Vor zwei Jahren überfiel die Hamas Israel, noch immer sind Geiseln in ihrer Gewalt. Israel begann daraufhin einen Krieg in Gaza, der Vorwurf Völkermord steht im Raum. Für die deutsche Politik ist es eine schwierige Situation.

Wenn es um Deutschland und Israel geht, fällt immer wieder ein Wort: Staatsräson. Leicht gesagt, aber schwer erklärt. Was heißt das genau? Spätestens hier werden die Antworten ungenau. Geprägt hat die Aussage 2008 die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Sicherheit Israels sei für sie nicht verhandelbar - aus historischer Verantwortung.

17 Jahre später sitzt ihr Nachfolger Friedrich Merz bei Caren Miosga und lässt durchblicken, dass er mit dem Wort ein Problem hat. Der Begriff sei nicht unumstritten. "Staatsräson hat man in der Regel für das eigene Land und nicht für andere", sagt der CDU-Politiker.

Und doch lässt der Kanzler keinen Zweifel: "Unsere uneingeschränkte Solidarität mit Israel, die hat für mich nie auf dem Prüfstand gestanden. Mein persönliches Verhältnis zu Israel ist uneingeschränkt gut." Aber was die israelische Armee gemacht habe, gehe nach seiner Auffassung nicht.

Merz' Weg zu einer kritischeren Israel-Haltung

Der Kanzler meint den Krieg im Gazastreifen. Dass er nicht einverstanden ist mit der Art und Weise wie Israel ihn führt, macht der Kanzler deutlich. Aber es war eine Entwicklung bis dahin.

Wenn Völkerrecht verletzt werde, müsse auch der deutsche Kanzler etwas sagen, sagte Merz im Mai. Im August traf er eine historische Entscheidung: Es werden keine Waffen mehr geliefert, die Israel im Gazastreifen einsetzen könnte. Erklären muss Merz das damals Premierminister Benjamin Netanjahu. "Das hat an diesem Telefonat an diesem Samstag ordentlich gerumst", gibt Merz heute zu.

Zehntausende auf den Straßen

Dass es gerumst hat, reicht vielen nicht mehr. 63 Prozent - also fast zwei Drittel der Deutschen - sagen laut aktuellem ARD-DeutschlandTrend, Israel gehe ihnen militärisch zu weit.

Es treibt Zehntausende auf die Straßen - zum Beispiel Ende September in Berlin. "Stoppt den Gaza-Genozid", ruft die Menge und auf der Bühne steht der Musiker Michael Barenboim. Er sagt: "Israels Völkermord ist der Versuch, die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft von Palästinenserinnen und Palästinensern auszulöschen."

Barenboim kritisiert Staatsräson-Argument

Michael Barenboim will den Protest sichtbar machen. Und er bezeichnet das Vorgehen Israels im Gaza-Streifen als Völkermord. Deutschland sei verpflichtet, das zu verhindern und zu bestrafen. "Da reicht auch übrigens schon die Gefahr eines Völkermords", sagt er.

Er kann nicht verstehen, dass immer wieder mit Staatsräson und historischer Verantwortung argumentiert wird, sagt der Musiker im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio.

Michael Barenboim gehört zu denen, die die Demonstration organisiert haben. Er ist Konzertmeister des West-Eastern-Divan-Orchestra, das sein Vater Daniel Barenboim gegründet hat. Die Musiker setzen sich seit vielen Jahren für Frieden im Nahen Osten ein.

Der Musiker Michael Barenboim spricht sich auf einer Kundgebung Ende September in Berlin gegen Israels Vorgehen im Gazastreifen aus.

Wissenschaftler und Politiker fordern Kurswechsel

Ähnlich sehen es etwa 150 Wissenschaftler, Politiker und Diplomaten. Sie fordern einen Kurswechsel. So wie Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Sie findet, dass die Staatsräson den Blick verengt auf Israels nationale Sicherheit - und in der Praxis dann auf eine Unterstützung der israelischen Regierung. "Das ist angesichts der Politik der derzeitigen israelischen Regierung besonders problematisch. Stichworte: Demokratieabbau, Siedlungs- und Annexionspolitik, schwere Kriegsverbrechen."

Aber: Ein Völkermord im Gazastreifen? Den kann Volker Beck, der Präsident der deutsch-israelischen Gesellschaft, nicht erkennen. Auch er spricht von wahrscheinlichen Kriegsverbrechen, die aber verfolgt würden. "Wenn Israel Krankenhäuser oder zivile Infrastruktur angreift, die von der Hamas missbraucht werden, dann ist das vom Völkerrecht gedeckt", sagt Beck. "Der Missbrauch dieser Infrastruktur durch militärische Operationen der Hamas, der ist nicht vom Völkerrecht gedeckt."

Der Präsident der deutsch-israelischen Gesellschaft, Volker Beck, spricht vor einem Plakat, das auf die seit mehr als 700 Tagen in Gaza festgehaltenen Geiseln aufmerksam machen soll.

Antisemitismus nimmt zu

Es ist erst wenige Tage her, da wurden drei Männer in Berlin festgenommen. Mutmaßliche Terroristen. Möglicherweise ist Deutschland nur knapp einem Anschlag der Hamas entgangen.

Jüdische und israelische Einrichtungen sind bedroht. Der Verfassungsschutz warnt vor gefährlichem Judenhass, spricht von einer erheblichen Gefährdungslage.

Auf Straßen oder Universitäten wurden antisemitische Parolen gerufen oder an Wände gesprüht.

Eine neue Realität

Für Volker Beck ist die Welt seit zwei Jahren nicht mehr die Gleiche. Die Realität habe sich verändert. Für Jüdinnen und Juden, aber auch für die, die mit ihnen solidarisch sind. Beck berichtet davon, dass er selbst im Sommer mehrere Wochen Polizeischutz hatte.

Das alles bewegt auch den Kanzler. Im September hält Friedrich Merz eine Rede zur Wiedereröffnung einer Münchner Synagoge. Es geht um das Schicksal jüdischer Kinder, der Kanzler kann seine Tränen nicht zurückhalten.

Dann sagt er: Seit dem 7. Oktober gebe es eine neue Welle des Antisemitismus. Es beschäme ihn. Als Kind sei er mit dem "Nie wieder" aufgewachsen - als Auftrag, als Pflicht, als Versprechen.

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