramm konfrontiert. Genauer: Mit dem Atomwaffenabkommen, das der Gottesstaat 2015 in Genf nach harten Verhandlungen unterzeichnete. Jean-Stéphane Brons «The Deal» zeigt das Ringen um ebendiesen Vertrag als packenden Thriller und windet der diplomatischen Schweiz en passant ein Kränzchen.

Legende: Die Belgierin Veerle Baetens glänzt in «The Deal» als überengagierte Schweizer Diplomatin. Bande à Part Films

Die fiktive Heldin der von historischen Tatsachen inspirierten Miniserie heisst Alexandra Weiss. Die junge Idealistin vollbringt als Leiterin der schweizerischen Delegation wahre Wundertaten. Zumal sich die Streitparteien im Grunde unversöhnlich gegenüberstehen und das fragile Gleichgewicht am runden Tisch immer wieder zu zerbrechen droht.

Unschweizerisch wilde Fabulierkunst

Erschwert wird die helvetische Herkulesaufgabe von persönlichen Verstrickungen. Irgendwann taucht sogar Alexandras alte Liebe Payam wieder auf: Ein fortschrittlicher iranischer Ingenieur, der in seiner Heimat in Ungnade gefallen ist. Natürlich strapaziert die RTS-Koproduktion mit ihrer abenteuerlichen Dramaturgie die Grenzen der Glaubwürdigkeit gewaltig.

Legende: Jean-Stéphane Brons «The Deal» umfasst überraschenderweise auch eine Liebesgeschichte. Bande à Part Films

Gleichzeitig macht genau dieser erzählerische Wagemut das Ganze so unterhaltsam, dass Direktor Giona A. Nazzaro «The Deal» ins Piazza-Programm hievte – als erste Schweizer Serie überhaupt. Am 11. August sind die ersten beiden Folgen des Sechsteilers auf der grössten Leinwand Locarnos zu bewundern. Den Rest reicht das Festival einen Tag später in etwas kleinerem Rahmen – dem Kino La Sala – nach.

Zündendes Gedankenspiel zur Klimaerwärmung

Eine sehenswerte Novität stellt auch das heisseste Drama dar, das in der auf Entdeckungen spezialisierten Sektion «Cineasti del Presente» läuft: Die durch visuell bestechende Dokus wie «Goodnight Nobody» oder «Where We Belong» bekannt gewordene Zürcherin Jacqueline Zünd präsentiert mit «Don’t Let the Sun» ihr Spielfilmdebüt.

Legende: Jacqueline Zünd taucht ihr Drama «Don't Let the Sun» in bedrohlich schwelendes Licht. Lomotion

Wir befinden uns an einem ungenannten urbanen Ort in einer nicht allzu fernen Zeit. Die Hitze hat die Art, wie die Menschen miteinander leben, nachhaltig auf den Kopf gestellt. Weil Temperaturen um die 50 Grad bis zum Sonnenuntergang gang und gäbe sind, gehen die Kinder nachts zur Schule. Den Fokus legt das dystopisch anmutende Gedankenexperiment aber auf die zwischenmenschlichen Beziehungen, die sich im Zuge der Klimaerwärmung immer mehr in Luft auflösen.

Für Zünd lautet daher die entscheidende Frage: «Wenn es so unerträglich heiss ist, dass man sich selber in der eigenen Haut nicht wohlfühlt, wie ist es dann möglich, Nähe zu anderen zu leben?»

Krallt sich Godards Zögling den Goldenen Leoparden?

In den «Concorso Internationale», Locarnos Hauptwettbewerb, hat es indes ein anderer Schweizer Langspielfilmerstling geschafft: «Le Lac» von Fabrice Aragno. Einen Namen gemacht hat sich der 55-Jährige bisher nicht primär als Regisseur, sondern als Kameramann und Tonmischer von Jean-Luc Godards Spätwerk.

Legende: Fabrice Aragnos «Le Lac» ist der einzige Schweizer Film im Hauptwettbewerb. Casa Azul Films

Um den Goldenen Leoparden ringt Aragno nun mit einem mystischen Seedrama. Im Zentrum stehen eine Frau und ein Mann, die an einem kräftezehrenden Segelrennen teilnehmen, bis sie ihren Kurs ändern. Das Leben wird wahrnehmbar im Rauschen der Flut, dem Wehen des Windes, dem Schrei eines Vogels. Mit einzutauchen lohnt sich für alle, die dem Herzschlag der Natur lauschen möchten.

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