Die Kyritz-Ruppiner Heide war bis 1993 ein Truppenübungsplatz der sowjetischen Armee. Seit Jahren suchen Räumarbeiter im Sperrgebiet international geächtete Waffen. Anwohner verhinderten, dass die Bundeswehr das Gelände übernimmt.
"Können wir?", fragt der technische Einsatzleiter des Kampfmittelbeseitigungsdienstes Brandenburg über sein Funkgerät. "Fertig?" Gerd Fleischhauer schaut in Richtung der Sprengtrichter auf dem ehemaligen sowjetischen Truppenübungsplatz nahe Neuglienicke.
Räumarbeiter haben die Schutzwälle mit Erde aufgetürmt. Darin: zwei ehemalige sowjetische Bomben der Serien FAB-50 und FAB-100. Das Funkgerät des Kampfmittelräumchefs piept. "Wir sind bereit zum Zünden. Wir geben das Sprengsignal", warnt er.
Der stellvertretende Räumstellenleiter Monty Neider bläst in eine Tröte. "Zünder in 3, 2, 1. Zündung!", ruft Fleischhauer. Die Bomben explodieren mit einem lauten Knall. Wenige Sekunden später vibriert die Erde erneut, weil weitere Bomben in einem anderen Sprengtrichter detonieren.
International geächtete Streumunition
Hunderttausende Granaten, Raketen und weitere Waffen liegen hier in der Erde - inklusive inzwischen international geächteter Streumunition. Die Kampfmittelräumer rücken mehrmals pro Woche an, um die sowjetischen Bomben zu sprengen.
"Das sind diese 1.100 Hektar, in denen wir die Streuwaffen räumen", schildert der Leiter des Bundesforstbetriebs Westbrandenburg, Rainer Entrup, vor einer Karte. "Die haben einen völlig unklaren Zustand. Deswegen sind sie auch so gefährlich."

Rainer Entrup und Monty Neider bei der Räumung am ehemaligen sowjetischen Truppenübungsplatz nahe Neuglienicke.
Sonden, Spaten und gepanzerte Bagger
Seit acht Jahren suchen sie mit Sonden, Spaten und gepanzerten Baggern - im sogenannten Bombodrom in Brandenburg. 180 Räumarbeiterinnen und -arbeiter sind momentan unterwegs - mit mindestens 50 Metern Sicherheitsabstand zum nächsten Räumpaar.
Für viele im Kreis Ostprignitz-Ruppin ein attraktiver Job. Martina Roeper wechselte vom Supermarkt ins Sperrgebiet. "Ich war 30 Jahre Verkäuferin", erzählt die Wittstockerin. Das sei auch stressig, meint sie. Ihre Sonde gleitet über trockenes Gras und Sand. Sie piept andauernd.
Hier sei sie in der Natur und habe ihre Ruhe, erklärt Martina Roeper. Der Job mache trotz des Risikos Spaß. "Wenn ich an der Kasse sitze, kann auch jemand kommen mit einem Revolver."
Splitter der Streumunition könnten töten
Hier könnten sogar Splitter tödlich sein. Ihre Funde sortieren die Räumarbeiterinnen und -arbeiter fein säuberlich in eine blaue Kiste. Darin trennen sie Schrott von Splittern, Munition und Streumunition. Unbekanntes und zu riskant Erscheinendes bleibt im Boden, um es später dort zu sprengen.
Truppführer dokumentieren jedes Teil mit Foto und Nummer, um genauer einzuschätzen, wo sie bis zu 30 Zentimeter unter der Erde Streumunition finden könnten.
Experimente mit Waffen und Munition
Sowjetische Militärs experimentierten auf dem 12.300 Hektar großen Gelände bis 1993, simulierten Angriffe auf einen nachgebauten NATO-Flugplatz - vom Boden und aus der Luft. "Dadurch, dass es ja das größte Bombodrom war, ist es echt gigantisch, was wir hier rausholen", betont der stellvertretende Räumstellenleiter Monty Neider.
Er steht mit dem Leiter des Bundesforstbetriebs Westbrandenburg in einem Container mit Munition und Waffen, in dem sie Neulinge für Funde sensibilisieren. "Wenn ich zum Beispiel so ein komisches Blechding finde, dann wissen die Experten - Streuwaffe, Haltering, Leitring. Aha!" erklärt Rainer Entrup. "Wenn man so etwas findet, muss es irgendwo eine Streuwaffe geben. Entweder ist sie explodiert. Dann ist es ja schön. Aber der Verdacht liegt nahe, dass die Blindgänger in der Nähe liegen müssen."
Explosionen bis in nahegelegene Dörfer zu spüren
Der stellvertretende Räumstellenleiter hält eine Kugel in der Hand, die kleiner als ein Tennisball ist. "Das Problem ist bei diesen Bomben, man weiß nie, wie die Zündsysteme geschärft sind", erläutert Monty Neider. "Die könnte auch jederzeit detonieren bei einer Erschütterung und deswegen sind die eben höchstgefährlich von uns eingestuft. Die würden auch vor Ort verbleiben und würden da auch vernichtet."
Die Explosionen der Bomben sind bis in nahegelegene Dörfer zu spüren. Einige dort profitieren von den Sprengaktionen - wie Familie Gamon mit Pension und Reiterhof in Wittstock-Dosse. Sie vermietet Zimmer an Firmen, die hier seit Jahren Räumarbeiter einquartieren.
"Das ist ein Glücksfall", sagt Seniorchefin Brigitte Gamon. "Mit den Älteren, die schon seit Jahren hier sind, duzen wir uns auch schon."

Sowjetischen Bomben der Serie FAB-50 und FAB-100, die auf dem Truppenübungsplatz gefunden wurden.
Anwohner wehrten sich
Die Räumarbeiter unterstützen schon, aber keinen neuen Truppenübungsplatz, meinen die meisten Anwohner. Nach der Wende wollte die Bundeswehr das Bombodrom nutzen. Dagegen formierte sich damals erfolgreich Widerstand.
Ulrike Laubenthal präsentiert ein Video aus dem Jahr 2006. "Das ist für dieses kleine Dorf Fretzdorf natürlich immer eine Riesensache gewesen", erläutert die Friedensaktivistin. "Während dieser Protestbewegung für die Freie Heide war Fretzdorf immer der größte Ostermarsch in Deutschland."
Naturparkleiter plant Sternenpark
Mittlerweile marschieren Touristen durch die Kyritz-Ruppiner Heide. Die Südspange ist inzwischen frei von Munition, nationales Naturerbe und nachts extrem dunkel, weit weg von künstlichem Licht. Deswegen will der Leiter des Naturparks Stechlin-Ruppiner Land hier einen Sternenpark eröffnen.
"Die sogenannten Heidedörfer haben eine Sackgassensituation, sind touristisch nicht auf Rosen gebettet", sagt Mario Schrumpf. "Aber die Möglichkeit, dass Gäste hierherkommen, Astrotouristen, die also den Sternenhimmel erleben wollen, ist sehr groß."

Gerd Fleischhauer ist der technische Einsatzleiter des Kampfmittelbeseitigungsdienstes Brandenburg.
Räumer sollen Streumunition bis August 2030 bergen
Nebenan müssen sie noch große Flächen mit Streumunition räumen. Bis August 2030 sollen die Kampfmittelbeseitiger fertig sein.
Die Sprengungen an diesem Tag sind geglückt. "Die Bomben waren scharf, weil ich ja sagte, es gibt auch manchmal Bomben, wo nur irgendwelcher Füllstoff drin ist", erzählt der technische Einsatzleiter Gerd Fleischhauer mit Blick auf die meterhohen dunklen Wolken am Himmel. "Das hat man jetzt gesehen und gehört und - an dem Rauch, an den Schwaden, die fliegen. Ich denke mal, das war gut."
Per Drohne und am Sprengtrichter überprüft der Brandenburger, ob es noch brennt - in einem Gebiet, in dem gerade Waldbrandgefahrenstufe 2 herrscht. Aber nur die Bombensplitter in der Heide sind noch heiß. Die Räumer erwarten, hier bis zu 1,5 Millionen weitere Blindgänger zu bergen.
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