Der Wahlausschuss Ludwigshafen hat den AfD-Kandidaten von der Wahl zum Oberbürgermeister ausgeschlossen. Es gebe Zweifel an seiner Verfassungstreue. Nun muss ein Gericht entscheiden.

Mitglieder eines Wahlausschusses können sich schnell in einer Klemme wiederfinden: Würden sie einem Kandidaten die Bewerbung um das Oberbürgermeisteramt verwehren, könnte das den Eindruck nähren, die Ausschussmitglieder - entsandt von den Parteien im Stadtrat - entledigten sich eines Konkurrenten.

Außerdem würde den Wählenden ein Kandidat vorenthalten. Spräche sein Ausschluss nicht gegen den Grundsatz der Wahlfreiheit? Würde damit das Bild von Demokratie Schaden nehmen?

Würden sie ihn hingegen durchwinken, drohte ihr vielleicht auch ein Schaden, wenn nämlich das neue Stadtoberhaupt mit seinen Mitteln die Demokratie demontieren würde - wenn er beispielsweise Minderheiten unter seinen Bürgern herabwürdigte oder die Informationsfreiheit behinderte.

Da der Oberbürgermeister Verwaltungschef ist, verlangt die Gemeindeordnung in Rheinland-Pfalz vom OB in spe eine Verfassungstreuepflicht: Kandidieren darf nur, wer "die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt". Das zu prüfen ist Aufgabe des Wahlausschusses.

Zweifel an der Verfassungstreue in Ludwigshafen

In Ludwigshafen entschied sich der Wahlausschuss schließlich mit sechs zu einer Stimme, die Bewerbung des AfD-Kandidaten Joachim Paul in ihrer öffentlichen Sitzung zurückzuweisen. Die AfD selbst konnte nicht abstimmen - sie hatte ihren Vertreter zu spät benannt.

Begründung des Gremiums: Zweifel an Pauls Verfassungstreue. Damit steht er am 21. September nicht auf dem Wahlzettel. Vorerst. Denn Paul geht gegen die Entscheidung rechtlich vor. Die Bürger von Ludwigshafen seien um ihre Stimme betrogen worden, sagte er.

Die Partei und ihre Anhänger wirken wütend. Am vergangenen Sonntag demonstrierten 150 Menschen gegen die Nicht-Zulassung - und ebenso viele dafür. Internetseiten aus dem rechten Spektrum schreiben von einem "Verfassungsbruch", sehen Paul als "Opfer der Altparteien".

Gibt Pauls Vita Aufschluss über jenen verlangten Gewährswillen für die demokratische Grundordnung? 2023 soll die eigene Partei Paul für ihre Ämter gesperrt haben, weil er offenbar mit dem "White Power"-Gruß, einem Erkennungszeichen unter Rechtsextremen, abgelichtet worden sei. Paul bestreitet sowohl, den extremistischen Hintergrund der Geste gekannt zu haben, als auch die Ämtersperrung.

Einordnung des Verfassungsschutzes

Auch trat Paul offensichtlich nicht mit voller Wucht für den allerobersten Artikel im Grundgesetz ein und hielt die Menschenwürde hoch, als er 2023 ein Video twitterte, in denen ein von Jugendlichen erniedrigtes Kind um Gnade fleht. Die Hilflosigkeit eines Opfers zur Schau zu stellen, kann strafbar sein. Paul nahm die Verurteilung im Mai vergangenen Jahres an.

Auch eine Minderheit unter den Bürgern Ludwigshafens geriet in Pauls Fokus: Eine Einordnung des Landesverfassungsschutzes, die der Wahlausschuss eigens zur Entscheidungsfindung angefordert hatte, führt einen Text Pauls an. Darin soll er behauptet haben, in einem Ludwigshafener Stadtteil hätten "Türken, Araber und 'Bulgaren'" die frühere Bewohnerschaft verdrängt. Dabei soll er das Wort Bulgaren mit Anführungszeichen versehen haben - für den Verfassungsschutz eine verdeckte Botschaft: Bulgaren seien Sinti und Roma, hätten keine eigene Nationalität.

Paul ist seit 2016 Mitglied des Landtags Rheinland-Pfalz. Sein Wahlkreisbüro bot Veranstaltungen der sogenannten Neuen Rechten Obdach. Unter den Gästen war beispielsweise ein österreichischer Rechtsextremist.

Belastbare Belege nötig

Könnte das alles hinreichend belegen, Pauls Verfassungstreue nicht gewährleistet zu sehen und die Wahlzulassung zu versagen? Rührt der Passus doch von den Erfahrungen der Weimarer Republik her, die auch daran scheiterte, dass Demokratiefeinde den Staat unterwanderten.

Die Freiheit der Wahl beschneiden: ein scharfes und deshalb selten gezogenes Schwert. "Die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes und der Landesverfassung misst dem Wahlrecht der Bürgerinnen und Bürger hohe Bedeutung zu", erklärt Joachim Wieland, Verfassungsrechtler an der Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. "Zunächst einmal ist es Aufgabe der Wahlberechtigten, bei ihrer Wahlentscheidung die Verfassungstreue der Kandidatinnen und Kandidaten zu berücksichtigen."

Der Wahlausschuss dürfe den Wahlberechtigten nur vorgreifen, wenn er belastbare Belege dafür habe, dass der Bewerber nicht die Gewähr für seine Verfassungstreue biete, sagt Wieland. "Die bloße Mitgliedschaft in einer nicht verbotenen Partei reicht dafür ebenso wenig aus wie bloße Vermutungen, die nicht auf nachweisbaren Tatsachen beruhen."

Historisch betrachtet gute Gründe

"Es ist überraschend, dass der Wahlausschuss sich dieses Urteil 'getraut' hat", sagt Jan Philipp Thomeczek. Er forscht an der Universität Potsdam zu politischer Kommunikation. "Wenn AfD-Kandidierende bei OB-Wahlen antreten, ist das natürlich ein wichtiges Normalisierungssignal: Die Partei ist sichtbar, auf dem Wahlzettel, auch auf der kommunalen Ebene angekommen, sie steht neben allen anderen auf dem Stimmzettel."

Die Ludwigshafener Entscheidung sei eines der "Elemente der wehrhaften Demokratie" und Deutschland habe historisch betrachtet gute Gründe dafür, findet Thomeczek.

Diese Gründe sieht Verfassungsrechtler Wieland auch beim Bürgermeisteramt: "Das Demokratieprinzip ist auf kommunaler Ebene nicht weniger von Bedeutung als in Bund und Land, weil die Bürgerinnen und Bürger direkt auf die kommunale Selbstverwaltung einwirken und Entscheidungen beeinflussen können, die für ihr tägliches Leben von erheblicher Bedeutung sind."

Das Verwaltungsgericht prüft den Vorgang

Nun prüft das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße den Vorgang. Der Eilantrag Pauls sei eingegangen, bestätigte ein Sprecher, und der Wahlausschuss zur Stellungnahme aufgerufen.

Briefwahlunterlagen müssen gedruckt und Wahlkampf geführt werden - die Zeit drängt also. Unwahrscheinlich, aber dennoch möglich: Würde das Gericht die rechtlichen Kriterien für den Ausschluss als nicht gegeben sehen, seine Entscheidung aber erst nach dem Wahltermin fällen, müsste die Oberbürgermeisterwahl von Ludwigshafen sogar wiederholt werden.

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