Als neuer Umweltminister kämpft der SPD-Politiker Schneider für Sichtbarkeit und Bewegung beim Klima- und Umweltschutz. Viel finanziellen Spielraum hat er dabei nicht. Und es gibt Widerstand in der schwarz-roten Koalition.

Carsten Schneider kommt in einem tonnenschweren Elektro-Lkw angefahren. Zufrieden steigt er aus und sagt: "Ein bisschen fühlt sich das an wie Autoscooter-Fahren. Nur, dass man höher sitzt." Das ist der vergnügliche Teil als Umweltminister - zumindest, wenn man wie er einen Lkw-Führerschein hat.

Es ist ein Besuch bei Daimler Truck im rheinland-pfälzischen Wörth. Hier gehen pro Tag bis zu 470 Laster vom Band. Größtenteils Diesel, aber inzwischen auch E-Trucks.

Die Botschaft von Schneiders Besuch: Es geht voran beim Klimaschutz und die Industrie ist - nicht nur bei der Mobilitätswende - schon weiter, als man denkt. Innovation und Technologie sollen helfen, die Klimaziele zu erreichen. Das legt den Finger in die Wunde: Ausgerechnet im Verkehrssektor verfehlt Deutschland die Klimaziele. 

Verhagelte Klimabilanz

Bis zum Frühjahr muss der Umweltminister einen Plan vorlegen, wie Deutschland bis 2045 klimaneutral werden kann. Dazu braucht er Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU), Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) und Bauministerin Verena Hubertz (SPD). Denn die Bereiche Verkehr, Heizen/Wohnen und Industrie verhageln die Klimabilanz und eine Trendumkehr ist nicht in Sicht.

Das Klimaschutzprogramm will Schneider schon früher als gesetzlich vorgeschrieben vorlegen: Ende dieses Jahres. Und er versucht es möglichst ohne öffentlichen Streit. "Interviews geben, die Investoren und Menschen verunsichern, das halte ich für falsch. Für mich ist wichtig: Klarheit schaffen, Sicherheit geben und was am Ende hinten rauskommt", sagt der SPD-Politiker.

Von Erfurt nach Berlin

Schneider kennt das politische Geschäft. 1998 wurde der gelernte Bankkaufmann zum ersten Mal in den Bundestag gewählt. Damals als jüngster Abgeordneter mit 22 Jahren - und dann noch aus dem Osten, aus Klettbach, einem 1.300-Personen-Dorf vor den Toren von Thüringens Landeshauptstadt Erfurt. Das Parlament tagte in Bonn und Schneiders Heimat war vielen im Westen noch fremd. 

In seinen 27 Jahren im Parlament und im politischen Berlin hat sich Schneider vor allen Dingen einen Namen als Haushaltspolitiker gemacht. Er war stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender, später parlamentarischer Geschäftsführer seiner Fraktion, wurde unter Ex-Kanzler Olaf Scholz Ostbeauftragter und so Staatsminister im Kanzleramt.

Viele Parlamentarier schätzen den 49-Jährigen. Er gilt als pragmatisch und umgänglich. "Wir haben eine gute, vertrauensvolle Zusammenarbeit und schätzen seine klare Linie", sagt Andreas Jung, klimapolitischer Sprecher der Unions-Fraktion.

Schneider spielt mit Begeisterung Fußball im FC Bundestag. Er liebt den Thüringer Wald und angelt gern. Große Berührungspunkte mit Umweltpolitik hatte er aber nicht. Seine Vorgängerin Steffi Lemke von den Grünen war da eine seltene Ausnahme.

Die ersten Monate im neuen Amt

Ins Bundeskabinett hat Schneider bislang die Umsetzung einer europäischen Richtlinie (RED III) eingebracht. Damit sollen Genehmigungsverfahren für den Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigt werden.

Und ein überarbeitetes Elektro- und Elektrogerätegesetz. Es soll unter anderem das Brandrisiko durch Batterien und Akkus eindämmen - ein ernst zu nehmendes Problem auf Wertstoffhöfen und Deponien.

Jüngst hat er die Novelle des Bundesnaturschutzgesetztes durchs Kabinett gebracht, mit der in Meeresschutzgebieten von Nord- und Ostsee Bohrungen nach Öl und Gas ausgeschlossen werden sollen.

Kritik von Grünen und Verbänden

Wenige Gesetzesinitiativen, aber starke Bilder für Umweltthemen: Schneider mit Weltumsegler Boris Hermann bei der Ozeankonferenz in Nizza oder beim Testen von Trittmatten aus Moorfasern beim Wacken Open Air.

Jan-Niclas Gesenhues war bis zum Regierungswechsel Staatssekretär im Umweltministerium unter Schneiders Vorgängerin. Er meint, man merke Schneider an, dass er im neuen Amt noch nicht angekommen ist. "Er wirkt ambitionslos, macht vieles mit, was anti-ökologisch ist." So will die Koalition die Gasspeicherumlage abschaffen und dafür ausgerechnet Geld aus dem Klimatransformationsfonds (KTF) nehmen.

Grüne und Verbände sehen darin eine Zweckentfremdung des Fonds zugunsten fossiler Energien. Gerade an solchen Stellen vermissen sie einen Aufschrei des Umweltministers.

Diskussion um Atomenergie

Als Wirtschaftsministerin Reiche kurz nach Amtsantritt bei einem Treffen atomkraftfreundlicher EU-Staaten zu Gast war, machte Schneider unmissverständlich klar: "Wir haben den Atomausstieg beschlossen. Er ist auch gesellschaftlich akzeptiert."

Zumal kein Energiekonzern wieder einsteigen will und die Ausgaben für die Zwischen- und Endlagerung radioaktiver Abfälle mit Abstand der größte Posten im Etat des Umweltministeriums sind. In diesem Jahr schlagen sie voraussichtlich mit 1,4 Milliarden Euro zu Buche - mehr als die Hälfte des 2,69 Milliarden Euro Gesamtbudgets. Schneiders Argumente hindern AfD-Umweltpolitiker Andreas Bleck dennoch nicht darin, einen 180-Grad-Kurswechsel beim Atomstrom zu fordern.

Industrie auf dem Weg der grünen Transformation

Die Industrie sucht längst nach wirtschaftlichen wie klimafreundlichen Lösungen. Die BASF, das nach Umsatz größte Chemieunternehmen der Welt, hat mit Fördermitteln erste Anlagen umgestellt von Gas auf Strom und produziert eigenen Wasserstoff, um den enormen Energiebedarf nachhaltig zu decken.

BASF-Chef Markus Kamieth setzt auf "smarte Regulierung" als Anreiz, um die Wiederverwendung von Materialien zu fördern - sogenannte Kreislaufwirtschaft. Im Umweltministerium wird die zuständige Abteilung gerade umgebaut.

Beim Interessenverband BDE kommt das nicht gut an. Dessen Präsidentin Anja Siegesmund meint, "umso enttäuschter ist die Branche, dass der zuständige Minister das Thema nach 100 Tagen im Umweltressort schwächt".

Ein ewiges energiepolitisches Hin und Her wäre Gift für langfristige und millionenschwere Investitionsentscheidungen. Das betonen BASF-Vorstandschef Kamieth und Umweltminister Schneider bei einem gemeinsamen Treffen. Der Umweltminister verspricht eine klare Linie der Bundesregierung.

Klimaschutz als soziale Frage

Versprochen hat Schneider bei Amtsübernahme auch eine Klima- und Umweltpolitik, die sozial ausgewogen ist. Konkrete Pläne gibt es noch nicht.

Eine wichtige Frist hat die Bundesregierung verstreichen lassen: Sie hat der EU-Kommission keinen nationalen Klima-Sozialplan vorgelegt. Damit gibt es auch kein EU-Geld beispielsweise für Geringverdiener. Das könnte soziale Härten durch die Ausweitung des Zertifikatehandels für klimaschädliche Emissionen (ETS2) etwa beim Heizen mit Erdgas oder Erdöl ab 2027 abfedern.

Für die umweltpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im Bundestag, Violetta Bock, ein großes Versäumnis: "Dabei ist die Klimafrage die soziale Frage. Die bleibt auf der Tagesordnung, auch wenn darüber gerade weniger geredet wird."

Schneiders bisherige Bilanz hat auch viel mit dem Koalitionsvertrag zu tun. Darin räumen CDU/CSU und SPD dem Umweltschutz weniger Priorität ein als die alte Ampelkoalition. Das Heizungsgesetz soll in der jetzigen Form weg. Beteiligungsrechte sollen so schlank wie möglich ausgestaltet werden. Umweltschützer schauen sorgenvoll in die Zukunft.

Olaf Bandt, Vorsitzender des Naturschutzverbandes BUND, sagt: "Umso mehr kommt es auf den Umweltminister an, bei dem die zentralen Themen und jetzt auch der Klimaschutz wieder gebündelt sind."

Wieder mehr Kompetenzen im Umweltministerium

Schneider kann Umwelt- und Klimapolitik aus einem Guss machen. Während der Ampelkoalition waren die Themen auf drei Ministerien verteilt: Umwelt-, Außen- und Wirtschaftsministerium. Die internationale Klimapolitik ist nun wieder zurück im Umweltministerium. Und mit ihr einer der angesehensten und erfahrensten Fachleute, Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth. Er hat den Minister jüngst bei den gescheiterten Verhandlungen über ein weltweites Plastikabkommen vertreten.

Hinzugekommen ist auch der technische Klimaschutz aus dem Wirtschaftsministerium. Aber es gibt noch immer Gerangel zwischen den Ministerien. Das Kanzleramt hatte sie aufgefordert, die Details bis Anfang August zu regeln, aber kaum ein Haus hat das in der vorgegebenen Frist geschafft.

Das Tempo in der neuen Bundesregierung ist hoch. Das spürt auch der neue Umweltminister, wobei sein Ressort auf der Prioritätenliste der Bundesregierung weiter hinten rangiert. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Schneider gefordert ist.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke