Zu viel Fleisch schadet dem Klima. Doch weder Landwirtschaftsminister Rainer noch Klimaschutzminister Schneider wollen das offenbar klar benennen. Scheuen sie beim Thema Fleisch die Fakten?

Klimaschutz sei der gesamten Bundesregierung ein wichtiges Ziel, mit dem Fleischkonsum habe das aber seines Erachtens nichts zu tun, hat Bundesminister für Landwirtschaft und Ernährung, Alois Rainer, dem ARD-Politikmagazin Panorama gesagt. Leugnet der CSU-Minister damit Fakten zum Klimawandel?

Seine Aussage entspricht jedenfalls nicht dem Stand der Wissenschaft. Das Umweltbundesamt (UBA) schreibt, die Tierhaltung sei eine entscheidende Quelle klimaschädlicher Treibhausgase. Aus dem Verdauungstrakt von Rindern entweichen zum Beispiel große Mengen an Methan. Dazu kommen Lachgasemissionen aus Wirtschaftsdüngern wie Gülle und Mist. Sehr klimaschädlich ist auch die Nutzung trockengelegter Moore für die Rinderhaltung oder das Abholzen von Wäldern, um Futtermittel wie Soja auf den frei gewordenen Flächen anzubauen.

Deshalb ist das Pariser Klimaschutzziel ohne eine andere Ernährung mit weniger tierischen Produkten nicht zu erreichen, erklärt der Klimaforscher und Agrarökonom Hermann Lotze-Campen vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

Konsumverhalten und Klima

Warum hat Agrarminister und Metzger Rainer dennoch gesagt, der Fleischkonsum habe nichts mit dem Klimaschutz zu tun? Auf schriftliche Nachfrage des NDR schreibt ein Ministeriumssprecher lediglich ausweichend, es sei wissenschaftlich belegt, dass sich Konsumverhalten auf das Klima auswirke.

Bundesminister Rainer habe zum Ausdruck bringen wollen, dass Klimaschutz mehr umfasse als Konsumverhalten, und dass die Bundesregierung den Menschen keine Vorgaben beim Konsum mache. "Wer Fleisch essen möchte, soll das auch tun dürfen", heißt es in der Antwort. Auch auf erneute Nachfrage lässt das Ministerium offen, ob Minister Rainer den hohen Fleischkonsum für klimaschädlich hält oder nicht.

Für Klimaforscher Lotze-Campen, der auch gelernter Landwirt ist, ist eine Reduktion des Fleischkonsums auf jeden Fall zentral. Anders sei es schlicht nicht möglich, das Ziel von Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Er empfiehlt, den Fleischkonsum in Deutschland um 70 Prozent zu senken - "also eine Ernährungsweise für einen gesunden Planeten und gesunde Menschen".

Mehr als ein Kilo Fleisch in der Woche

Bisher essen die Menschen in Deutschland im Schnitt mehr als ein Kilogramm Fleisch in der Woche. Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt deutlich weniger. Um die Umwelt zu schützen und die Risiken für Herz-Kreislauf-Krankheiten sowie Dickdarmkrebs zu senken, rät sie zu wöchentlich nicht mehr als 300 Gramm Fleisch und Wurst.

Um dafür Anreize zu schaffen, fordern Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon länger, Fleisch steuerlich nicht weiter zu begünstigen und den reduzierten Mehrwertsteuersatz von derzeit 7 Prozent auf den normalen Satz von 19 Prozent anzuheben. Das hat kürzlich auch der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) erneut empfohlen.

Landwirtschaftsminister Rainer spricht sich jedoch gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer bei tierischen Produkten aus. Sein Ministerium verweist außerdem darauf, dass die Entscheidung in die Zuständigkeit des Bundesfinanzministeriums falle.

Auch der Umweltminister weicht aus

Das Finanzministerium schreibt dem ARD-Politikmagazin Panorama, der Koalitionsvertrag sehe hier keine Änderungen vor. Ein Sprecher von SPD-Minister Lars Klingbeil weist darauf hin, dass grundsätzlich alle Nahrungsmittel dem ermäßigten Steuersatz unterlägen. Der Gesetzgeber habe dabei auf eine Differenzierung nach individuellen Lebensweisen sowie persönlichen Neigungen verzichtet.

Und was sagt der Bundesminister für Klimaschutz, Carsten Schneider, auf die Frage von Panorama, ob ihm Klimaschutz oder die Beibehaltung des hohen Fleischkonsums wichtiger sei? Erst einmal lacht der SPD-Minister. Dann sagt er: "Klimaschutz steht wie viele andere Punkte im Grundgesetz und hat natürlich eine hohe Priorität, aber dieses Gegeneinander ist nichts, was ich teile."

Die schriftliche Nachfrage, ob Schneider den hohen Fleischkonsum in Deutschland für klimaschädlich halte, beantwortet sein Ministerium nicht und schreibt, seiner Äußerung sei nichts hinzuzufügen. Offenbar fällt es den beiden zuständigen Ministern schwer, über die wissenschaftlichen Fakten zum Fleischkonsum zu sprechen.

Fleisch als Metapher

Dabei spiele Fleisch in der politischen Auseinandersetzung eine zentrale Rolle, sagt der Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder von der Universität Regensburg. Denn die Themen Klima, Ernährung und Umweltschutz gehörten zu den Überlebensfragen des 21. Jahrhunderts. "Wir können und wir müssen Ernährung nachhaltiger gestalten", so Hirschfelder.

Fleisch sei aber längst zu einer Metapher geworden, erklärt der Kulturforscher. Es stehe heute auf der einen Seite für Weltzerstörung und einen nachlässigen Umgang mit dem Körper, auf der anderen Seite für Männlichkeit, Individualität und Genuss, so Hirschfelder.

Der gesellschaftliche Austausch darüber sei schwierig, weil viele Menschen, die über Fleisch sprechen und die Ernährung nachhaltiger gestalten wollten, im öffentlichen, privaten und vor allem im digitalen Raum verunglimpft würden, sagt Hirschfelder, der sich intensiv mit der Bedeutung von Fleisch in der Gesellschaft auseinandersetzt.

Identitäten und Werte

Bei der Debatte ums Essen gehe es im Kern um Identitäten und Werte, die mit bestimmten Lebensmitteln verbunden werden, erklärt die Psychologin Britta Renner von der Universität Konstanz, die auch Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz ist. Insbesondere Fleisch sei tief in historischen und kulturellen Traditionen verankert, so Renner. Es gehe also nicht nur um Nährstoffe und Geschmack, sondern auch um Zugehörigkeit und soziale Anerkennung.

Debatten wie die über Fleisch könnten zu einer Polarisierung führen, wenn sie als Eingriffe in privat empfundene Bereiche wahrgenommen würden, heißt es im aktuellen Gutachten des Wissenschaftlichen Agrarbeirates.

So sieht es auch Klimaforscher und Agrarökonom Lotze-Campen. Viele Menschen hätten den Eindruck, da sollte einem niemand reinreden. Er gibt aber zu bedenken, dass ein zu hoher Fleischkonsum zu Gesundheits- und Umweltfolgekosten führe, die dann der Gesellschaft als Ganzes aufgebürdet würden. Es gehe also um die wahren und ehrlichen Preise von Fleisch, sagt Lotze-Campen.

Das Ziel, bis 2045 auf Netto-Null-Emissionen zu kommen, sei zentral, so Lotze-Campen. Es gehe dabei nicht darum, die Gesellschaft zu quälen, sondern darum, zukünftige Klimaschäden zu vermeiden. Der Klimaforscher betont: "Das ist ein Vorsorgeprinzip."

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