Die Entwicklungsministerin reist heute ins Westjordanland. Danach besucht sie Jordanien und Saudi-Arabien, um über den Wiederaufbau in Gaza zu sprechen. Eine von vielen schwierigen Aufgaben. Wer ist Alabali Radovan?
Am Tag ihres Amtsantritts im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) verrät die neue Ministerin Reem Alabali Radovan ihrem Kollegium: Vor zehn Jahren habe sie sich auf eine Stelle im Haus beworben, sei aber abgelehnt worden. Gelächter und Applaus. Der Einstieg gelingt.
Inzwischen repräsentiert die SPD-Ministerin Deutschland auf internationaler Bühne und bewegt sich auf politisch vermintem Gelände - aktuell in Israel und den palästinensischen Gebieten.
Mit 35 Jahren ist Reem Alabali Radovan das jüngste Mitglied im Kabinett von Kanzler Friedrich Merz. Und sie hat weitere Alleinstellungsmerkmale: Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik sprach jemand in der Ministerriege Arabisch, hinzu kommen Alabali Radovans Aufwachsen in einem ostdeutschen Bundesland nach dem Mauerfall und ihre Migrationsgeschichte.

Interview mit Alabali Radovan, SPD, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, vom UN-Gipfel in Sevilla
tagesthemen, 30.06.2025 21:55 UhrKindheit in Mecklenburg-Vorpommern
Geboren wird sie 1990 in Moskau als Tochter irakischer Eltern, die dort Ingenieurwissenschaften studieren. Ihr Vater war in der Opposition zu Machthaber Saddam Hussein aktiv. Deshalb beantragt die Familie Asyl in Deutschland und findet in einem Übergangszentrum in Mecklenburg-Vorpommern Unterkunft. Reem ist sechs Jahre alt. Deutsch lernt sie in der Grundschule. Zuhause spricht die Familie Arabisch, nicht länger Russisch wie zuvor in Moskau.
Die Studienabschlüsse ihrer Eltern werden nicht anerkannt. Die Mutter arbeitet als Schuhverkäuferin, der Vater im Großhandel - Erfahrungen, wie sie viele Flüchtlinge machen. "Dass wir nicht wirklich frei sind, habe ich als Kind gespürt. Wir waren froh, als wir die Erstaufnahme verlassen konnten. Bis heute reden wir kaum über diese harte Zeit", erklärt sie 2023 in der Zeit.
Rasanter Aufstieg
Trotzdem kehrt sie nach dem Studium der Politikwissenschaften an der FU Berlin im Jahr 2015 an diesen Ort zurück. Sie erhält eine Stelle - auch wegen ihrer Arabisch-Kenntnisse - und kümmert sich in der Erstaufnahmeeinrichtung Nostorf-Horst unter anderem um Aufenthaltsgenehmigungen und die Verteilung der Menschen in Mecklenburg-Vorpommern. Selbstbewusst sagt sie einmal der taz, sie wisse, was Kinder brauchen, wenn sie in Deutschland ankommen.
Später wird Alabali Radovan Büroleiterin der Landesintegrationsbeauftragten. Von nun an verläuft ihre Karriere rasant. Sie übernimmt das Amt in Mecklenburg-Vorpommerns Landesregierung selbst. Anfang 2021 tritt sie in die SPD ein, um nur wenige Monate später für den Bundestag anzutreten. Die Newcomerin gewinnt das Direktmandat, mit mehr als zehn Prozentpunkten Vorsprung vor dem CDU-Kandidaten. Ein Erfolg, den sie allerdings 2025 nicht wiederholen kann.
Auch in Berlin geht es schnell bergauf: als Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration und Bundesbeauftragte für Antirassismus. Sie übernimmt Aufgaben, die eng mit ihrer eigenen Biografie verbunden sind. Reem Alabali Radovan will zwar nicht als Vorzeigeintegrierte in der Politik auf ihren Lebenslauf reduziert werden, aber sie weiß zugleich, wie außergewöhnlich ihre Erfolgsgeschichte ist, und hofft, Vorbild zu sein.
"Ich fühle mich als Deutsche, als Schwerinerin, als Ostdeutsche, aber ich habe eben auch einen großen Bezug zu meinen irakischen Wurzeln", beschreibt sie ihr Selbstverständnis im SWR im Oktober 2024. "So fühlen viele Menschen, dass sie sich nicht zwischen einer Identität entscheiden können, und wir müssen uns auch gar nicht zwischen Identitäten entscheiden. Ich finde, das gehört zu einem modernen Einwanderungsland dazu."
Mammutaufgaben im Entwicklungsministerium
Ganz überraschend kommt der Ministerposten im BMZ daher nicht. Das Thema Entwicklungszusammenarbeit liege ihr am Herzen, betont Alabali Radovan immer wieder. Vielen Menschen in Deutschland geht das aber nicht mehr so, wie Umfragen belegen. In Zeiten wirtschaftlicher Schwierigkeiten im eigenen Land sinkt die Bereitschaft, Geld für Entwicklungsprojekte in anderen Ländern auszugeben.
Das ist vielleicht die größte und schwerste Aufgabe für Alabali Radovan: vermitteln, warum die Arbeit ihres Ministeriums wichtig ist und Geld kostet. Übernommen hat sie das Haus in einem Moment, in dem der Etat erneut massiv gekürzt wurde und sogar die Eigenständigkeit des BMZ zur Debatte stand.
Nun muss sie Hilfsprojekte in der Welt streichen und dort erklären, warum sich Deutschland zurückzieht - ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem die US-Regierung ihre Hilfe einstellt und entsprechend mehr Verantwortung auf die verbleibenden Geberländer übergeht.
Im eigenen Land muss Alabali Radovan ihr Ministerium zudem gegen immer schärfere Angriffe verteidigen. Auch deshalb weist sie darauf hin, dass Entwicklungszusammenarbeit neben Verteidigung und Außenpolitik Teil der deutschen Sicherheitsstrategie ist. Außerdem sei sie unverzichtbarer Bestandteil der Migrationspolitik, weil sie unter anderem Fluchtursachen bekämpfen helfe.
Schwierige Mission im Nahen Osten
Für die Bundesregierung ist Alabali Radovan mit ihrem vielseitigen Profil ein Joker - allerdings nur, solange sie nicht aus der von Bundeskanzler Merz vorgegebenen Position ausschert. Bisher ist sie auf Linie, auch in der Nahostpolitik.
Sie weiß, die heutige Reise in das Westjordanland verlangt von ihr einen schwierigen Balanceakt. Viele Palästinenser erwarten von der Bundesregierung deutlichere Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung, im Westjordanland wie in Gaza.
Als Alabali Radovan im Juli in Kairo palästinensische Flüchtlinge traf, sagten die ihr: "Unser Leben ist eh vorbei, wir erhoffen uns nichts mehr. Aber bitte sorgen Sie dafür, dass unsere Kinder keine verlorene Generation sind und trotz all der Traumata, die sie erlebt haben, eine Perspektive haben."
Und so appelliert die 35-jährige Ministerin an die israelische Regierung, die "UN-Organisationen, die alle Mittel und Möglichkeiten haben, die Menschen vor Ort zu versorgen", nach Gaza zu lassen. Es brauche einen dauerhaften Waffenstillstand. "Dann sind wir auch bereit, auch mit meinem Ministerium, sofort zu unterstützen - vor Ort."
Laut Bundeskanzler Merz soll Alabali Radovan nun zusammen mit den Partnern in der Region Vorkehrungen für eine Wiederaufbaukonferenz für Gaza treffen. Auch deshalb wird sie nach dem Westjordanland noch Jordanien und Saudi-Arabien besuchen.
Sie versichert, die Regierung werde keinen Plan akzeptieren, der die Vertreibung von Palästinenserinnen und Palästinenser aus Gaza vorsehe. Aber wird diese Versicherung ihren Gesprächspartnern reichen? Sie muss mit Gegenwind rechnen. Die Reise in den Nahen Osten wird wohl ihre bisher schwierigste werden.
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