Fünf Mahlzeiten, sechs Trainingseinheiten, null Kompromisse. Rebecca Imfeld lebt nach einem strikten Plan und führt ihren Alltag mit einer eisernen Disziplin. Ihr Kühlschrank ist immer mit denselben Lebensmitteln gefüllt, die Gerichte sehen jeden Tag gleich aus, die Gewichte im Gym steigen stetig. Wenn sie von ihrem Sport spricht, sagt sie Sätze wie: «Heute ist Push: Brust, Schultern, Bizeps. Meine Lieblingssession.» Oder: «Es ist fast wie eine Therapie. Das ist mein Element.»
Rebecca ist Natural Bodybuilderin, das heisst, sie nimmt keine leistungssteigernden Mittel. Ihre Muskeln sind das Resultat von Arbeit, Disziplin, Verzicht und Leidenschaft.
Zwischen Metzgerei und Muskeldefinition
Tagsüber verkauft Rebecca Fleisch. Sie arbeitet an der Theke eines Supermarkts. Dort ist sie einfach Frau Imfeld. «Wenn ich arbeite, bin ich nicht Bodybuilderin», sagt sie. «Ich trenne das ganz klar.»

Trotzdem bekommt Rebecca ungefragt Kommentare zu hören. Kundinnen und Kunden sprechen sie auf ihre kräftigen Beine an, machen Bemerkungen. Und auch online ist die 25-Jährige sichtbar: Auf Instagram zeigt sie ihren Alltag, ihre Muskeln, ihre Disziplin.
Fast 10'000 Menschen folgen ihr. Viele bedanken sich und sagen, sie fühlen sich durch sie motiviert. Andere schreiben: «Ekelhaft, es sei denn, du magst Frauen, die wie Männer aussehen.» Etwa zehn solcher Hasskommentare erhalte sie pro Woche.
Muskeln als Provokation
Rebecca weiss, dass ihr Körper polarisiert. Vor allem im Sommer, wenn sie ein ärmelloses Top trägt. Dann folgen ihr die Blicke. Die Kommentare. Das Kopfschütteln.
Sie habe gelernt, das auszuhalten. «Aber manchmal trifft es einen schon.» Die Kritik ist subtil oder direkt, aber sie hat fast immer denselben Tenor: «zu viel», «zu breit», «zu männlich». Als würde mit jeder Muskelzelle ein Stück Weiblichkeit verloren gehen.
Dabei hat Rebecca darauf eine klare Antwort: «Ich kann ja trotzdem Weiblichkeit ausstrahlen. Bodybuilding ist ein Wettbewerb, bei dem genau das zählt. Man schminkt sich, man sieht wunderschön aus – mehr Weiblichkeit geht gar nicht.»
Was verstehen wir heute unter Weiblichkeit?
In der Genderforschung ist man sich einig: Weiblichkeit ist nicht eine angeborene Eigenschaft, sondern etwas, das sich die Menschen gemeinsam ausgedacht haben – zum Beispiel, wie eine Frau aussehen, reden oder sich verhalten soll. Die Vorstellung, was weiblich und männlich ist, hängt davon ab, in welcher Zeit und Kultur die Menschen leben. Darum verändert sich auch immer wieder, was als weiblich gilt.
Die Sportwissenschaftlerin Petra Tzschoppe von der Universität Leipzig forscht zu Themen wie «Sport und Geschlecht». Sie beobachtet, dass im mittelwesteuropäischen Raum derzeit ein Ideal dominiert: Frauenkörper sollen sportlich und schlank wirken, aber keinesfalls zu muskulös sein. Athletisch, jugendlich und mit Rundungen an den richtigen Stellen.
Sie ordnet das aktuelle Ideal historisch ein. Laut Tzschoppe wurzeln heutige Vorstellungen, wie eine «typisch weibliche» Figur aussehen soll, in traditionellen Rollenbildern und patriarchalen Strukturen. Über Jahrhunderte hinweg wurde Weiblichkeit mit Zartheit, Schwäche und Unterordnung verknüpft. Eine Körperform, die Machtverhältnisse stützt. Ein schlanker, kontrollierter Körper passt ins System.

Ein muskulöser, kraftvoller Frauenkörper dagegen durchbricht die Norm: Er wirkt stark, selbstbewusst und damit unvereinbar mit der traditionellen Vorstellung von weiblicher Anpassung. Wer als Frau sichtbar Kraft aufbaut, verändert nicht nur den eigenen Körper, sondern stellt damit auch etablierte Rollenbilder infrage.
Der weibliche Körper als Projektionsfläche
Dieser Weg ist nicht nur körperlich, sondern auch emotional herausfordernd. «Denn der Körper einer Frau bleibt öffentlich, besonders dann, wenn er von der Norm abweicht», erklärt die Sportwissenschaftlerin.
Mein Körper ist mein Lamborghini – ich zeige ihn mit Stolz.
Selbst dort, wo Frauen wie Rebecca sich selbstbestimmt und leistungsorientiert bewegen, bleibt der Blick von aussen präsent. Ein muskulöser Frauenkörper wird nicht einfach als «Trainingsresultat» gesehen, sondern oft als Provokation, Stilbruch oder Stilmittel. Rebecca lässt sich davon nicht unterkriegen: «Mein Körper ist mein Lamborghini – ich zeige ihn mit Stolz», sagt sie.

Immer mehr Frauen entdecken den Kraftsport für sich – ob an der Beinpresse, mit der Langhantel oder beim Kabelzug. Dieser Trend zeigt sich nicht nur auf Social Media, sondern auch im Alltag vieler Fitnessstudios.
Laut dem Bundesamt für Statistik hat sich die Sportaktivität der Schweizer Bevölkerung in den letzten Jahren insgesamt erhöht, wobei Frauen heute fast gleich oft Sport treiben wie Männer. «Was zählt, ist ein selbstbestimmter Umgang mit dem eigenen Körper – frei von Normen, orientiert am eigenen Wohlbefinden», sagt Sportwissenschaftlerin Petra Tzschoppe.
Ein Spiegel für uns alle
Am Ende bleibt der Versuch, sich selbst zu finden – trotz allem, was andere über einen sagen. «Es darf jeder seine Meinung haben», meint Rebecca. Es gäbe auch vieles, das ihr an anderen Menschen nicht gefalle. «Aber das ist mein Körper. Das ist harte Arbeit und ich darf das zeigen», ergänzt Rebecca.
Es lohnt sich, darüber nachzudenken: Welche Vorstellungen von Weiblichkeit tragen wir eigentlich mit uns herum? Und könnten wir sie nicht hin und wieder neu verhandeln?
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