Vor einem Jahr hat ein Mann drei Menschen bei einem Stadtfest in Solingen getötet. Das Attentat führte zu einer schärferen Migrationspolitik in Deutschland. Was das gebracht hat, ist umstritten.
Olaf Scholz kommt wenige Tage nach dem Angriff nach Solingen. Der damalige Bundeskanzler von der SPD will Mitgefühl und Handlungsstärke zeigen. "Alles, was in unserer Macht liegt, muss auch getan werden", sagt Scholz. Einige Monate später wird er einräumen müssen, dass das nicht gelungen ist.
Bei dem Messerangriff am 23. August 2024 tötet ein Angreifer drei Menschen während eines Stadtfestes. Kurz danach wird ein aus Syrien stammender Mann gefasst, der sich derzeit wegen Mordes aus mutmaßlich islamistischen Motiven vor Gericht verantworten muss.

Caroline Hoffmann, WDR, mit Eindrücken von der Gedenkveranstaltung in Solingen
tagesschau24, 23.08.2025 14:00 UhrDie damalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und der damalige Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) schnüren schon Ende August 2024 eilig ein sogenanntes Sicherheitspaket - mit schnelleren Abschiebungen, mehr Überwachung für Gefährder und einem schärferen Waffenrecht. Viele der Vorschläge sind schon länger in der politischen Debatte.
Wahlkämpfe heizen Migrationsdebatte an
Für den damaligen Oppositionsführer Friedrich Merz ist das nicht genug. "Es reicht!", sagt der CDU-Politiker im Bundestag. Und weiter: "Wenn Solingen jetzt für die Koalition nicht der Wendepunkt ist, dann weiß ich nicht, was noch passieren muss, damit einige Leute hier endlich mal zur Besinnung kommen."
Merz steht unter dem Eindruck des Attentats in Solingen, aber er kennt auch die Umfragewerte seiner Partei in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Dort sind im September 2024 Landtagswahlen. Die AfD sitzt der CDU im Nacken. AfD-Chefin Alice Weidel fordert einen sofortigen Aufnahmestopp für alle Flüchtlinge und Grenzkontrollen.
Die kommen wenig später. Im September weist Innenministerin Faeser die Bundespolizei an, alle deutschen Grenzen in Stichproben zu kontrollieren. Davor war das nur an den Grenzen zu Österreich, der Schweiz, Tschechien und Polen der Fall. Wer nicht die nötigen Papiere hat und kein Asyl beantragt, soll zurückgewiesen werden.
Forscher: Politik wird getrieben von AfD
Auf Hannes Schammann wirkt das im Rückblick getrieben. "Migrationspolitik wird gemacht, um die AfD zu verhindern", sagt er im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio. Schammann ist Migrationsforscher an der Universität Hildesheim und Mitglied im Sachverständigenrat für Integration und Migration. Nach seinem Eindruck spielen die Steuerung und das Management der Migration in der aktuellen Politik kaum noch eine Rolle. Die Debatte habe sich völlig entkoppelt.
Schammann macht das unter anderem an der Gesetzgebung fest: "Wir warten ja nicht mal ab, ob irgendein Gesetz funktioniert. Sondern wir beschließen gleich ein neues. Weil wir denken, es braucht für die Debatte ein neues Gesetz."
So ist es auch Mitte Oktober 2024. Der Bundestag beschließt das "Sicherheitspaket". Inklusive einem Messerverbot bei Volksfesten und in Bussen und Bahnen. Ausreisepflichtigen Asylbewerbern sollen Leistungen gestrichen werden können, wenn ein anderes EU-Land für sie zuständig ist. Recherchen des ARD-Hauptstadtstudios zeigen: Behörden setzen das bisher kaum um. Zu groß sind die rechtlichen Zweifel.
Union stimmt mit AfD für andere Migrationspolitik
Ende Januar 2025 tötet ein Angreifer in Aschaffenburg mit einem Messer ein Kleinkind und einen Mann. Der Täter: ein ausreisepflichtiger Afghane. Die vorgezogene Bundestagswahl steht vor der Tür. Laut ARD-DeutschlandTrend ist die Migration für mehr als ein Drittel der Befragten das wichtigste politische Problem. Im Bundestag stimmen CDU, CSU und die AfD zusammen für eine andere Migrationspolitik.
Bundeskanzler Scholz steht unter Druck. "Ich bin empört", sagt er in einer Regierungserklärung im Bundestag. Scholz wirft Ländern und Kommunen vor, die vorhandenen Gesetze nicht konsequent anzuwenden: Die vier Straftaten in Mannheim, Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg hätten aus seiner Sicht mit den bestehenden und verschärften Gesetzen verhindert werden können.
Ein Vollzugsdefizit sieht auch Migrationsforscher Schammann. Die Ursachen: zu wenig Personal in den Behörden, zu wenig Digitalisierung, zu komplexe Gesetze. "Momentan scheitert das, was man in Berlin sich ausdenkt, auf den Schreibtischen in Gütersloh und Solingen", so der Migrationsforscher.
Neue Bundesregierung verschärft Grenzkontrollen
Ende Februar ist Olaf Scholz abgewählt. Friedrich Merz wird im Mai neuer Bundeskanzler. Sein Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) verschärft sofort die Grenzkontrollen. Jetzt weist die Bundespolizei teilweise auch Asylbewerber zurück. Rechtlich ist das hoch umstritten.
14.000 Beamte sind bundesweit im Einsatz. In den ersten Monaten schicken sie etwa 500 Menschen mit Asylgesuch zurück. Für Migrationsforscher Schammann sind die Grenzkontrollen "ein Zucken des Nationalstaates". Er nennt sie "vorhersehbar", aber "nicht unbedingt wirkungsvoll".
Migrationsforscher bezweifeln Wirksamkeit
Andere Migrationsforscher denken ähnlich. Der Konstanzer Migrationsforscher Daniel Thym etwa spricht von "Symbolik". Wie er im Deutschlandfunk sagt, sei es eine Illusion anzunehmen, dass die Bundesregierung allein dauerhaft die Migration an den deutschen Grenzen reduzieren könne.
Aktuell beantragen nur noch halb so viele Menschen in Deutschland Asyl wie vor einem Jahr. Das dürfte vor allem an der Situation in Syrien liegen. Nach dem Sturz des Assad-Regimes kommen weniger Menschen von dort. Mit der deutschen Politik hat das nach Einschätzung von Migrationsforschern nur wenig zu tun.
Björn Dake, ARD Berlin, tagesschau, 22.08.2025 15:30 UhrHaftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke