Meike ist eine von 51. Es scheint jedenfalls so. Meike, damit geht „Feuer“, der neue Fall des Dortmunder „Tatort“-Teams los, liegt tot in ihrem Haus. Darin hatte es gebrannt, weil das jemand so wollte. Und Meike war erstickt, ob das jemand so wollte, weiß erst einmal niemand.

In das Haus wollte Meike eigentlich nie mehr zurück. So lange der Mann noch da war, der sie schlug, der sie an den Füßen, an den Haaren ins Schlafzimmer zerrte, der sie vergewaltigte, wenn sie nicht wollte. Der tat, was Männer immer noch viel zu häufig für ihr Recht halten.

51 Frauen waren 2024 Opfer häuslicher Gewalt allein in Nordrhein-Westfalen. Insgesamt wurden 61.400 Übergriffe amtlich. Das wahre Ausmaß kennt niemand. Aber selbst die Anzahl der angezeigten Gewaltdelikte fast ausschließlich gegen Frauen war 2024 gegenüber dem Vorjahr um fast zwei Prozent gestiegen.

Dass Markus Buschs Buch, das Fernsehpreisträgerin Nana Neul in Szene gesetzt hat, sich, was die Fakten angeht, einer umfassenden Recherche von „Correctiv“ und „Süddeutscher Zeitung“ verdankt, verwandelt Buschs klassische Sonntagabendthemenkrimi-Mischung aus Wer-war’s-Dramaturgie und Thesendrama ausnahmsweise mal nicht in einen dumpfklingenden Papiertiger.

„Feuer“ mag vom Tempo her eher getragen sein und in der Plotstruktur ziemlich konservativ. Aber er schafft es, die Informationsdichte und die Erzählspannung gleichermaßen hochzuhalten. Ohne dass man eine Absicht erkennt und verstimmt ist. „Feuer“ ist angesichts des Themas eine erfreulich kühle Geschichte.

Das ganze Elend sieht man gleich am Anfang durch die Straßen tapsen. Zoe, die sechsjährige Tochter von Meike, barfuß, im Nachthemd, ihr Einhorni unterm Arm, das so viel Ruß auf dem Fell hat wie Zoe im Gesicht. Das Kind macht etwas mit Faber, dem Neurosenkönig der deutschen Sonntagabendunterhaltung.

Ausgerechnet Faber, der mal Vater war, bis einer seine Familie ausgelöscht hat, wird zum Heizpilz dieses Falls. Emotional und brachial. Busch und Neul setzen ihn – da hatte er schon immer eine gewisse Neigung zu – immer neuen Duellen mit Geschlechtsgenossen aus. Meikes Mann hat es Faber dabei ganz besonders angetan. Er provoziert ihn, er bringt ihn auf die Palme, das kann Faber ja erwiesenermaßen gut. Faber ist, was der Brite ein „Pain in the Ass“ nennen.

Was Faber, diesem gutherzigen Schaf im Parkapelz, wiederum an Meikes Mann so derart triggert, erfährt man aus – nur sehr selten brutalen – Rückblenden in den ausweglosen Alltag der Gebkens. Erfährt man aus Geschichten, die Fabers Kollegin Rosa Herz aus Frauenhaus mitbringt, wo sie undercover ermittelt. Von den Verprügelten, den seelisch Versehrten. Die sind wohldosiert, die überfordern keinen, überlagern nicht die Mordgeschichte, lenken nicht ab vom Ermitteln, führen tief hinein in gesellschaftliches Kriegsgebiet, in dem es keine Waffengleichheit und immer mehr Tote gibt.

Angst um das Sorgerecht

Dass Frauen sich scheuen ihre schlagenden Männer anzuzeigen, erfährt man, weil die Gefahr groß ist, dass die Hausschläger nicht nur nicht verurteilt werden, sondern am Ende noch das Sorgerecht fürs Kind zugesprochen bekommen. Es geht, sagt einmal eine Frau im Frauenhaus, vor Gericht nicht um Gerechtigkeit, sondern um Beweise.

Und wenn eine Frau einen allzu großen „Belastungseifer“ an den Tag legt, wenn sie also eigentlich nur alles unternimmt, die Schuld ihres Peinigers zu beweisen, wenn sie im Interesse ihrer selbst und all der Frauen, die es nach ihr noch mit diesem Rohling zu tun bekommen, Fakten sammelt und Fotos, dann ist das alles in den Augen des immer noch vornehmlich männlichen Justizapparats halt kein Beweis, sondern Emotion. Am besten ist, man installiert als Frau irgendwann Überwachungskameras im Haus. Aber selbst was die aufzeichnen, verschärft ja nur den Verdacht des Belastungseifers.

Zurück nach Dortmund. Und zur Beruhigung aller, denen das Dortmunder Erzählprinzip ganz furchtbar auf den Wecker geht. Ein Erzählprinzip, das man in Sonntagabendkrimikreisen „horizontal“ nennt und vor Jahren mal der heißeste Scheiß des „Tatort“-Serienerzählens war – gleich mehrere Neben- und Unterzählungen aus der Vergangenheit werden parallel zum jeweils aktuellen Fall fortgeführt.

Sie verbinden, was gerade bei „Tatort“-Kommissariaten mit mehr als einem Fall pro Jahr einigermaßen funktioniert, Ermittlungen zu Epen. Sie müssen aber halt vorkommen und so verständlich in die Geschichte eingebaut werden, dass sich kein Seiteneinsteiger an den vor Fragen nach der Vorgeschichte überhitzten Kopf fasst.

Das ging so im Vorgänger von „Feuer“, da stand man kurz davor, seinen Fernseher aus Notwehr zu erschießen und aus Panik, im Folgefall würde es nur noch schlimmer kommen. Es kommt aber nicht schlimmer. „Feuer“ nimmt die vorversponnenen Fäden wieder auf und verkettelt sie ordentlich und wohldosiert mit der Geschichte von Meike und Zoe.

Fast freut man sich aufs nächste Mal. Ein bisschen Angst hat man aber auch.

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