Der „Tänzerinnenbrunnen“ von Georg Kolbe steht im Garten des ehemaligen Ateliers des Bildhauers, dem heutigen Georg-Kolbe-Museum in Berlin-Westend. Die bekrönende Bronzeskulptur einer nackten jungen Frau, die sich anmutig armwedelnd dem Ausdruckstanz hingibt, gilt als eines der bedeutenden und schönsten Werke des Künstlers. Der damalige Direktor der Victoria-Versicherung Heinrich Stahl hatte den Brunnen im Jahr 1922 in Auftrag gegeben und im Garten seines Hauses platziert.
1933, kurz nachdem Hitler die Macht übernommen hatte, wurde Stahl Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde von Berlin. 1937 musste er auf Druck des NS-Regimes große Teile seiner Kunstsammlung verkaufen. 1941 wurde auch seine Villa konfisziert und die Tänzerinnenskulptur an den bulgarischen Konsul Theodor Dimanow „günstig“ verkauft.
Eine Flucht aus Deutschland gelang Heinrich Stahl nicht mehr, sein gesamtes Vermögen wurde beschlagnahmt. Stahl wurde mit seiner Ehefrau Jenny ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo er 1942 in der Haft starb. Jenny Stahl überlebte und emigrierte nach dem Zweiten Weltkrieg in die USA, wohin bereits Sohn Bruno geflüchtet war.
Recherche in den Wiedergutmachungsakten
Die Skulptur der „Tänzerin“ gelangte nach Spanien. Im Jahr 1978 wurde sie von den Nachfahren Dimanows an die Georg-Kolbe-Stiftung verkauft und mit dem in Berlin aufgefundenen steinernen Sockel – eine stilisierte, von drei männlichen Figuren getragene Blüte – wieder zum Brunnen zusammengesetzt. Seitdem plätschert er unbehelligt von seiner Raubkunstvergangenheit im Garten des Museums.
Dass die Tänzerinnenskulptur Anfang der 1940er-Jahre an den Konsul Dimanow veräußert wurde, ist Unrecht. „Dieser Verkauf ist eindeutig unter NS-verfolgungsbedingten Maßnahmen erfolgt, also unter Zwang.“ Das bekannte die Direktorin des Georg-Kolbe-Museums Kathleen Reinhardt nun gegenüber dem RBB. Das Museum stehe zu den Washingtoner Prinzipien (Grundsätzen zur Rückgabe von NS-Raubkunst) und strebe eine „gerechte und faire Lösung“ mit den Erben Stahls an, besagt ein Statement vom 5. Juli.
Dass die Nachfahren „2001 auf Ansprüche verzichteten“, wie es in der Mitteilung des Museums auch heißt, sei jedoch „völlig falsch“. So erklärt es der Berliner Rechtsanwalt Lothar Fremy, der zwei der vier Erben vertritt, gegenüber WELT AM SONNTAG. Das sei aus den Wiedergutmachungsakten im Berliner Landesarchiv ersichtlich: „Aus diesen Akten geht eindeutig hervor, dass die Stahl-Erben um die Restitution dieses Brunnens betrogen wurden.“ Fremy habe das Kolbe-Museum darüber bereits im Mai dieses Jahres informiert.
Tatsächlich dürfte es früher in Kenntnis des Sachstands gewesen sein. Museumsdirektorin Reinhardt hat über den Brunnen und besonders die Trägerskulpturen in Gestalt von Afrikanern recherchiert und gerade ein Buch veröffentlicht. Es nehme „eine kritische Stereotypenbefragung der dargestellten Personen in Bezug auf Geschichten des Rassismus sowie der Misogynie vor“, so die Verlagsbeschreibung, untersuche die „antisemitische Objektgeschichte“ und „inwiefern es sich um NS-Raubgut handelt“.
Doch dieser letzte Punkt ist belegt – allein die Konsequenzen fehlen. „Wir haben einen verfolgungsbedingten Vermögensverlust und die Tatsache, dass die Stahl-Erben für den Verlust nie entschädigt wurden“, sagt Fremy. „Jetzt geht es eigentlich nur noch darum zu klären, wie die Lösung aussehen soll.“ Sprich: eine Rückgabe oder entsprechende Entschädigung. Aber nach Ansicht des Anwalts sei Reinhardt „auf diesem Auge blind“ und habe „nicht realisiert, um was es eigentlich geht“.
Besitzstandswahrung kann in einem solchen Fall von auch öffentlichem Interesse nicht Ziel des Museums sein. Mitte Juli 2025 soll es ein Treffen mit den Erben geben. Kathleen Reinhardt, die im Jahr 2026 zudem den Deutschen Pavillon auf der Kunstbiennale von Venedig kuratorisch leitet, steht in der Verantwortung.
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