Für die Massenproteste seit November 2024 in Serbien gibt es in der jüngsten Geschichte des Landes ein Vorbild. Nachdem sich im Jahr 2000 18 Oppositionsparteien, darunter auch die beiden größten des Landes unter Führung von Vojislav Kostunica und Zoran Djindjic zum Wahlbündnis DOS zusammengeschlossen hatten, erreichte dessen Präsidentschaftskandidat Kostunica im September die Mehrheit der Stimmen. Die Regierung von Slobodan Milosevic und seiner sozialistischen Partei aber weigerte sich, ihre Niederlage anzuerkennen. Eine Großdemonstration am 5. Oktober 2000 führte zum Sturz des Regimes, Kostunica wurde Präsident, Djindjic bald Ministerpräsident.
Wenn es den Demonstranten von heute, Anlass war der Einsturz eines Vordaches des Hauptbahnhofs in Novi Sad, bei dem 16 Menschen ums Leben kamen, um die Bekämpfung von Korruption, Vertuschung, Wahlmanipulation und Verbindungen zwischen organisierter Kriminalität und Politik geht, wenn neuerdings auch aus dem Lager der Regierungskritiker nationalistischere Töne laut werden, erkennt man unschwer eine Gemengelage, die sich bereits zur Jahrtausendwende ganz ähnlich dargestellt hatte.
Gefährlich, aber auch gefährdet
Die serbische Serie „Das Attentat“ beginnt mit einer Rückblende auf den Vorabend der Großdemonstration vom Herbst 2000. Im Hauptquartier der Djindjic-Partei werden Risiken abgewogen: Werden Polizei und Armee stillhalten oder gewaltsam gegen die Protestierer vorgehen? Vor allem: Was ist mit der Spezialeinheit JSO, den „Roten Baretten“? Djindjic (Dragan Micanovic) lässt sich zu einem Treffen mit deren Anführer, Milorad Ulemek (Sergej Trifunovic), genannt „Legija“ (Legion) fahren. Der ist ein Mann, der auf eine Karriere in der Fremdenlegion zurückblicken kann und, während der Jugoslawienkriege, der Serbischen Freiwilligengarde des Warlords Zeljko Raznatovic, besser bekannt als „Arkan“.
„Legija“ ist ein gefährlicher, aber auch ein gefährdeter Mann: Gerade das Djindjic-Lager steht für die Annäherung des Landes an Europa. Die ist aber ohne die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal für die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien, vulgo die Auslieferung angeklagter Landsleute, nicht zu haben. Das ist ein Streitpunkt, an dem das Bündnis DOS zerbrechen wird, denn Kostunica wird seine schützende Hand etwa über Ratko Mladic, einen Hauptverantwortlichen des Genozids von Srebrenica, halten.
Die eigentliche Serienhandlung beginnt 2003, in den Tagen vor und nach der Ermordung Zoran Djindjic am 12. März. Am Abzug der Präzisionswaffe, die den Premierminister mit zwei Projektilen tödlich verletzte, saß ein führendes Mitglied von Legijas JSO. Ebenfalls beteiligt an dem Mord: Der Zemun-Clan, organisierte Kriminelle, deren äußerste Brutalität sich auch aus ihrer Kriegsvergangenheit erklären lässt.
Dass alles, was folge „eine Interpretation tatsächlicher Ereignisse“, die zwar „auf öffentlich zugänglichen Informationen und Zeugenaussagen“ basiere, „aber ein Produkt der kreativen Freiheit des Autors“ sei, erfährt man am Anfang jeder der acht Episoden der Miniserie, die im serbischen Original nach der Polizeiaktion nach dem Mord schlicht „Sablja“ (Säbel) heißt. Und so folgt man in „Das Attentat“ gute 6 Stunden lang einem fiktiven Ermittlerduo, einer fiktiven Journalistin und einem fiktiven Kleinkriminellen immer tiefer in einen Sumpf aus Deep State, Mafia und Miliz – aber auch in eigene Abgründe.
Der krebskranke Schwiegervater des Polizisten Boris Rakic (Ljubomir Bandovic) stellt sich bald als graue Eminenz der Staatssicherheit aus Milosevic-Tagen heraus. Er sucht die Ermittlungen seines Schwiegersohnes zu manipulieren. Dessen Partner und Trauzzeuge Ljuba Vasiljevic (Feda Stukan) merkt bald, dass etwas faul ist mit Boris und ermittelt auf eigene Faust – Informationen tauscht er immer wieder mit der alleinerziehenden Fernsehfrau Danica Mandi (Milica Gojkovic) aus, die nach der schweren Fehleinschätzung eines früheren Attentats auf den Premierminister auch davon getrieben ist, unmögliche Buße zu leisten. Danicas alkoholkranke Mutter, einst Journalistin wie die Tochter jetzt, hat ihren Beruf vor Jahren nach Einschüchterungen der Staatssicherheit an den Nagel gehängt.
Habermas‘ Ratschlag
Und dann ist da der junge Uros Ristic (Lazar Tasic), Sohn eines im Kosovo-Krieg von Albanern verschleppten und wahrscheinlich ermordeten Serben, der für den Zemun-Clan als unbeschriebenes Blatt immer riskante Aufträge übernimmt. Am Ende ist aus dem jungen Mann, der sich nichts mehr wünscht, als seiner Mutter ein gutes Leben zu ermöglichen, einer geworden, der kaum noch anders kann, als auf der falschen Seite der Geschichte zu verharren. Falsch, weil alles, an dem er beteiligt ist, sich auch der Einsicht sperrt, dass ein „historisches Unrecht nicht rückgängig zu machen“ ist, wie die Macher der Serie, kurz vor dem letzten Abspann, den echten Zoran Djindjic in einer Originalaufnahme sagen lassen.
Djindjic zitiert auch eine prägnante Einsicht Viktor Tschernomyrdins, der nach seiner Zeit als russischer Ministerpräsident ab 1999 Jelzins Sonderbeauftragter für Jugoslawien war: „Ihr könnt aus einem Aquarium Fischsuppe machen, aber ihr könnt aus Fischsuppe kein Aquarium machen. Wenn der Fisch gekocht ist, war's das. Das ist Geschichte.“
Tatsächlich verlangt „Das Attentat“ demjenigen, der sich in der serbischen Zeitgeschichte nicht wie ein Fisch im Wasser bewegt, einiges an Aufmerksamkeit ab. Die aufzubringen, fällt angesichts des fesselnden Plots aber nicht schwer. Die tragische Geschichte Zoran Djindjic, jenes Staatsmannes, der nach Ermunterung von Jürgen Habermas in den späten 1970ern in Konstanz promovierte und dem in der Serie ein vorsichtiger Gerhard Schröder alle Hoffnungen auf eine allzu schnelle Annäherung seines Landes an die EU auszureden versucht, ist auch eine Anregung, sich stärker mit den Kräften zu beschäftigen, die nicht erst seit dem eingestürzten Dach von Novi Sad einem echten Wandel in Serbien verhindern.
„Das Attentat – Geheimoperation Belgrad“ läuft auf arte.de
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