Weiße Bilder, wie langweilig. Auf Fotos sehen die monochromen Gemälde am Eingang der Schau fast nach nichts aus, im Museum kann man sich dagegen nur schwer von ihnen lösen. Es gibt eben viele Arten von Weiß. Da ist ein cremig aus gefärbtem Wachs gespachteltes Weiß auf Jasper Johns’ „Large White Numbers“ von 1958. Da ist ein Weiß so rissig wie Wüstenboden auf Robert Rauschenbergs „White Paintings“, und da ist das bleich-weiße Palimpsest aus Stiftspuren und erratischen Formen bei Cy Twombly. Man verliert sich darin wie in der Landkarte einer unbekannten Weltgegend, die noch kaum erkundet ist.
Der erste Saal der Ausstellung „Fünf Freunde“ im Münchener Museum Brandhorst ist einer Nichtfarbe gewidmet. Weiß erzeugt eine Stille, die ganze Sinfonien enthalten kann. Der Komponist John Cage bezeichnete Rauschenbergs 1951 entstandene weiße Bilder einmal als „Flughäfen für Lichter, Schatten und Partikel“ und nahm sie zum Anlass zu seiner berühmtesten Komposition.
1952 komponierte Cage „4′33″’’. Bei diesem vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden langen Stück öffnet der Pianist den Klavierdeckel und schließt ihn nach dieser Zeit im Titel definierten Zeit wieder. Währenddessen hat man nichts und alles gehört – den Raum, in dem man sich befindet und die eigenen Gedanken.
Dieses Herunterpegeln auf den Nullpunkt schien Anfang der 1950er-Jahre für fünf der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts eine Notwendigkeit gewesen zu sein. Zum ersten Mal unternimmt eine Ausstellung den Versuch, die engen künstlerischen und persönlichen Beziehungen zwischen Robert Rauschenberg, Jasper Johns, Cohn Cage, Merce Cunningham und Cy Twombly zu untersuchen. Sie bildeten nie eine Künstlergruppe im engeren Sinne so wie die Brücke oder die Gruppe Zero.
Die fünf Freunde erscheinen einem in dieser informierten Rückschau wie eine informelle, halb private Befreiungsbewegung, die sich zu Beginn der Fünfziger am Black Mountain College in North Carolina und in New York herausbildete. Es waren bleierne Jahre.
Auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs ging in Amerika nicht nur die „Red Scare“ (Rote Angst) um, weil unter Anleitung des Senators Joseph McCarthy echte und vermeintliche Kommunisten vor Tribunale gezerrt wurden, sondern auch die „Lavender Scare“ (Lavendel-Angst), eine massive, staatlich initiierte homophobe Verfolgungskampagne. Durch ein neu erlassenes Gesetz pauschal als Sicherheitsrisiko eingestuft, verloren tausende Regierungsangestellte aufgrund ihrer Homosexualität den Job. Die homophobe Paranoia sollte noch lange nachwirken.
Aber was hat das eine eigentlich mit dem anderen zu tun, die Kunst mit dem queeren Begehren? Man kann die Nachwirkungen daran sehen, dass die private Seite der Künstler von der Kunstgeschichte beschwiegen wurde, solange sie nicht heterosexuell war. Sie wurde aber eben auch von den Künstlern nicht thematisiert, die einer anderen Generation angehören, einer, in der über manches eben nicht öffentlich gesprochen wurde.
Kunst ohne expressionistisches Pathos
Vielleicht, denkt man beim Durchwandern der Säle, ist es die eigene unausgesprochene Außenseiterposition, die damals mit zur Weigerung beitrug, sich den heroischen Pathosformeln der abstrakten Expressionisten anzuschließen. Wenn man die Dinge von der Seite betrachtet, kann man sie niemals so ernst nehmen wie jene, die in ihnen aufgehen. Und das taten Rauschenberg und Co. eben nicht.
Ausgestopfte Tiere, Zeitungsfetzen und von der Straße aufgelesene Objekte fanden mit ihnen Eingang in die Hochkunst. Jasper Johns goss Bierdosen in Bronze und malte die amerikanische Flagge. Kunsthistorisch passt diese Konstellation also in keine gängige Kategorie – sie sind weder eine Gruppierung mit einem gemeinsamen, ausformulierten Programm noch Solitäre, die in der üblichen Konkurrenz zueinander stehen.
Mit insgesamt 180 Werken kann die „Fünf Freunde“-Schau aus dem Vollen schöpfen. Ihr Reichtum Malerei, Skulptur, Bühnenbildern, Kostümen und Fotografien entspricht dem Überfluss an Ideen und Elan, der die amerikanische Kunst in der zweiten Jahrhunderthälfte ausmacht. Zwei Dinge sind entscheidend in dieser Zeit: Zufall und Freiheit.
Bei John Cage sind die Klänge sich sozusagen selbst überlassen. Sie werden von Stille eingefasst und können sich frei entfalten. Etwas Ähnliches geschieht in der Malerei. „Jede Linie ist jetzt die konkrete Erfahrung mit ihrer eigenen, ihr innewohnenden Geschichte“ verkündet Cy Twombly 1957 der italienischen Zeitschrift „L’Esperienza Moderna“: „Sie veranschaulicht nicht – sie ist der Sinneseindruck ihrer eigenen Entstehung.“ Twomblys Striche wachsen auf Leinwänden wie die arkanen Markierungen unbekannter Passanten.
Eine gemeinsam mit Robert Rauschenberg unternommene Reise nach Italien und Nordafrika ist in der Schau mit einem Skizzenbuch Cy Twomblys dokumentiert. Die Formen darin sind so abstrahiert, dass man den Formen kein Ding aus der Echtwelt zuordnen kann wie man das etwa noch bei Paul Klee und August Macke konnte, die vierzig Jahre früher mit dem Aquarellkasten nach Tunesien fuhren. Und trotzdem hat man das Gefühl, dass Twombly diese Zeichnungen nur in Nordafrika hätte schaffen können.
Es ist keine reine Abstraktion, und doch steht alles für sich selbst, so wie die Bewegungen der Tänzer, die Merce Cunningham choreografierte. Und die manchmal einfach das sind, was er zuvor bei Passanten auf der Straße beobachtet hat. Für das entsprechende Stück, „Minutiae“, entwarf Robert Rauschenberg 1954 das Bühnenbild. Leuchtend und kraftvoll steht es im dunklen Untergeschoss des Brandhorst. In den 1960ern montierte Robert Rauschenberg gefundene Objekte, Comics und ausgestopfte Tiere zu sogenannten „Combines“. Die heilige Malerei wird eine Bühne, ein Theater, manchmal gar eine Jahrmarktattraktion.
Das Kölner Museum Ludwig leiht mit „Odaliske“ eines der berühmtesten „Combines“ und eine große Pop-Art-Sammlung – das Haus wird im Herbst zur zweiten Station der Schau, die sich der Verbindung zweier bedeutender Sammlungen verdankt. Denn das Museum Brandhost seinerseits besitzt die meisten Cy-Twomby-Bilder in Europa. Mit so viel Kunstkapital im Rücken man sich auch mal Schlüsselwerke aus Amerika leihen. „Bed“ zum Beispiel, das Rauschenbergs echtes Bett ist, von ihm und von Cy Twombly gemeinsam bemalt (und benutzt) wurde.
Aus dem Whitney Museum in New York kommt ein großartiges, leuchtend gelbes und rotes „Combine“: „Yoicks“ von 1954. Darin hat Rauschenberg eines seiner früheren „White Paintings“ verarbeitet. Das heilige Weiß bekommt einen banalen Überzug aus rosa Polyesterstoff mit grünen Punkten, welche schimmern, wenn man sich vor dem Bild bewegt. Auf diesen Allerwelts-Kaufhaus-Grund malt Rauschenberg expressive Streifen aus gelbem und rotem Lack, den er großzügig heruntertropfen lässt. Die Farbe macht, was sie will, aber das moderne Leben da draußen eben auch.
Es ist eine moralische Reinheit der Malerei, die in den 1950er-Jahren erfolgreich zerlegt wird. Wie man sie offener und freier wieder zusammensetzt und dabei der grenzenlosen Kunst der Gegenwart den Weg ebnet, das sollte man sich nicht entgehen lassen. „Fünf Freunde“, kuratiert von Achim Hochdörfer und Yilmaz Dziewior gemeinsam mit Arthur Fink und Anna Huber, ist schon jetzt eine der herausragenden Ausstellungen des Kunstjahres 2025.
„Fünf Freunde. John Cage, Merce Cunningham, Jasper Johns, Robert Rauschenberg, Cy Twombly“, bis 17. August 2025, Museum Brandhorst, München (Katalog 58 Euro)
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