Der Lebensretter muss selbst gerettet werden. Nicht von einem Seemann, der es ihm allenfalls schuldig sein könnte, sondern vom Denkmalschutz. Über die Jahre wurde der Betonsockel des Leuchtturmes vom Salzwasser zerfressen und ist nun marode. Doch der Leuchtturm mit dem Namen «Roter Sand» ist ein geschütztes Gebäude. So suchte ihm die Deutsche Stiftung Denkmalschutz eine neue Heimat auf dem Festland. Das Interesse war gross: gleich vier Gemeinden buhlen darum, ihm «Asyl» gewähren zu dürfen. Leuchttürme sind wohl gerade in stürmischen Zeiten heiss begehrt.

Touristisch kann ein Leuchtturm ein Glücksfall sein. Man kann darin Schlafen, Heiraten oder Essen. Menschen, auch Landratten, mögen Leuchttürme einfach. Da kann die Küste Kilometer weit weg sein und der Leuchtturm nur ein Bild, doch schon rauscht das Meer in den Ohren, man riecht Salzwasser, fühlt die Einsamkeit und die übermächtige Natur. Leuchttürme seien ein Symbol dafür, dass Menschen einander brauchten. So sieht es gar der Autor des Buches «Kleiner Atlas der Leuchttürme am Ende der Welt».

Er steht für Gefahr – und Geborgenheit

Tatsächlich ist das psychologische Assoziations-Potenzial eines Leuchtturmes wohl recht einzigartig: Angst und Geborgenheit, Freiheit und Gefahr, Weite und Klaustrophobie, Heimweh und Fernweh. Diese Breite möglicher Gefühle macht Leuchttürme auch für Kunstschaffende attraktiv.

Legende: Leuchttürme sind nicht nur echte Hingucker und Touri-Magneten, sondern auch Inspirationsquelle für alle Arten kultureller Produktion. (Ostseebad Warnemüde, 24. August 2024) IMAGO/Christian Ender

«Zum Leuchtturm» heisst etwa das erfolgreichste Werk, der berühmten amerikanischen Schriftstellerin Virginia Woolf. Die Arbeit daran hat sie vor fast genau hundert Jahre begonnen: im Mai 1925. Der Leuchtturm steht darin für ein gebrochenes Versprechen Erwachsener gegenüber einem Kind. Für Macht und Ohnmacht. Woolf hat in dem Buch ihre Kindheit aufgearbeitet.

Kultur + Leuchtturm = Traumpaar mit Strahlkraft

Erst vor wenigen Wochen – am 29. Mai – tauchte in der französischen Hafenstadt Marseille das Graffiti eines Leuchtturmes auf. Die Fotos davon gingen um die Welt. Der Leuchtturm wird dem Streetart-Star Banksy zugeschrieben. Er schrieb darunter: «I want to be what you saw in me». Ich will sein, was du in mir siehst.

Legende: Neuster Banksy in Marseille: ein düsterer Leuchtturm mit hellem Lichtstrahl. Raffiniert: Das Wandbild wirkt, als würde es optisch den Schatten eines Pollers auf dem Gehweg verlängern. Getty Images/Arnold Jerocki

Doch so richtig spannend ist der Leuchtturm wohl, weil er auch für die dunklen Seiten des Lebens steht. Für Gefahr, Einsamkeit und Tod.

«Roter Sand» landet auf dem Festland

Im Song «The Mystery of the Flannan Isle Lighthouse» erzählt die Kult-Band Genesis die wahre Geschichte dreier Leuchtturm-Wärter. Diese verschwanden 1900 bei der Arbeit spurlos. Nur ihre Öljacken und die sorgsam vorbereitete Mahlzeit wurden gefunden. Sie ertranken wohl während eines Sturmes, als sie einander helfen wollten. Über Jahre regte die Frage nach ihrem Schicksal die Fantasie der Menschen an.

Grosse Beklemmung löst der Film «Der Leuchtturm» (2019) aus. In Schwarzweiss und quadratisch gedreht, dient darin ein einsamer Leuchtturm den Schauspielern Robert Pattinson und Willem Dafoe als klaustrophobischer Erzähl-Rahmen. In dessen Inneren entfaltet sich nach und nach die ganze Palette menschlicher Grausamkeit. Zwei Leuchtturm-Wärter, die aufeinander angewiesen wären, gleiten ab in Tyrannei und Gewalt.

Doch zurück zu «Roter Sand». Sicher ist: Er wird künftig trockene Füsse haben. Wo genau er stehen wird, darüber entscheidet die Deutsche Stiftung Denkmalschutz in einigen Wochen.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke