Ab heute sind Arztpraxen, Krankenhäuser und Apotheken verpflichtet, mit der elektronischen Patientenakte zu arbeiten. Doch einige Krankenhäuser und Praxen hinken noch hinterher. Ein Überblick.
Achim Reckmann ist Facharzt für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Hämatologie. Mehr als die Blutbilder oder Knochenmarkproben seiner Patientinnen und Patienten beschäftigt ihn im Moment aber die elektronische Patientenakte (ePA). Als Oberarzt an der Mainzer Universitätsmedizin ist er von seiner ärztlichen Tätigkeit für dieses Projekt teilweise befreit. "Ich bin froh, dass ich in den kommenden Tagen Turnschuhe tragen kann", sagt der Mediziner, "denn ich werde auf unserem Campus von Klinik zu Klinik laufen und den Kolleginnen und Kollegen das neue IT-System erklären."
Die Mainzer Universitätsmedizin habe sich lange auf die Einführung der digitalen Patientenakte vorbereitet, erzählt Reckmann, technisch funktioniere alles. Nun komme es darauf an, dass den Ärztinnen und Ärzten die "Befüllung der E-Akten" in Fleisch und Blut übergehe und sie lernen, relevante Daten eines jeden Patienten in die ePA hochzuladen. Auch wenn das in der Regel nur wenige Minuten in Anspruch nehme, sei es eine weitere Aufgabe für die ärztlichen Kolleginnen und Kollegen: "Es wird sicher eine Zeit dauern, bis alle die 'Befüllungspflicht', die uns gesetzlich vorgeschrieben ist, auch routiniert umsetzen," meint Reckmann.
Wichtig ist ihm, den Ärzten der Mainzer Klinik zu vermitteln, dass sie nicht jeden Laborbefund oder jedes Röntgenbild einzeln in die E-Akte hochladen müssen, sondern dass es zum Start der ePA vor allem darauf ankommt, dem Patienten den Entlassbrief in digitaler Form zur Verfügung zu stellen. "Der Arztbrief ist das Konzentrat aller Untersuchungen und Überlegungen, die wir vorgenommen haben. Wir wollen die digitale Patientenakte nicht 'vollstopfen', sondern dem Patienten alle relevanten, ärztlich eingeordneten Informationen anbieten." Grundsätzlich sieht der Mediziner in der digitalen Patientenakte eine Chance für eine "neue Qualität der Behandlung" durch mehr Transparenz.
Kliniken teils schlecht vorbereitet
Doch so weit wie die Mainzer Universitätsmedizin sind viele Krankenhäuser in Deutschland noch nicht. Nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) haben zwar fast alle Krankenhäuser bundesweit (98 Prozent) mit den "organisatorischen Vorbereitungen" zur Einführung der elektronischen Patientenakte begonnen. Das zeige eine Blitzumfrage des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI). Allerdings haben nur zwei Drittel der befragten Krankenhäuser mit der konkreten Einführung begonnen. Nur etwa 20 Prozent hätten den Prozess bislang vollständig abgeschlossen.
Ein Problem: Der Umfrage zufolge verfügt nur knapp über die Hälfte der Kliniken (56 Prozent) über das notwendige Update ihres Krankenhausinformationssystems. Während der Pilotphase von Januar bis April 2025 hätten sich die Hersteller zunächst auf vereinzelte Piloteinrichtungen fokussiert. Erst seit Mai 2025 würden alle erforderlichen Updates Schritt für Schritt auch in weiteren Krankenhäusern bereitgestellt.
Die Inbetriebnahme sei komplex, aufwändig und brauche Zeit, sagt die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG). Ihr Vorstandsvorsitzender, Gerald Gaß, erklärt: "Auch bei dieser IT-Anwendung zeigt sich, dass die Voraussetzungen in einem Krankenhaus nicht mit denen in kleineren Einrichtungen wie Arztpraxen vergleichbar sind und dies vorab nicht hinreichend berücksichtigt wurde."
80 Prozent der Arztpraxen nutzen ePA
Nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung arbeiten hingegen schon 80 Prozent der Arztpraxen mit der elektronischen Patientenakte. So wie Barbara Römer, Hausärztin im rheinhessischen Saulheim und Landesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes Rheinland-Pfalz. In ihrer Praxis wird die ePA seit drei Monaten genutzt. "Wir üben schon fleißig und Vieles funktioniert schon gut", sagt Römer, "auch wenn es natürlich noch an einigen Stellen ruckelt."
Gerade für Hausärzte sei die ePA von großem Nutzen, denn "eine typische hausärztliche Aufgabe ist es, den Medikamentenplan zu kontrollieren oder anzupassen", und gerade hier sei die Kommunikation mit anderen Behandelnden notwendig. Die ePA helfe zudem, "endlich von der Zettelwirtschaft wegzukommen", so Hausärztin Römer. "Wir müssen jetzt unsere Patienten nicht mehr mit Ordnern durch die Gegend schicken". Allerdings habe sie den Eindruck, dass sich bisher nur wenige ihrer Patientinnen und Patienten mit dem Thema beschäftigt hätten.
Geringe Nutzung durch Patienten
Tatsächlich nutzen nach einer Umfrage der "Ärzte Zeitung" bisher nur drei Prozent der Kassenpatienten die elektronische Patientenakte. Bei den drei größten Einzelkassen Techniker, Barmer und Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK) sowie den elf Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) wurden elektronische Akten für 50 Millionen Versicherte eingerichtet, die nicht aktiv widersprochen hatten. Erst 1,5 Millionen Versicherte hätten sich einen Zugang über entsprechende Apps der Kassen verschafft.
Viele Patientinnen und Patienten seien verunsichert, meint Sabine Strüder von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz. Der Authentifizierungsprozess sei kompliziert und halte gerade ältere Menschen davon ab, ihn zu durchlaufen. Jüngere Menschen hingegen, die technikaffin seien und kein Problem damit hätten, sich die entsprechende App herunterzuladen, seien in der Regel nicht so häufig und schwer krank und hätten weniger Interesse an der ePA, sagt die Verbraucherschützerin.
Kassen müssen Kommunikation verbessern
Hier seien auch die Krankenkassen gefordert, so Strüder. Die Information der Patienten müsse verbessert werden, die Kassen müssten vor allem auf Ältere gezielter zugehen. "Im vergangenen Jahr wurden ja die Versicherten alle angeschrieben mit der Info, dass es diese elektronische Akte geben soll und dass man auch die Widerspruchsmöglichkeit hat, aber ich glaube, bei vielen ist das Schreiben erstmal auf die Seite gelegt worden", so Strüder. Eine gute Kommunikation sei aber wichtig, denn nur, wer über die ePA Bescheid wisse, könne sie auch nutzen. Und nur so könne auch die Akzeptanz in der Bevölkerung steigen.
Hämatologe Reckmann von der Mainzer Universitätsmedizin geht davon aus, dass die Einführung der ePA in der Klinik gut laufen wird. Ihn treiben heute schon Fragen der Zukunft um: Denn wenn in wenigen Jahren die elektronischen Patientenakten aller Versicherten in Deutschland fleißig gefüllt sein werden, werde es technische Tools brauchen, um gezielt Daten aus den Akten herausfiltern zu können, die relevanter sind als andere. "Was nicht passieren darf ist, dass besonders wichtige Informationen in der Datenfülle untergehen, etwa dass ein Patient eine Penicillinallergie hat", so Reckmann. Denn letztlich hat die elektronische Patientenakte allein einen Sinn: Sie soll nicht den Ärztinnen und Ärzten dienen, sondern den Patienten.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke