Der Lamborghini Aventador SV Roadster ist ein Auto, das Aufmerksamkeit erregt. Als am 6. Juni eines der weltweit nur rund 500 existierenden Modelle über die Swinemünder Brücke in Berlin-Gesundbrunnen rollte, kam es kurzerhand zu einem Verkehrsstau. Der Grund aber war weniger das Auto als der Mann am Steuer.
An besagtem Junitag drehte der Rapper Shindy auf der Brücke nämlich das Video zu seiner neuer Single „Prototyp“. Der Song ist Teil von Shindys gerade veröffentlichen Longplayer mit dem Titel „<3 MY PEOPLE“, wobei die „Kleiner als drei“-Zeichenfolge in der Jugend- und Digitalsprache ein Herz symbolisiert – Shindy liebt seine Leute also.
Wer das Video zu „Prototyp“ schaut, bemerkt darin auch einen sehr echt aussehenden Polizeiwagen. Tatsächlich kam während des nicht genehmigten Drehs ein Streifenwagen mit Blaulicht angefahren und stoppte den Lambo samt Shindy. Endgültig zur Meldung mit Nachrichtenwert wurde der Vorfall für die Berliner Lokalpresse, als der diensthabende Polizist seine Begeisterung für Shindy offenbar nicht mehr im Zaum halten konnte. Kurzerhand fragte er den Rapper nach einem Selfie, um sodann mit der Ansage „15 Minuten, okay?!“ wieder von dannen zu ziehen: Berliner Polizei „kleiner als drei“ Shindy.
Als Sohn eines deutschen Vaters und einer griechischen Mutter 1988 unter dem bürgerlichen Namen Michael Schindler geboren, gilt Shindy als einer der talentiertesten Rapper im deutschsprachigen Raum. Doch so viel Talent Shindy auch haben mag – mit dem Business haperte es stets in seiner Karriere. Nach dem Ende der vertrackten Zusammenarbeit mit Bushidos Label „Ersguterjunge“, bei dem er trotz drei Album-Veröffentlichungen nie direkt unter Vertrag war, gründete er 2018 das Label „Friends with Money“. Dort jedoch geriet er schon bald mit seinem Geschäftspartner in vertragliche und steuerliche Querelen, die Shindy 2021 selbst öffentlich machte. Damals sprach er von „mehr als fragwürdigen Vertragsverhältnissen“, die ihn kreativ blockierten.
Sein letztes Album „In meiner Blüte“ erschien daher mit zweijähriger Verspätung erst 2023 und sollte eigentlich dieses Jahr mit „Blüte 2“ fortgesetzt werden. Der Langspieler „<3 MY PEOPLE“ aber trägt die Botschaft auf dem Cover: „This is not Blüte 2. This is for the people.“ Was genau dieser Langspieler ist – ob Album, Mixtape oder was auch immer – ist nicht ganz klar. Shindy und seine Musik – das bleibt irgendwie kompliziert.
„Oberpfaffenhofen Freestyle“
Die Single „Prototyp“ mit dem aufgekratzt wirkenden Beat, dem aggressiven Gebelle von Feature-Partner „Massiv“ und den üblichen darin propagierten Statussymbolen ist mittlerweile übrigens eher die Ausnahme bei Shindy. Mit der Lossagung von Förderer Bushido schlug er auch musikalisch neue Wege ein. Spätestens auf dem 2019 erschienenen Album „Drama“ kultivierte er mit Cristiano-Ronaldo-haften Beauty-Eskapaden aus Mandelmilch, Bademänteln und Frischzellenkuren sein Image als modebewusster und wellnessaffiner Eskapist, der sich dazu bekennt, „Skin-Care“ zu betreiben.
Damit wurde er zur Antithese des grobschlächtigen Ghettorappers und prolligen Neureichen – quasi vom Bordstein zur Bucherer-Filiale. Auf „<3 MY PEOPLE“ schneidet Shindy seine Milieu-Flucht auf dem Song „All About“ auch kurz an, wo er zunächst „Ich hab‘ die Zeit geliebt, aber ich brauch kein Bushido“ textet, ehe er Flers alte Line vom legendären „CCN2“-Album mit Bushido „Im Ghetto kenn mich jeder, Elektro-Fensterheber“ kurzerhand in „Im Ghetto kennt mich jeder, Chanel-Tennisschläger“ ummünzt.
Besagter Tennisschläger lässt sich stellvertretend für Shindys „Old Money“-Attitüde und sein Faible für vermeintlich biederen Luxus lesen. Der Deutsch-Grieche, aufgewachsen im schwäbischen Bietigheim-Bissingen – einem Ort, dessen einziges Ghetto nachts der Parkplatz hinter dem Getränkemarkt oder dem Gartencenter ist – übersiedelte vor ein paar Jahren mit seiner Familie nach München, wo er es sich nun anscheinend gut gehen lässt. „Catch mich Dallmayr, ich bin ein Wahl-Bayer“, heißt es in „Prototyp“, und auf einem Song mit dem eingängigen Titel „Oberpfaffenhofen Freestyle“ rappt er auf einen extrem smooth klingenden Funk-Beat:
„Ich fahr’ von Garmisch-Partenkirchen/ nach Baden-Baden würfeln / Pagen fragen, ob sie meinen Wagen parken dürfen/ Mein Barber kam grad angefahr’n, um Haar und Bart zu bürsten/ Frag nicht nach, du würdest bei der Tagesgage würgen“
Geht runter wie Mandelblütenöl auf Shindys knusprig-braunem Adoniskörper und bietet zugleich neue Perspektiven. Denn nachdem Deutschrap sich in den vergangenen fünfzehn Jahren in den ewig gleichen Loops aus Berliner oder Frankfurter Ghettos, amerikanischem Küstenlifestyle und blankpoliertem Dubai-Geflexe verfangen hat, ist die Rückbesinnung auf die süddeutsche Provinz ein erstaunlich erfrischender Topos.
Rappen auf Latein
Die ganze Bandbreite von Shindys Exzentrik schimmert auch auf im Song „Habemus Papam“ durch. Der Track beginnt mit einem Sample von Camerlengo und Kardinal Martinez Somalo bei der Papstwahl 2005, worauf Shindy beginnt, auf Latein zu rappen.
„In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti Oh Mein Gott, ist es, wie ich mich anzieh‘? Ist es, wie ich mich schmücke? Erklär‘ deiner bitch, wer ich bin, als ob sie‘s nicht wüsste“
Ist das formvollendeter Größenwahn oder katholische Postironie – keine Ahnung, wahrscheinlich beides. Mit seiner Mischung aus Dekadenz und Katholizismus („Gott ist der Größte und die Patek macht bling-bling“ rappte er schon 2019 auf „Nautilus“) bewegt sich Shindy jedenfalls ganz in der Fin-de-siècle-Tradition der Dandys und deren Flucht in ästhetische Gegenwelten. Oscar Wilde oder der Charakter „Des Esseintes“ aus Huysmans 1884 erschienenem Dekadenz-Manifest „À Rebours“ („Gegen den Strich“) lassen grüßen.
Doch auch bei Shindy ist nicht alles Gold, was glänzt. Obwohl es kaum einen Rapper gibt, der in den vergangenen zehn Jahren mit Songs wie „Affalterbach“, „ROLI“ oder „Nautilus“ so viele Hits produziert hat, waren bisher sämtliche Alben von Shindy eher durchwachsen. Vor allem aufgrund der thematischen Eintönigkeit ging dem „Fashion Beast“ auf der Langstrecke bisher immer die Puste aus. Daran ändert auch „<3 THE PEOPLE“ nichts, das Mixtape/Album/Was auch immer fällt durch redundantes Namedropping von Uhren und Modemarken auf. Ein paar gesammelte Beispiele: „Hermès-Bag-Collector, ich bin ein Patek-Sammler“, „Viertelmio ohne Stein in der Patek“ oder „Rose Gold-Nautilus mit Chocolate Dial“ – Danke, wir wissen’s jetzt.
Mit „<3 MY PEOPLE“ bleibt Shindy sich also treu – im überwiegenden Guten wie im Schlechten – und bestätigt seinen Ruf als stilbewusster Eskapist und Dandy. Das erkennt sogar die Berliner Polizei an.
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