Ob Wehrpflicht oder Stromsteuer - die Debatten darum bescheren den Sozialdemokraten sinkende Zustimmungswerte. Im aktuellen ARD-DeutschlandTrend liegen sie nur knapp über ihrem bisherigen Tiefststand.
Hinter der SPD liegen aufwühlende Tage: der Bundesparteitag am Wochenende, bei dem ihr Co-Parteivorsitzender Lars Klingbeil nur 64,9 Prozent Zustimmung erhielt. Das Ringen um einen Kompromiss beim Thema Wehrpflicht. Das so genannte "Friedensmanifest", an dem sich namhafte Parteivertreter beteiligt hatten. Oder die Auseinandersetzung um die Senkung der Stromsteuer, die im Koalitionsvertrag noch - mit Finanzierungsvorbehalt - für alle Haushalte und Unternehmen avisiert wurde, die nun aber vorerst nur für Industrie, Land- und Forstwirtschaft gelten soll.
Diese Debatten wirken sich auch im ARD-DeutschlandTrend aus, für den das Meinungsforschungsinstitut infratest dimap von Montag bis Mittwoch 1.312 Wahlberechtigte in Deutschland befragt hat. Während Kanzler Friedrich Merz (CDU) weiter an Zustimmung zulegt und inzwischen auf einen Zufriedenheitswert von 42 Prozent kommt, büßt Lars Klingbeil (SPD) als Partei- und Fraktionschef, Finanzminister und Vizekanzler gegenüber dem Vormonat 9 Prozentpunkte ein: Aktuell sind 30 Prozent mit seiner Arbeit zufrieden, jeder Zweite ist damit unzufrieden.
SPD käme bei Bundestagswahl nur noch auf 13 Prozent
Auch der Zuspruch für die Gesamtpartei leidet unter den Debatten. Wenn schon am Sonntag Bundestagswahl wäre, käme die SPD nur noch auf 13 Prozent (-2 im Vergleich zu Juni). Nicht mehr fern ist der historische Tiefstand im ARD-DeutschlandTrend von 12 Prozent im Jahr 2019. Andere Parteien links der Mitte sind den Sozialdemokraten nah gekommen: die Grünen mit unverändert 12 Prozent und die Linke mit 10 Prozent (+1). Der Kontakt zu AfD (unverändert 23 Prozent) und Union (30 Prozent, +1) ist schon vor längerem abgerissen.
Die SPD leidet unter einem Spagat: Bei der Bundestagswahl im Februar hat sie vor allem nach rechts Wählerinnen und Wähler verloren - mehr als 1,7 Millionen an die Union, mehr als 700.000 an die AfD. Gleichzeitig gelingt es ihr nicht, sich als die Partei links der Mitte abzusetzen. Das Manifest aus den selbst ernannten SPD-Friedenskreisen, zu dem sich Politiker wie der ehemalige Fraktionschef Rolf Mützenich oder Ralf Stegner bekennen, konnte als ein Versuch gewertet werden, Wählerinnen und Wähler zurückzugewinnen oder neu anzusprechen.
Als "Friedenspartei" aber wird die SPD kaum wahrgenommen: Im ARD-DeutschlandTrend trauen es nur noch 11 Prozent am ehesten der SPD zu, den Frieden in Europa herzustellen und zu sichern (-6 im Vergleich zu Juni 2024). Die AfD hat ihren Wert in dieser Frage auf 14 Prozent verdoppelt, CDU/CSU liegen mit 31 Prozent vorn (+4).
Thema Kriegstüchtigkeit schürt Angst in Bevölkerung
Viel ist in der jüngeren Vergangenheit über "Kriegstüchtigkeit" gesprochen worden, über drohende Angriffe Russlands auf Mitgliedsländer der NATO, benötigte Waffensysteme und das neue Vorhaben der NATO-Staaten, ihre Verteidigungsausgaben auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern.
Eine Mehrheit der Deutschen verfolgt diese Debatten mit Sorge. 57 Prozent sagen: "Es macht mir Angst, wie leichtfertig in Deutschland über Kriegstüchtigkeit geredet wird." Gleichzeitig erkennen fast zwei von drei Bürgerinnen und Bürgern an: "Deutschland muss kriegstüchtig werden, damit der Frieden in Europa gesichert werden kann."
Die Diskussion in Deutschland hat sich dabei in den vergangenen Monaten von benötigten Waffensystemen in Richtung Personal bewegt. Aktuell zählt die Bundeswehr rund 180.000 Soldaten. Verteidigungsminister Boris Pistorius hält bis zu 60.000 zusätzliche Soldaten für nötig, um mit den NATO-Zielen Schritt zu halten. Drei Viertel der Deutschen unterstützen das - sie sagen: "Deutschland braucht dringend mehr Soldaten, die im Ernstfall das Land verteidigen."
Untersuchungsanlage Grundgesamtheit: Wahlberechtigte in DeutschlandErhebungsmethode: Zufallsbasierte Online- und Telefon-Befragung (davon 60 Prozent Festnetz, 40 Prozent Mobilfunk)
Erhebungszeitraum: 30. Juni bis 02. Juli 2025
Fallzahl: 1.312 Befragte (782 Telefoninterviews und 530 Online-Interviews)
Gewichtung: nach soziodemographischen Merkmalen und Rückerinnerung Wahlverhalten
Schwankungsbreite: 2 Prozentpunkte bei einem Anteilswert von 10 Prozent, 3 Prozentpunkte bei einem Anteilswert von 50 Prozent
Durchführendes Institut: infratest dimap
Die Ergebnisse sind auf ganze Prozentwerte gerundet, um falsche Erwartungen an die Präzision zu vermeiden. Denn für alle repräsentativen Befragungen müssen Schwankungsbreiten berücksichtigt werden. Diese betragen im Falle einer Erhebung mit 1.000 Befragten bei großen Parteien rund drei Prozentpunkte, bei kleineren Parteien etwa einen Punkt. Hinzu kommt, dass der Rundungsfehler für kleine Parteien erheblich ist. Aus diesen Gründen wird keine Partei unter drei Prozent in der Sonntagsfrage ausgewiesen.
Mehrheit will Wehrpflicht für Männer und Frauen
Mit der Frage, wie das gelingen soll, beschäftigte sich zuletzt auch der Bundesparteitag der SPD. Ergebnis: Zunächst sollen alle Maßnahmen zur freiwilligen Steigerung ausgeschöpft sein, ehe eine Wehrpflicht in Erwägung gezogen wird. Ein Kompromiss, der insbesondere auf Druck der Jusos zustande kam.
In der Bevölkerung erfährt die Wiedereinführung der Wehrpflicht dagegen breiten Rückhalt: Drei Viertel (73 Prozent) sprechen sich dafür aus. Inzwischen gibt es sogar eine Mehrheit, die eine Wehrpflicht für Männer und Frauen gleichermaßen will, wie sie nach Norwegen und Schweden nun auch Dänemark einführt. Ein knappes Viertel (23 Prozent) will die Wehrpflicht weiter aussetzen, so wie es seit 2011 gilt.
Insgesamt deutet sich in den Fragen von Krieg und Frieden jedoch ein Generationenkonflikt an: Bei den 18- bis 34-Jährigen ist nicht nur die Zustimmung zur Wehrpflicht am geringsten, von der Teile von ihnen persönlich betroffen wären (51 Prozent dafür, 45 Prozent dagegen). Sie sind auch in der Frage, ob Deutschland kriegstüchtig werden muss, stärker gespalten als ältere Gruppen.
6 von 10 empfinden Deutschland als ungerecht
Steigende Ausgaben für Verteidigung sorgen für Druck, an anderer Stelle zu sparen. Das hat auch den Koalitionsausschuss an diesem Mittwoch beschäftigt. Gleichzeitig ist unter den Bürgerinnen und Bürgern ein wachsendes Ungerechtigkeitsempfinden festzustellen. Sechs von zehn Deutschen (60 Prozent) sind aktuell der Meinung, dass es in Deutschland eher ungerecht zugeht - noch einmal drei Punkte mehr als unmittelbar vor der Bundestagswahl im Februar. Einen so hohen Wert gab es zuletzt Anfang 2010 - vor mehr als 15 Jahren.
Dieses Gefühl von Ungerechtigkeit hat verschiedene Gründe. Im ARD-DeutschlandTrend nennen die Befragten am häufigsten die Schere zwischen Arm und Reich (22 Prozent), die als zu hoch und ungleich empfundene Steuer- und Abgabenbelastung (13 Prozent), einen als zu gering empfundenen Abstand zwischen Lohn- und Sozialleistungsniveaus (13 Prozent) sowie eine "Bevorzugung von Ausländern/Asylbewerbern" (11 Prozent).
In der offenen Frage nach den wichtigsten politischen Problemen ist soziale Ungerechtigkeit mit nun 16 Prozent (+5 zu Januar) an die dritte Stelle vorgerückt - hinter Zuwanderung/Flucht (33 Prozent, -9) und Wirtschaft (21 Prozent, -11).
Bürgergeld: Mehrheit hält Sanktionsmöglichkeiten für ausreichend
Fragen der Sozialpolitik rücken auch in der Bundesregierung stärker in den Fokus. Im Koalitionsausschuss am Mittwoch wollte sie sich - ehe sich der Stromsteuer-Streit auswuchs - eigentlich auch mit Einsparpotenzialen beim Bürgergeld befassen. Angedacht sind unter anderem schärfere Sanktionen, wenn Leistungsempfänger Job-Möglichkeiten ausschlagen.
Dabei hält jeder zweite Deutsche (50 Prozent) die bislang geltenden Sanktionsmöglichkeiten beim Bürgergeld für angemessen. Gut ein Drittel (35 Prozent) befürwortet schärfere Sanktionen. Für 12 Prozent gehen die Sanktionen bereits zu weit. Wenn arbeitsfähige Bürgergeld-Empfänger mehrmals eine zumutbare Arbeit ablehnen, kann ihnen nach derzeitiger Regelung für bis zu zwei Monate das Bürgergeld gestrichen werden.
Zusätzlich soll im Rahmen einer Bürgergeld-Reform der so genannte Vermittlungsvorrang wiedereingeführt werden. Danach soll die schnelle Vermittlung in einen neuen Job Vorrang haben vor Qualifizierungsmaßnahmen. Die Bürgerinnen und Bürger sind bei dieser Maßnahme geteilter Meinung: 48 Prozent befürworten den Vermittlungsvorrang, 47 Prozent halten Qualifizierungsmaßnahmen für wichtiger.
Es sind Themen und Baustellen für die frisch gewählte zweite Parteivorsitzende der SPD, Arbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas. Sie startet nach 95 Prozent Zustimmung beim Bundesparteitag mit mehr Rückenwind als Lars Klingbeil, ist nun aber gefordert.
Markus Sambale, ARD Berlin, tagesschau, 03.07.2025 19:23 UhrHaftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke