Studentenverbindungen versprechen günstige WG-Zimmer. Bei den hohen Mietpreisen ist das für Studierende attraktiv. Ein ehemaliges Verbindungsmitglied hat schlechte Erfahrungen gemacht.
Als Abid (Name von Redaktion geändert) im Wintersemester 2023/24 für sein Studium nach Berlin ziehen wollte, ging es ihm vor allem darum, seine Komfortzone zu verlassen. Umziehen, eine neue Stadt entdecken, rein ins Studierendenleben. Abids richtigen Namen nennen wir hier nicht, um ihn vor weiteren Anfeindungen zu schützen.
Auf der Plattform wg-gesucht.de sah er ein Zimmer für 250 Euro warm, im teuren Ortsteil Berlin-Zehlendorf, bei einer Studentenverbindung. Abid kannte den Ruf von einigen Verbindungen, dass sie rechtsextremistisch seien und versuchte es zunächst woanders. Insbesondere manche Burschenschaften aus dem Dachverband "Deutsche Burschenschaften" würden diesem Ruf gerecht, so Politikwissenschaftlerin Alexandra Kurth von der Universität Gießen. "Manche ignorieren oder vertuschen die Problematik, andere verhalten sich indifferent und wieder andere bemühen sich aktiv, sich von rechtsextremen Bestrebungen deutlich abzugrenzen."
Weil Abid bei anderen Vermietern nur Absagen erhielt und wenige Wochen bis zum Semesterstart blieben, fragte er die Studentenverbindung an.
Ein Dach über dem Kopf
Bei der Besichtigung wurde ihm gesagt, dass hier viel Alkohol fließe, Abid könne aber auch mit Wasser anstoßen. Ein paar Events für Verbindungsmitglieder müsse er pro Monat besuchen oder Veranstaltungen planen. Weil das Zimmer seine einzige Möglichkeit war, zog er ein. "Um erstmal ein Dach über dem Kopf zu haben", sagt er heute.
Anfangs gefiel es ihm gut, in einer Gemeinschaft mit anderen Studierenden zu leben. Aber nach ein paar Wochen wurde das Verbindungsleben anders als gedacht.
Studentenverbindungen verwalten oft prachtvolle Villen in guter Lage, in denen sie - meist Männern - günstige Zimmer anbieten. Die Häuser sind oft schon lang im Besitz von Hausbauvereinen, die die Immobilie zugunsten der Studentenverbindung verwalten. "Je höher die Mietpreise in der Universitätsstadt sind, umso mehr verlockt das, den Schritt in eine Studentenverbindung zu gehen. Ohne, dass man altersbedingt die Konsequenzen einer solchen Entscheidung überblicken kann", so die Politikwissenschaftlerin Kurth.
Teure Wohngemeinschaften, günstige Verbindungszimmer
Am teuersten sind die Mietpreise für Studierende laut Moses Mendelssohn Institut (MMI) in München. Hier zahlt man für ein WG-Zimmer durchschnittlich rund 800 Euro. Studentenverbindungen unterbieten das deutlich. Wie das Portal wg-gesucht.de auf Anfrage mitteilte, liegen die Kosten für ein Verbindungszimmer in der bayerischen Landeshauptstadt bei durchschnittlich 344 Euro. Dabei wurden die Angebote einbezogen, die sich selbst als "Studentenverbindungen" im Portal auszeichneten.
Im Bundesdurchschnitt sind zu Beginn des Wintersemesters 2025/26 die Wohnkosten für WG-Zimmer nochmal gestiegen. So kostet eine WG in deutschen Hochschulstandorten für Studierende durchschnittlich 505 Euro, wie das MMI mitteilte. Zum Start des Sommersemesters waren es noch 493 Euro. "Wir sind davon ausgegangen, dass wir nach den deutlichen Preissteigerungen nach der Corona-Pandemie eine Marktberuhigung erleben werden. Das ist aber nicht eingetreten", sagt Stefan Brauckmann, Geschäftsführender Direktor des MMI. Das sei vor allem darauf zurückzuführen, dass die Wohnkosten in mittelgroßen Städten gestiegen seien und sich die Zahl der Studierenden in den ohnehin teuren Großstädten erhöht habe.
Der Verbindung verpflichtet
Abid wollte ein paar Wochen nach dem Einzug auch Freundschaften außerhalb der Studentenverbindung pflegen. Doch die zahlreichen Veranstaltungen der Verbindung ließen ihm kaum Zeit dafür. Deswegen schwänzte er einige Events.
Das Wohnen im Verbindungshaus und das umfangreiche Programm würden dazu dienen, das neue Mitglied in die Verbindung einzupassen, so Kurth. "Das Problem ist, dass man oft so stark eingebunden ist, dass kaum die Möglichkeit besteht, außerhalb der Verbindung Freundschaften zu knüpfen", sagt die Politikwissenschaftlerin. Dadurch könne eine starke Abhängigkeit von der Studentenverbindung entstehen. Nach der Probezeit soll das Mitglied den "Lebensbund" mit der Verbindung eingehen und sie unter anderem durch Mitgliedsbeiträge ein Leben lang unterstützen. Das finanziert unter anderem den Erhalt der Verbindungshäuser.
Dass Abid nur wenig Alkohol trank, habe einigen Verbindungsmitgliedern nicht gepasst. Genauso wenig wie sein Migrationshintergrund. "Sich gegenseitig zu beleidigen, stärke den Charakter", sei ein Glaubenssatz in der Verbindung gewesen, sagt Abid. "Aber gegen die rassistischen Aussagen habe ich mich gewehrt." Immer wieder sei ihm versprochen worden, das Verhalten würde aufgearbeitet. Stattdessen habe man Aussagen als Witz abgetan oder Strafen wie ein zeitweises Alkoholverbot verhängt.
Abid wollte nicht länger in der Studentenverbindung bleiben. Auch die Verbindungsmitglieder wollten ihn nicht länger bei sich haben. Nach einer Abstimmung sollte Abid das Haus innerhalb von sechs Wochen verlassen. Er schrieb sich unter anderem auf die lange Warteliste für einen Wohnheimplatz beim Studierendenwerk.
Die Warteliste für das Studierendenwohnheim
Vergangenes Jahr stand rund 10 Prozent der Studierenden in Deutschland ein Wohnheimplatz zur Verfügung. Dass die Wartelisten in manchen Städten lang sind, liege vor allem daran, dass Bund und Länder in der Vergangenheit Studienplätze gefördert, die Wohnheime aber vernachlässigt hätten, sagt Matthias Anbuhl, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Studierendenwerks. "Das heißt, man hat die Hochschulen richtigerweise ausgebaut, aber die soziale Infrastruktur vergessen." Dabei bieten gerade Wohnheime günstigen Wohnraum für Studierende. Durchschnittlich 306 Euro einschließlich aller Nebenkosten zahlen Studierende in einem Wohnheim der Studierendenwerke.
Damit langfristig mehr junge Menschen von dem Angebot profitieren, hat die Ampelregierung 2023 das Programm "Junges Wohnen" angestoßen. Der Bund stellte den Ländern seitdem jährlich eine Finanzhilfe von 500 Millionen Euro, um neue Wohnheimplätze zu schaffen oder zu modernisieren. Ab nächstem Jahr will die Regierung die Mittel für das Programm verdoppeln.
Für Abid war das Wohnheim die Rettung. Er bekam einen Platz und konnte schon zwei Wochen später umziehen. Für ihn hat sich das günstige Zimmer in der Verbindung nicht gelohnt: "Auch wenn man weniger Miete bezahlt und eine gute Location hat, ist es so, dass man mit seiner Seele bezahlt."
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