Wir wollen mal wieder versuchen, was uns und vor allem Mitgliedern der Friseurinnung verhältnismäßig selten gelingt – das Naheliegende zu vermeiden nämlich. Bei Mitgliedern der Friseurinnung führt der misslungene Versuch bei der Namenswahl für ihr Waschenlegenschneidenetablissement zu Wortschöpfungen, die einem die Locken aus den Haaren treiben: SaHaara, Vier Haareszeiten, HairCooles zum Beispiel.

Wir hingegen wollen in unserer Kolumne überhaupt jegliche Anspielung auf Haare vermeiden. Was schwer wird, weil der neue Zürcher „Tatort“ in mehrfacher Hinsicht nicht zufällig „Rapunzel“ heißt und von einem Wirtschaftszweig und einem Kunsthandwerk handelt, deren haarige Umtriebe, um die es in „Rapunzel“ geht, selbst wie aus dem Märchenbuch der kapitalistischen Alpträume entnommen wirken.

Vielleicht fangen wir an den Spitzen der Geschichte an. Vanessa hängt aufgespießt wie von einem Neuntöter in einem Baum unterhalb eines Abhangs über Zürich. Sie ist jung und schön. War es jedenfalls. Wir haben sie in einer Zürcher Disko gesehen. Irgendwas war da. Lynn, mit der sie zusammenlebt, kann sie kaum beruhigen. Irgendwie wollen sie weg. Irgendein großes Geschäft haben sie am Laufen.

Die Haare sind der toten Vanessa von einem mörderisch gestörten Sadocoiffeur halb heruntergeschnitten worden. Sie ist die Tochter eines Zürcher Starfriseurs und arbeitete in einer Perückenmacherei. Das ist ein ehrenwertes, aber seit der Barockzeit doch ziemlich in Vergessenheit geratenes Kunsthandwerk. Von großer psychologischer und religiöser Bedeutung allerdings. Krebskranke sind die Kunden und orthodoxe Juden. „Haare“, heißt es einmal, „sind der Sitz der Seele.“

Man lernt viel in diesem auf der Schwelle zum Surrealen tanzenden „Tatort“. Das tun die Fälle der Kommissarinnen Ott und Grandjean, seit es sie gibt. Beinharte Kapitalismuskritik kreuzt sich an der im Sonntagabendkrimi stets sehr grauen Goldküste gern mit sagenhaften Gestalten, mythischen Geschichten.

Heiteres Metaphernraten

Womit wir zwischendurch Entwarnung geben müssen. Irgendwelche tiefenpsychologischen Analysen in der Drewermann-Nachfolge scheut „Rapunzel“ wie Goliath den Barbershop. Adrian Illien, zuletzt Headautor bei der ziemlich schicken Agenten-Serie „Davos 1917“, spielt in seinem Buch mit Motiven, alle naselang taucht irgendwo eins auf. Man kann ein heiteres Metaphernraten veranstalten, bei dem selbst jene gewinnen können, die nicht viel mehr als „Rapunzel, Rapunzel, lass dein Haar herunter“ erinnern können aus ihrer Grimm-Phase. Diese Locken braucht die Geschichte allerdings auch ein bisschen, um die Glatze zu vertuschen, die sie eigentlich ist.

Zurück zu Vanessa und Aurora Schneider. Während Vanessas Vater sich in seinem Blingbling-Salon sonnt, sitzt Aurora nämlich in ihrer Souterrain-Butze und sorgt dafür, dass Todkranke wieder einigermaßen beruhigt in den Spiegel schauen können. Und dass Frauen ultraorthodoxer Männer, die sich nach der Hochzeit ihr tatsächliches Haar abrasieren müssen, mit falschen Frisuren versorgt werden.

Ein verkommenes Geschäft. Man sollte die Lieferkette besser nicht bis zur Wurzel verfolgen. An den Perücken klebt nämlich Blutgeld. Die Haare werden den Ärmsten der Welt abgenommen und den Reichen als koschere Ware verkauft. „Majestic Hair“ (wir sind sehr froh, dass Adrian Illien sich und uns jegliche naheliegendere Namenswahl erspart hat) heißt die Firma derer von Landegg, die unter anderem Tempelhaare aus Indien an den Zürich-See verbringen. Nun ist Ware im Wert von 100.000 Euro verschwunden.

Am Ende der Haarmetaphern

Eine Geschichte, die bei den „Rosenheim Cops“ in einer knappen Dreiviertelstunde zur Zufriedenheit aller abgehandelt würde. Tobias Ineichen, gewissermaßen Zürich-„Tatort“-Regie-Veteran, und Illien drehen so lange an dem dünnen Plot herum und sprayen soviel psychologischen Festiger hinein, bis eine halbwegs ansehnliche … Jetzt gehen uns die Haarmetaphern aus.

Was noch nüchtern zu bilanzieren wäre, ist, dass „Rapunzel“ ästhetisch und bilddramaturgisch tatsächlich ansehnlich ist. Und dass Ineichen und Illien das sperrige, sich anfangs in herzlicher Stacheligkeit eher weniger zugetane Zürcher Ermittlerteam zu einem geradezu geschwisterlichen Verhältnis verhelfen. Was Hoffnung macht auf die nächste Geschichte vom Zürich-See, die vielleicht weniger – naja – an den Haaren herbeigezogen ist.

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