Es gibt diese Idee, was eine gute Geschichte ausmacht: Fall, Schmerz, Wendepunkt, Läuterung – die große humanistische Erzählung. Ein Mensch baut Mist, reflektiert, bessert sich. Wir alle lieben diese Heldengeschichten. Auch, weil sie uns entlasten: Der Mensch ist fehlbar, aber nicht verloren. Es gibt Hoffnung, wenn selbst der Schlimmste sich ändert.
Der Musiker Gzuz passt nicht in diese Erzählung. Auch wenn er sich offensichtlich danach sehnt. Oder sagen wir: Auch wenn sein neues Produkt so aussehen will.

Gzuz alias Kristoffer Jonas Klauß, 37 Jahre, Vater von drei Kindern, Gangsta-Rapper und Gerichtsstammgast. Er ist das lauteste Aushängeschild der "187 Strassenbande", einer Hip-Hop-Crew aus Hamburg. Fünf Alben hat Gzuz bereits veröffentlicht. Stimmgewaltig rauscht er da im verballerten Koks-Modus durch Schlägereien, Partys, Sex und St. Pauli. Das Ganze zu brachialen Beats und düsterer Soundästhetik. Sein Modus: Selbstgefälligkeit und Selbstzerstörung. Und das genussvoll.
Gzuz saß mehrmals im Knast
Die neue Amazon-Doku "GZUZ – Licht & Schatten" will nun seinen "Neuanfang" zeigen, wie der Promotext verspricht, "eine ungeschönte Nahaufnahme eines Künstlers zwischen zwei Welten, der für seine Familie und gegen seine eigenen Dämonen kämpft", heißt es. Toll, denkt man da, AUTHENTISCH möchte der Film sein; alles zeigen, nichts solle ausgeblendet werden – und man erwartet mindestens Verhaltenstherapie-Vlogs, vielleicht ja eine Ayahuasca-Sitzung? Wie man halt im Jahre 2025 so gegen seine "Dämonen ankämpft" und anderen signalisiert: Ich will an mir arbeiten, ich will wachsen.
Die Frage, die einem im Kopf rumschwirrt, wenn man den Film anschaut: Wird dieser Mann sich ändern? Gründe dafür gäbe es zuhauf.

Rapper Gzuz "Ich bin nicht dafür da, deine Kinder zu erziehen"
Seit 2023 ist Gzuz wieder in Freiheit – auf Bewährung
Gzuz hat Frauen belästigt und geschlagen, Beamte beleidigt, er wurde mehrmals mit Drogen erwischt, beim Klauen, er rief "Heil Hitler", hat mit Waffen gepost, einen Handyladen überfallen, einen Schwan geschlagen und einen Mitarbeiter eines Getränkeladens verprügelt. Manches davon filmte er und veröffentlichte es auf Social Media. Einige Geldstrafen musste er bezahlen, mehrmals landete er im Gefängnis. Seit September 2023 ist er nun wieder in Freiheit – bis heute auf Bewährung.

Der Fall Gzuz strahlt weit über die Hip-Hop-Welt hinaus, weil er die große Frage aufwirft: Wie blicken wir als Gesellschaft auf einen mehrfach verurteilten Promi? Auf einen gewalttätigen Star, dem 2,7 Millionen Follower auf Instagram zusehen und 3,5 Millionen Menschen monatlich auf Spotify zuhören? Vergessen wir, dass dieser Gzuz Frauen sexuell belästigt und geschlagen hat?
Die Doku verklärt Gzuz zum tragischen Helden
Der Film "Licht und Schatten" verklärt Gzuz nun zum tragischen Helden. Es ist ein Imagefilm in weichem Licht: Statt Verantwortung einzufordern, verkehrt die Doku Schuld in Schicksal – und macht damit aus dem Täter einen Publikumsliebling.
Gzuz bietet den Filmemachern eine kontrastreiche Biografie: Da ist der tätowierte Riese mit Goldkette und Vorstrafenregister, der heute im Sitzrasenmäher durch Halstenbek kurvt, eine Gemeinde bei Hamburg, mehr Baumschulen als Bars. Und da ist seine Vergangenheit – 26 Minuten entfernt, vierter Stock, Schanzenviertel. Der Vater Alkoholiker, die Mutter alleinerziehend. Sie arbeitet drei Jobs, ihr Sohn beklaut sie, "baut viel Scheiße", wie Gzuz in der Doku sagt. Als er 15 Jahre alt ist, öffnet sie die Türe nachts nicht mehr, hat das Schloss ausgetauscht – er muss raus von zu Hause, stolpert rein in ein berauschtes Leben, über das er später rappen wird. "Ein Verrat", sagt Gzuz heute, "wenn deine eigene Mutter dich nicht mehr will, dann bist du echt gefickt."
Gzuz inszeniert sich als heimisch und harmlos
Leider ergötzen sich die Filmemacher oberflächlich an den Extremen. In sechs Kapiteln versucht die Doku, den biografischen Kontrast mit vielen Gegenschnitten in Szene zu setzen: früher der krakeelende Exzess-Rapper, jetzt der staubsaugende Vater. Natürlich eine interessante Geschichte, doch die Doku hinterfragt Gzuz' Pose nicht, sondern verstärkt sie. Gzuz wünscht sich offensichtlich einen Imagewechsel: Er inszeniert sich als heimisch und harmlos. Und die Filmemacher übernehmen diesen Spin.

Deswegen schaut man Kristoffer Jonas Klauß lange dabei zu, wie er Rasen mäht, am Grill brutzelt, sein rotes Cabrio wäscht, wie er seine Tochter zum Reiten fährt und mit seinen Kindern Delfine beobachtet. Vater-Alltäglichkeiten, möchte man meinen. Aber bei ihm nähren diese Bilder den Eindruck: Vielleicht ist der Mann in Wahrheit doch ganz lieb.
Mit Kalkül habe ich noch nie Scheiße gebaut
Verstärkt wird dieses Gefühl durch Szenen, in denen sich Gzuz als selbstironischer Lausbub präsentiert. Bei einem Festivalauftritt läuft er zu einer Kuhweide, will die Tiere anlocken, ruft "Muuuuuh!". Da wirkt er wie ein Kind, unterhaltsam und spielerisch. Hach, man kann ihn doch nicht so ernst nehmen, diesen Schelm. Aber Gzuz ist halt nicht der tätowierte Pumuckl.

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Erst im vorletzten Kapitel "Bad Boy" geht es um die Gründe für seine Haftstrafen. "Mit Kalkül habe ich noch nie Scheiße gebaut", behauptet Gzuz da. Interessant. Man erinnert sich an seine Songzeile aus Über Nacht: "Ich muss mich einfach nur scheiße benehm'n (ja) / Schmeiß ein paar Fuffis, locke die Groupies / Um genau damit die Zeitung zu füll'n / Und warum? Weil du mir zusiehst."
Kunst und Künstlichkeit
Gzuz ist längst ein popkulturelles Paradox: Ein Künstler, der sich auf die Trennung von Kunstfigur und Person beruft, sobald er vor Gericht landet – und gleichzeitig von der Echtheit seiner Gewalt profitiert. Die Filmemacher hinterfragen diesen Widerspruch nicht. Sie übersehen: Reale Straftaten wirken wie textexterne Beweise für die Wahrhaftigkeit seiner Kunstfigur. Sehr lukrativ für Gzuz. Die absichtlich verschwimmende Grenze zwischen Person und Fiktion – das ist sein Erfolgsrezept. Doch wovon er als Gzuz profitierte, das schadete ihm als Kristoffer Klauß vor Gericht.

Die Doku zeigt zwar kurz eine Gerichtsreporterin von Gzuz' letztem Prozess, ein paar Schlagzeilen werden eingeblendet – ansonsten aber fokussiert sie sich auf haufenweise verharmlosendes Promogelaber: "Auf der einen Seite kommt [Gzuz] voll lustig rüber im Internet", kommentiert Gzuz' Fotograf Pascal Kerouche. "Auf der anderen Seite gibt es die ganzen Skandale, die ihm angehängt werden." Und in diesem Satz, mit dieser passiven Sprache, offenbart die Doku ihre größte Schwachstelle: Die Filmemacher zeichnen Gzuz als Opfer einer missgünstigen Öffentlichkeit. Ein Bad Boy, der nicht anders kann, dem man alles verzeiht, weil er es so schwer hatte und so funny sein kann. Als wäre der Knast böses Schicksal und nicht Ergebnis seines Verhaltens.
Er schleifte mich an den Haaren durchs Haus
Dieser Eindruck entsteht auch, weil der Film so vieles nicht zeigt. Gzuz wird nicht damit konfrontiert, dass er 2020 einen Fan geschlagen hat, als die Frau um ein Selfie bat. Sie kommt auch nicht zu Wort. Genauso wenig wie die Frau, die Gzuz beim "Splash"-Festival 2019 sexuell belästigt hat. Die Doku beleuchtet, wenn überhaupt, nur Gzuz‘ Täter-, aber keine Opferperspektive. Vielleicht liegt das daran, weil im Film-Produktionsteam mehr Männer mit dem Namen Niko (zwei) als Frauen (null) beteiligt waren. Nur so eine Vermutung. Am drastischsten wirkt aber eine weitere Leerstelle: Nie geht es um die Gewaltvorwürfe, die Gzuz‘ Frau Lisa auf Social Media erhob und später zurückzog. Die "Bild" zitierte sie 2019: "Er schleift mich an den Haaren durchs Haus."
Gzuz' ständiges Fehlverhalten wird zur Popcorn-Unterhaltung verzwergt
So wird Gzuz' ständiges Fehlverhalten zur Popcorn-Unterhaltung verzwergt, lediglich Teil seiner Heldenreise. Statt kritischer Nachfragen gibt es Imagepflege in Netflix-Ästhetik. Und das Publikum soll Verständnis haben, statt Verantwortung einzufordern.

Man könnte sagen: Das ist nicht nur Problem der Doku, es ist ein Problem der Gegenwart. Wie Popkultur Täter nicht nur duldet, sondern zur Marke adelt. Und wie schwer sich Öffentlichkeit, Medien und Musikindustrie damit tun, klare Grenzen zu ziehen, wenn jemand Klicks generiert.
Selten blickt die Doku hinter die Pose
Am interessantesten sind die Stellen des Films, in denen Gzuz' Pose Risse bekommt. Es sind leise, beiläufige Szenen. Zum Beispiel, wenn er mit seiner ältesten Tochter in den Reitstall geht. Sie führt das Pferd an ihm vorbei, er schreckt zurück. Sie zieht den Steigbügel aus dem Sattel, möchte aufsteigen. Er fachmännert ungefragt, aus sicherer Distanz: "So, jetzt schwing dich da hoch, Malina. Zack, aus dem linken Bein, Zack, das andere Bein drüberschwingen." Sie nur trocken: "Willst du's machen?" Da wird deutlich: Seine hypermaskuline Pose ist nicht nur Geschäftsmodell, sondern auch Schutzpanzer gegen jede Form von Unsicherheit.

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Am Ende sehen wir einen nachdenklichen Gzuz im Auto, Regen peitscht an die Frontscheibe, dazu Klaviermusik. Und Gzuz' Manager urteilt, dass all die Haft- und Geldstrafen nun vielleicht zu einem "Umdenken" bei ihm geführt habe.
Im März 2025 wurde Gzuz wieder von der Polizei angehalten – sie fand weißes Pulver bei ihm, mutmaßlich Drogen. Gzuz beleidigte dann die Beamten. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen ihn erhoben. Falls er verurteilt wird, könnte er wieder im Gefängnis landen. Er steht ja noch unter Bewährung.
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