Mit einer Wehrpflicht könnte auch der Zivildienst wieder eingeführt werden. Hilft das auch, den Fachkräftemangel in Erziehung, Gesundheit und Pflege aufzufangen? Experten sehen das kritisch.
Lange Zeit waren Zivildienstleistende aus sozialen Berufen wie Pflege oder karitativen Hilfsdiensten nicht wegzudenken. Etwa zwei Drittel von ihnen kamen in diesem Bereich zum Einsatz, bis der verpflichtende Wehr- und Zivildienst in Deutschland Mitte 2011 ausgesetzt wurde.
Zumindest zahlenmäßig gibt es für diese helfenden Hände seitdem keinen Ersatz. Konkret gab es in Deutschland im Jahr 2010 rund 78.400 Zivildienstleistende. Für den Bundesfreiwilligendienst (BFD), der als Zivildienst-Ersatz eingeführt wurde, meldeten sich dann deutlich weniger junge Menschen. Im Jahr 2024 waren es rund 31.685. Selbst wenn man diejenigen dazurechnet, die sich für ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) entschieden - ein Ausgleich für die "fehlenden" Zivildienstleistenden war das nicht: Schon 2010, zu Zeiten des Zivildienstes, hatten sich rund 35.400 FSJler engagiert, 2024 waren es immerhin rund 63.800.
Ist eine Wiedereinführung realistisch?
Auf Bundesebene spricht die CDU schon seit einigen Jahren über ein verpflichtendes sogenanntes Gesellschaftsjahr, das bei der Bundeswehr geleistet werden könne oder beispielsweise in einer sozialen Einrichtung, ähnlich dem Zivildienst. Konkrete Pläne, wie ein solches Gesellschaftsjahr aussehen soll, gibt es aber noch nicht. Und auch ein verpflichtender Wehr- oder Ersatzdienst ist noch nicht geplant.
Das könnte sich aber schnell ändern, wenn sich nicht genügend Rekruten freiwillig melden. Dann könnte es laut Verteidigungsminister Boris Pistorius eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht geben. Durch das im Artikel 4 des Grundgesetzes geregelte Recht, den Dienst an der Waffe zu verweigern, müsste dann auch wieder ein Ersatzdienst eingeführt werden, zum Beispiel in Form des neuen Zivildienstes.
Mit offenen Armen empfangen?
Aber wünschen sich Sozial- und Pflegeeinrichtungen den Zivildienst überhaupt zurück? Im Gegenteil: Der Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Schleswig-Holstein, Michael Saitner, etwa kritisierte die Idee eines verpflichtenden Dienstes als "eine Denke der Achtziger und Neunziger, und da sind wir weit drüber weg". Andere Träger sozialer Einrichtungen bewerten das ähnlich. Willem Heins vom Verein Sozialer Friedensdienst Kassel bringt die Kritik auf den Punkt: "Ein neuer Zivildienst würde schon wegen des Zwangscharakters nicht helfen."
Heins hat in seiner Laufbahn sowohl Zivildienstleistende als auch FSJler erlebt. Er hat die Erfahrung gemacht, dass Jugendliche, die eigentlich gar keine Lust auf den Dienst haben, auf jeden Fall mehr Anleitung brauchten. Er erinnere sich an einige Zivildienstleistende, "die sich von Anfang bis Ende quer gestellt haben".
Das sei besonders dann herausfordernd, wenn unmotivierte Jugendliche in Einrichtungen mit Menschen arbeiten. Und schwierig sei auch: Im Gegensatz zu Freiwilligen könne man Zivildienstleistende nicht einfach kündigen. Außerdem gebe es weder eine ausreichende Infrastruktur noch das Personal, das eine Welle von Zivildienstleistenden begleiten könnte. Das aufzubauen könne fünf bis zehn Jahre dauern.
Kein Ersatz für Fachkräfte
Axel Eppich von der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Freiwilligendienste Hessen weist außerdem darauf hin: Zivildienstleistende seien früher oft in Hilfstätigkeiten eingesetzt worden. Das hätte zwar zu einer gewissen Entlastung geführt und dem Fachpersonal mehr Zeit für andere Aufgaben gegeben. Ein echter Ersatz für fehlende Fachkräfte seien Zivis allerdings nie gewesen.
Viele Träger plädieren deshalb für eine Stärkung der Freiwilligendienste, wie FSJ und BFD. Dazu gehöre, erstmal besser darüber zu informieren, so Axel Eppich. Viele Jugendliche hätten von diesen Möglichkeiten noch nie gehört: "Freiwilliges Engagement ist noch sehr unbekannt." Die Träger fordern außerdem vor allem eine bessere Bezahlung. Viele könnten sich allein schon wegen des geringen Entgelts ein FSJ nicht leisten.
Axel Eppich ist sicher: "Wir haben das Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft." Und warum nicht wie bei der Bundeswehr die Möglichkeit in Aussicht stellen, während des Engagements den Führerschein zu machen? Auch das könnte ein FSJ attraktiver machen.
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