Es ist frostig geworden zwischen den Regierungspartnern Union und SPD nach der geplatzten Richterwahl im Bundestag. Doch für Kanzler Merz "ist das nun auch keine Krise". Beim Koalitionspartner ist man deutlich weniger entspannt.

Es war ein Knall am Freitag im Bundestag - eigentlich sollten drei Kandidaten als neue Richter am Bundesverfassungsgericht bestätigt werden. Doch am Ende wurde niemand gewählt. Denn die Union stellte sich gegen die Kandidatin der SPD und am Ende des Tages stand eine bis zum Herbst verschobene Abstimmung und ein handfester Zoff zwischen den schwarz-roten Koalitionspartnern.

Doch von Streit will Bundeskanzler Friedrich Merz im ARD-Sommerinterview nichts wissen. "Das war nicht schön", räumt er zwar ein, doch das Ganze sei "nun auch keine Krise". Immer wieder betont der CDU-Politiker, dass das ja quasi alles halb so wild ist. "Das ist nichts, was uns umwirft", heißt es vom Kanzler. Oder auch: "Das Ganze ist undramatisch."

Gegensätzliche Sicht der SPD

Doch so undramatisch klang die Kritik aus den Reihen der SPD nicht nach dem Eklat um die Richterwahl. Führung und Verantwortung seien nichts für Sonntagsreden, hatte etwa SPD-Chef Lars Klingbeil betont - nur zwei Tage, nachdem Merz im Bundestag selbst versichert hatte, die schwarz-rote Regierung werde "Führungsverantwortung" übernehmen.

Ähnlich sieht das SPD-Fraktionsgeschäftsführer Dirk Wiese: "Natürlich gibt es immer wieder Gewissensentscheidungen im Deutschen Bundestag. Aber ehrlicherweise, es gibt auch Koalitionsverträge", sagte er dem Nachrichtenportal "Politico". "Es gibt Dinge, auf die verständigt man sich." Er erwarte, dass Zusagen gelten und man sich "nicht hinter Gewissensentscheidungen etwas versteckt".

Auch Steinmeier wird deutlich

Und nur kurz vor dem ARD-Sommerinterview äußerte sich auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zur Richterwahl und deren Konsequenzen - mit für sein Amt ungewöhnlich deutlichen Worten. Er sehe die Regierungskoalition "beschädigt", sagte er Gespräch mit dem ZDF und drängte darauf, die Abstimmung zügig nachzuholen.

"Hätten erkennen können, dass Unmut entsteht"

Die Mehrheit für die SPD-Kandidatin hatte eigentlich schon gestanden - im Richterwahlausschuss des Bundestages. Und Merz selbst hatte vor der geplanten Abstimmung im Bundestag dafür geworben, für Brosius-Gersdorf zu stimmen. Doch die Personalie sorgte für Rumoren in den Reihen der Union. Vor allem wegen der liberalen Haltung der Juristin, etwa im Hinblick auf eine mögliche Reform der Regelungen für einen Schwangerschaftsabbruch.

Doch für den Widerspruch am Freitag führte die Union dann Zweifel im Hinblick auf die Doktorarbeit der Juristin ins Feld. Denn in der wurden angeblich Textidentitäten mit der Habilitation ihres Ehemannes festgestellt. Wobei die Doktorarbeit der SPD-Kandidatin eher veröffentlicht worden war als die ihres Gatten.

Rückenstärkung für Spahn

Und ja, rückblickend muss auch Merz einräumen: "Wir hätten erkennen können, dass solcher Unmut entsteht." Es habe Unruhe in den eigenen Reihen gegeben, aber auch bei der SPD habe es Vorbehalte gegeben mit Blick auf die Richterwahl. Diese Vorbehalte von beiden Seiten, "das haben wir unterschätzt und das wird uns nicht noch mal passieren".

Dieses Eingeständnis könne man auch als Kritik an Unionsfraktionschef Jens Spahn verstehen - so schätzt es der Leiter des ARD-Hauptstadtstudios, Markus Preiß, ein, der das Sommerinterview führte. Gleichzeitig stärkt Merz in dem Gespräch seinem Parteikollegen demonstrativ den Rücken: Auf die Frage von Preiß, ob Spahn noch der richtige Mann als Fraktionschef sei, sagt Merz: "Eindeutig ja."

Bundeskanzler Friedrich Merz, CDU, im ARD-Sommerinterview

Bericht aus Berlin, 13.07.2025 18:00 Uhr

"Schwierige Mehrheitsverhältnisse" machen Sache nicht einfacher

Der Kanzler betont, dass eine solche Richterwahl eben keine einfache Sache sei. Weil es für die Abgeordneten bei solchen Personalentscheidungen auch immer um Gewissensfragen gehe. Merz führt auch den straffen Zeitplan für Schwarz-Rot in den zehn Wochen an, die die Regierung mittlerweile im Amt ist. Sehr viele Gesetze seien bereits durchgebracht worden, alle Punkte, die sich die Koalition bis jetzt vorgenommen habe - bis auf diese Richterwahl.

Und dann seien da noch die "schwierigen Mehrheitsverhältnisse": Für die Zustimmung zu einem Kandidaten oder einer Kandidatin für einen Richterposten braucht es die Zweidrittelmehrheit. Und die hat Schwarz-Rot nicht. Nicht einmal, wenn noch die Stimmen der Grünen dazu kommen. Merz warnt zwar ausdrücklich davor, sich auf der Suche nach Mehrheitsverhältnissen von der AfD abhängig zu machen.

Doch er stellt auch klar: Der Unvereinbarkeitsbeschluss seiner CDU für eine Zusammenarbeit sowohl mit der AfD als auch mit der Linkspartei gelte. "Das heißt nicht, dass man im Parlament nicht auch Abstimmungen haben kann, wo mal der Eine, mal der Andere bestimmten Vorhaben zustimmt", so Merz.

Fortsetzung nach der Sommerpause

Die Abstimmung über die Richterkandidaten soll nun nach der Sommerpause des Bundestags nachgeholt werden - also nicht so zügig, wie es der Bundespräsident fordert. Bis dahin wolle die Union "in Ruhe" mit der SPD sprechen, so Merz. Und dann würden die beiden Regierungsparteien auch zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen, zeigt er sich überzeugt.

Dass "wir unserer Fraktion" einiges zumuten, das weiß der CDU-Chef. Gleiches gelte für die SPD und ihre Fraktion. Schwarz-Rot sei eben keine "Liebesheirat", sondern eine "Arbeitskoalition". Und allen sei klar, "dass dabei nicht alle Wünsche in Erfüllung gehen".

Reformen von Sozialversicherungen und Bürgergeld auf der Agenda

Und die Liste der Punkte, die die Bundesregierung nach der Sommerpause - neben der nachgeholten Richterwahl - angehen will, ist lang. Darunter das Ziel, "die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfähig zu machen", also Reformen der Rentenversicherung, Krankenversicherung und Pflegeversicherung. Wie genau die aussehen könnten, daran wird laut Merz gerade gearbeitet. Fest stehe, dass der Zuschussbedarf der Sozialversicherungen von Jahr zu Jahr zunehme. "Das können wir so nicht lassen."

Ein anderer Punkt - und eines der zentralen Wahlversprechen der CDU: die Reform des Bürgergeldes. Diejenigen, "die die Hilfe des Staates wirklich brauchen", die sollten sie auch bekommen, betont Merz. Und kann sich hier sogar vorstellen, die Beiträge noch zu erhöhen. Es gehe um die, "die arbeiten können und nicht arbeiten oder nur Teilzeit arbeiten". Da müsse nachjustiert werden, so Merz. Er verspricht sich davon deutliche Einsparungen von "mehr als ein oder zwei Milliarden".

Für ihn ist etwa eine Deckelung der Mietkosten denkbar, ebenso Kontrollen der Wohnungsgröße der Bezugsempfänger. "Sie haben in den Großstädten heute teilweise bis zu 20 Euro pro Quadratmeter, die sie vom Sozialamt oder von der Bundesagentur bekommen für Miete", führt Merz aus. "Und wenn Sie das mal hochrechnen, das sind bei 100 Quadratmetern schon 2.000 Euro im Monat. Das kann sich eine normale Arbeitnehmerfamilie nicht leisten."

Die Termine der kommenden Sommerinterviews 20. Juli: Alice Weidel, AfD
3. August: Felix Banaszak, Grüne
10. August: Bärbel Bas, SPD
17. August: Jan van Aken, Linke 
24. August: Markus Söder, CSU

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