Politiker, Arbeitgeber- und Kassenvertreter fordern eine Selbstbeteiligung der Patienten an den Kosten für Arztbesuche. Warum wird das gefordert und wie soll das funktionieren? Ein Überblick.

"Wir müssen uns von einer unsolidarischen Vollkasko-Mentalität verabschieden. Gesundheit ist keine All-inclusive-Dienstleistung des Staates. Wer mit einer Erkältung die Notaufnahme blockiert, darf nicht erwarten, sofort die gesamte Palette an Hightech-Diagnostik zu beanspruchen." Mit diesem Argument fordert der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Hendrik Streeck, eine Gebühr für Arztbesuche.

"Ein Blick nach Europa zeigt: Während Menschen in Dänemark im Schnitt viermal und in Frankreich fünfmal pro Jahr zum Arzt gehen, suchen Deutsche im Durchschnitt zehnmal pro Jahr eine Praxis auf", so Streeck weiter. "Das ist zu viel, oft unnötig - und es belastet das System enorm."

Zuvor hatte der Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter (CDU), ebenfalls eine Kontaktgebühr gefordert, die bei jedem Arztbesuch bezahlt werden müsste. Es gehe darum, "Ärzte-Hopping" zu begrenzen, um die Ausgaben im Gesundheitssystem zu senken und Versicherungsbeiträge stabil zu halten.

Gehen die Deutschen tatsächlich besonders häufig zum Arzt?

Laut einer Studie der OECD aus dem Jahr 2020 suchen Deutsche etwa 9,6 Mal im Jahr eine Arztpraxis auf. Das liegt deutlich über dem OECD-Durchschnitt von sechs Arztbesuchen. Mehr Arzt-Patienten-Kontakte gab es bei den untersuchten Ländern nur in der Slowakischen Republik, Japan und Korea.

Vollständig vergleichbar sind die Zahlen jedoch nicht, da die Gesundheitssysteme der Länder teils unterschiedlich strukturiert sind.

Welche Kosten verursachen die Arztbesuche pro Jahr?

2024 haben die gesetzlichen Krankenkassen 50,3 Milliarden Euro für die ärztliche Behandlung ausgegeben. Das ist der drittgrößte Posten nach den Arzneimitteln und den Krankenhausbehandlungen. Seit 2020 ist diese Summe um 14,3 Prozent gestiegen.

Die gesamten Leistungsausgaben erhöhten sich in diesem Zeitraum von 248,88 auf 312,29 Milliarden, also um 25,5 Prozent. Die Kosten der Arztbesuche stiegen also langsamer als die gesamten Gesundheitsausgaben. Dementsprechend sank ihr Anteil am Gesamtbudget von 17,7 auf 16,1 Prozent.

Was ist in den von Streeck erwähnten Ländern anders organisiert?

In Frankreich erstattet die Krankenversicherung nur einen nach verschiedenen Kriterien gestaffelten Prozentsatz der Kosten für ambulante medizinische und therapeutische Behandlungen. Um den Eigenanteil abzudecken, hat der weitaus größte Teil der Franzosen eine private Zusatzversicherung.

Französische Patienten können im Prinzip ihren Arzt frei wählen. Erstattet werden jedoch nur die von den Krankenkassen vorgegebenen Sätze für Behandlungskosten. Versicherte müssen ab dem Alter von 16 Jahren eine hausärztliche Praxis bestimmen, die auch alle weiteren Behandlungen festlegt. Wer direkt einen Facharzt aufsucht, muss einen höheren Anteil selbst tragen. In jedem Fall geht der Patient in Vorleistung und bekommt die Kosten erst im Anschluss erstattet - so wie auch Privatversicherte in Deutschland.

In Dänemark muss sich jeder Bürger für eine feste Hausarztpraxis im Umkreis von zehn Kilometern seines Wohnortes entscheiden. Der Besuch ist dort kostenlos und über die staatliche Krankenversicherung abgedeckt. Der Hausarzt entscheidet über alle weiteren medizinischen Maßnahmen und auch mögliche Überweisungen zu einem Facharzt. Der Wechsel des Hausarztes ist gebührenpflichtig.

Wer in dem Land auf eine freie Arztwahl besteht, muss einen Teil der Kosten selbst tragen und gegebenenfalls in Vorkasse gehen - eine Option, die nur etwa zwei Prozent der Dänen wahrnehmen.

Welche Hoffnungen setzt man in eine Gebühr für Arztbesuche?

Die Einschränkung insbesondere der Facharztbesuche ohne Überweisung soll nicht nur die Kostenträger und damit auch die Beitragszahler finanziell entlasten, sondern auch die Praxen und die Mediziner entlastet werden, meinen die Befürworter. Sinnlose Arztbesuche würden eher vermieden, sodass mehr Termine für Menschen frei werden, die wirklich krank sind.

Welche Kritik gibt es an den Vorschlägen?

Von Gesundheitspolitikern, Patienten- und Ärztevertretern wurden die Vorschläge für eine Kontaktgebühr für Patienten teils entschieden zurückgewiesen. So sagte Niedersachsens Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD), selbst Arzt, eine solche Maßnahme sei "unsozial und der völlig falsche Weg, um Patientenströme zu leiten".

"Es ist ein inakzeptabler und vergifteter Vorschlag der Arbeitgeber, die Kostenlast noch stärker auf die hart arbeitende Bevölkerung abzuwälzen", sagte der Gesundheitsexperte Ilias Essaida des Sozialverbands VdK dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Vor allem Menschen mit schweren Erkrankungen oder geringem Einkommen würden dadurch benachteiligt und faktisch bestraft."

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, erklärte: "Das fortwährende Patienten-Bashing muss ein Ende haben." In die gesetzliche Krankenversicherung zahlten rund 75 Millionen Versicherte ein, es seien also keinesfalls staatliche All-inclusive-Dienstleistungen.

Eine allgemeine Kontaktgebühr würde bedeuten, dass Patienten bei jedem Arztbesuch zur Kasse gebeten würden, "egal ob es sich um eine Krebsbehandlung, eine Impfung oder sonst ein dringendes Anliegen" handele, sagte die Vorsitzende des Hausärzteverbands, Nicola Buhlinger-Göpfarth, der Rheinischen Post.

Chroniker wie beispielsweise Dialysepatienten müssten die Gebühr dann Dutzende Male im Jahr bezahlen, kritisierte die Hausärztechefin. Eine solche Kontaktgebühr für alle Arztbesuche würde nicht nur unnötige, sondern auch zwingend notwendige Arztbesuche verhindern. "Das kann dann schwere gesundheitliche Folgen für die Patientinnen und Patienten haben, beispielsweise, weil Erkrankungen zu spät behandelt werden oder eine Vorsorgemaßnahme nicht stattfindet."

Welche alternativen Steuerungs- und Entlastungsmodelle gibt es?

Vermehrt werden Stimmen laut, die ein Hausarztmodell fordern, wie es zum Beispiel in Dänemark praktiziert wird. Konkret würde das bedeuten, dass der Patient zunächst seine Hausarztpraxis aufsucht und dort über alle weiteren medizinischen Maßnahmen und eventuell notwendigen Überweisungen entschieden wird.

Die Chefin des Bundesverbands Verbraucherzentralen, Ramona Pop, befürchtet jedoch, ein solches Primärarztsystem werde die Probleme nicht lösen. "Ohnehin schon überlastete Hausarztpraxen werden zum Nadelöhr. Das ist nicht der richtige Weg."

Ein Modell der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sieht vor, dass zumindest Kinder-, Jugend- und Frauenärzte direkt aufgesucht werden können, für alle anderen Gesundheitsbelange aber der Hausarzt konsultiert werden muss. Ausnahmen soll es für chronisch Kranke geben, damit diese eine fachärztliche Versorgung ohne Überweisung erhalten können.

Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, fordert einen Sondertarif für einen direkten Facharztbesuch: "Versicherte, die auch künftig generell ohne Überweisung eines Hausarztes oder eine digitale Ersteinschätzung direkt zu einem Facharzt gehen wollen, müssen einen zusätzlichen Facharzttarif mit jährlichen Kosten von voraussichtlich 200 bis 350 Euro abschließen", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Albert Stegemann (CDU), propagiert laut der Bild sogar eine Gebühr von 200 Euro pro Termin, wenn der Patient direkt einen Facharzt ansteuert. Ohne solche Strafzahlungen bei Verstößen gegen das sogenannte Primärarztsystem gebe es keine Lenkungswirkung, so der Politiker. Auch der CSU-Abgeordnete Stephan Pilsinger spricht sich für eine solche Gebühr aus.

Welche Rolle spielen Apotheken?

Bundesgesundheitsministerin Nina Warken plant, dass Apotheken künftig mehr Leistungen wie Impfungen und Vorsorge anbieten können, um so auch die Arztpraxen zu entlasten. So sollen Apotheken Früherkennungstests zu Herzkreislauferkrankungen anbieten können. Neben Impfungen gegen Grippe und Corona sollen künftig alle Schutzimpfungen mit Totimpfstoffen in Apotheken angeboten werden können - also zum Beispiel auch gegen Tetanus, Diphterie oder Keuchhusten.

Dort sollen zudem bestimmte verschreibungspflichtige Arzneimittel ohne ärztliche Verordnung abgegeben werden können, wie das Ministerium erläuterte - etwa an chronisch Kranke bei dringendem Bedarf und einer bekannten Langzeitanwendung. Auch bei unkomplizierten Erkrankungen wie einem einfachen Harnwegsinfekt sollen Apotheken eigenverantwortlich bestimmte verschreibungspflichtige Arzneimittel verkaufen können.

Die Kassenärztliche Vereinigung warnt jedoch, dass dieses Vorgehen "Leib und Leben der Menschen gefährden" könne. Medikamente sollten gezielt zur Behandlung von Krankheiten eingesetzt werden, die nur Ärztinnen und Ärzte diagnostizieren und therapieren könnten. Apothekerinnen und Apotheker seien dafür nicht ausgebildet.

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