Am Ende des Prozesses gegen Sean „P. Diddy“ Combs, nach 29 Tagen des Verhandelns in sechs Wochen, stand der Angeklagte auf und sagte, dass er nichts zu sagen habe, bis auf: „Mir geht’s super, Euer Ehren. Ich wollte Ihnen schon länger danken.“ Combs deutete einen Diener an, der Richter lächelte. „Sie machen Ihre Arbeit exzellent!“ Er setzte sich wieder. Ein Mann der Macht.

Nach 34 Zeugen, die zu 120 Fällen aufgeboten wurden, und nach ausführlicher Sichtung der Beweise, war alles gesagt. Die Anklage fasste in ihrem abschließenden Plädoyer noch einmal die Combs vorgeworfenen Straftaten zusammen. Kidnapping und Zwangsarbeit, Sexhandel und Bestechung, Brandstiftung und Führung einer kriminellen Organisation. „Jetzt kennen sie die vielen Verbrechen, die der Angeklagte mit Mitarbeitern seines Unternehmens begangen hat“, sagte die stellvertretende Staatsanwältin Christy Slavik: „Dabei duldete er keinen Widerspruch.“ In seinem „Königreich“. Combs habe „Macht, Gewalt und Angst genutzt, um zu bekommen, was er wollte“ – und „das Schweigen und die Scham der Opfer“, um seine Verbrechen zu vertuschen.

Die Verteidigung plädierte unverdrossen auf nicht schuldig. Combs Anwalt Marc Agnifilo folgte auch in seinen letzten Worten einer effizienten, effektiven Strategie, um einen Freispruch zu erwirken: Nein, der Angeklagte sei kein guter Mensch und auch kein netter Mann mit seinen sehr speziellen sexuellen Vorlieben und seinem „Swinger-Lifestyle“, Moralisten mögen ihn ein Monster nennen, aber ein Verbrecher sei er deswegen noch lange nicht, schon gar nicht als Boss einer kriminellen Bande. „Wir stehen zur häuslichen Gewalt.“ Ja, Combs habe die Frauen geschlagen und getreten, aber nie gezwungen, etwas gegen ihren Willen für ihn zu tun. „Es stand ihr immer frei zu gehen“, sagte Agnifilo über Cassie Ventura, ohne deren Klage vor zwei Jahren der Prozess gegen Combs nie eröffnet worden wäre: „Nein, sie blieb bei ihm, weil sie ihn liebte.“

Nun haben sich die Geschworenen geeinigt, in allen fünf Punkten. Freigesprochen hat ihn die zwölfköpfige Jury von den beiden schwersten Vorwürfen, vom Sexhandel und von organisierter Kriminalität. Schuldig gesprochen wurde Combs wegen Prostitution. Bei der Verkündung seines Urteils in New York am Mittwochvormittag zur Ortszeit soll er nicht dem Richter, sondern Gott gedankt haben.

Zuallererst sollen Gerichte Recht sprechen. Gerichte und Geschworene sind nicht die oberste Instanz der Volkserziehung, einerseits. Andererseits gäbe es kein Gericht ohne gesellschaftlichen Auftrag, jedes Urteil trifft gewissermaßen auch eine soziale Aussage. Was sagt das Urteil der Geschworenen im Prozess gegen Sean „P. Diddy“ Combs? In vier Punkten waren sie sich schon nach zwei Tagen einig. Uneins waren sie sich bis zuletzt darüber, ob sie Combs als Kopf eines Systems bewerten sollten, das in kriminellen Strukturen agiert. Der Rap-Mogul als Mafia-Pate. Vor vier Jahren sah die Jury es im Fall des R&B-Sängers R. Kelly für erwiesen an, in seinen selbsterschaffenen Machtstrukturen teils noch minderjährige Frauen systematisch sexuell missbraucht zu haben. Kelly sitzt für 30 Jahre im New Yorker Metropolitan Detention Center, wo auch Diddy während des Verfahrens inhaftiert war, bei, wie man so sagt, durchaus erdrückender Beweislage.

Weil vom Prozess seit seinem ersten Tag zwar lückenlos berichterstattet wurde, allerdings bei abnehmender Resonanz auf die Berichte über wüste Partys, und weil niemand mehr davor, wie noch bei Harvey Weinstein und Bill Cosby, mit MeToo-Schildern dagegen protestierte, hier also noch einmal, worum es eigentlich ging – in Auszügen: Voraus ging allem die Zivilklage der Sängerin Cassie Ventura gegen Combs, 2023.

Seine ehemalige Geliebte warf ihm vor, sie über Jahre hinweg systematisch sexuell missbraucht zu haben. Psychische und physische Misshandlungen und Vergewaltigungen, Zwang zum Sex mit männlichen Prostituierten, weil Combs ihr gern dabei zusah, und die Orgien, Diddys „Freak-offs“. Das Gericht zog damals schon ein älteres Überwachungsvideo heran, in dem Combs, nackt bis auf ein Handtuch um die Hüften, im Hotelflur auf sie einschlug und, als sie zu Boden ging, auf seine Freundin eintrat. Combs veröffentlichte daraufhin ein Video und bat Ventura um Verzeihung. Sie stimmte einem Vergleich zu, das Verfahren wurde eingestellt.

Aber so, wie der Hashtag und der Furor von MeToo das Opfer erst zur Klage gegen Combs ermuntert hatte, nahm die Staatsanwaltschaft erst im öffentlichen Aufschrei über das gezahlte Schweigegeld ihre Ermittlungen auf. Razzien in den Geschäfts- und Wohnräumen des Rappers stellten allerlei Beweise sicher: Ketamin-K.-o.-Tropfen, nicht zugelassene Waffen und Lager voll Babyöl für, laut Zeugenaussagen, Combs legendäre „Freak-offs“. Im Prozess wurde alles erläutert und vertieft. Die Feiern, neben den „Freak-offs“ auch die „White Partys“ mit Jay-Z und Justin Bieber, Leonardo DiCaprio und Prinz Harry. Die konkreten Klagefälle: ein zur Tatzeit Neunjähriger, der nach einem Bad-Boys-Records-Casting in New York von Combs missbraucht worden sein soll. Eine zur Tatzeit 15-Jährige bei einer dieser Partys, wo sie von Combs unter Drogen gesetzt und von mehreren Gästen vergewaltigt worden sein soll. Und eine zur Tatzeit Schwangere, die Combs bei einem Abendessen in Miami mit K.-o.-Tropfen betäubt, missbraucht und vergewaltigt haben soll. Drei Fälle von 3000, die laut Staatsanwaltschaft angezeigt und 120 davon, die in den vergangenen sechs Wochen verhandelt wurden.

Der Prozess verdichtete sich dabei in den Auftritten und Aussagen von Opfern wie Cassie Ventura und einer Frau mit dem Pseudonym „Jane Doe“. „Jane Doe“ erzählte von Hotelnächten, in denen sie zum Sex in allen möglichen Konstellationen, auch mit Wildfremden, gedrängt, genötigt und gezwungen wurde. „Da ging vieles durcheinander, Zuneigung und Liebe, und immer unter emotionalem Druck“, erklärte sie. „Ich wollte meine Pflichten als Freundin erfüllen.“ Cassie Ventura schilderte noch einmal in für alle Anwesenden peinlichen Details, wie die „Freak-offs“ abliefen und wie sich der Gastgeber verhielt, wenn sie als Frau an seiner Seite nicht bei allem vorbehaltlos mitspielte.

Hier wurde es tatsächlich interessant. Allerdings weniger wegen der wirklich trostlosen Berichte aus dem Sexleben eines schwerreichen, mächtigen Mannes, der einmal einer der einflussreichsten Hip-Hop-Unternehmer dieser Welt war, sondern aufgrund der Verteidigungsstrategie. Genüsslich verlasen Combs Anwälte private Nachrichten, in denen sich Ventura auf den Freund und seine Orgien freute: „Lass mich dein kleiner Freak sein!“

„Es gibt auf der ganzen Welt niemanden, den ich so liebe wie dich“, schrieb sie ein Jahr, nachdem er sie im Hotel verprügelt hatte. Bereits im Eröffnungsplädoyer am 5. Mai sagte Teny Geragos, einer der Verteidiger, es so: „Hier geht es um Entscheidungen von mündigen Erwachsenen in einer einvernehmlichen Beziehung.“ Anders gesagt: Hier geht es wieder weniger darum, was Frauen angetan wurde, sondern darum, was sie von Männern mit sich machen lassen. Oder wie es Combs Anwalt Marc Agnifilo ausdrückte, als er in seinem Plädoyer von einem „Scheinprozess“ sprach und über „Jane Doe“ sagte: „Ich weiß nicht, was ‚Jane‘ heute macht. Sie macht es allerdings in einem Haus, das er bezahlt hat.“

Im „New Yorker“ schreibt Doreen St. Felix, eine Essayistin und Hip-Hop-Expertin, schon vom „Kollaps der MeToo-Bewegung“ in der Unterhaltungsbranche: „Wir befinden uns nicht mehr in der MeToo-Ära. Geschichten über Missbrauch und Belästigung werden heute mit Skepsis und Zynismus und Erschöpfung aufgenommen.“ Combs Verteidiger führten als Kampfbegriff den „MeToo Money Grab“ ins Feld, die MeToo-Geldgier. Umso leichter war es für sie und ihren Mandanten, sich die Videos anzusehen und die Vorwürfe von Opfern anzuhören, und zu sagen: Ja, so war es, nicht so schön das alles, für alle Beteiligten, aber wo liegt darin ein Rechtsbruch? Häusliche Gewalt? Bei aller Liebe? Agnifilo machte sich in seinem Plädoyer auch über die Ermittler lustig, die das Babyöl-Lager für Diddys „Freak-offs“ ausgehoben hatten: „Gut gemacht, Jungs!“

Häme über Strafverfolger, Staatsanwälte, Ankläger und Hohn für Zeugen, Opfer und die Frauen im Gericht. Der Wind hat sich wieder gedreht. Der Ton wird schärfer zwischen den Geschlechtern, männlicher und härter, nicht nur, wenn er Frauen ins Gesicht weht: Empathie sei schwach und weiblich. Moral sei etwas für Männer, die keine mehr seien. Ein Mann wolle nicht erzogen werden, schon gar nicht zu „positiver Männlichkeit“, was immer das auch sein sollte. Wird Combs, wenn für ihn alles ausgestanden ist, in dieser Wende rückwärts noch zum Widerstandskämpfer gegen eine zum Popanz aufgeblasene „Wokeness“, gegen die alles, was er anderen angetan und was er angerichtet hat, ein Witz ist?

Donald Trump, selbst von einem Zivilgericht verurteilt wegen sexuellen Missbrauchs, hatte schon, als der Prozess begann, laut überlegt, ob er Combs nicht begnadigen sollte, wenn es anders käme als gedacht. Oder wenn Sean „P. Diddy“ Combs als Zuhälter dann vielleicht doch ins Gefängnis muss.

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