Seit gut drei Monaten ist Julia Klöckner Bundestagspräsidentin - und soll in dieser Rolle die Neutralität des Parlaments bewahren. Eine Entscheidung zur Regenbogenflagge wird aber immer mehr zum Politikum.

Man bewegt sich naturgemäß auf dünnem Eis der Oberflächlichkeit bei der Frage der Kleidung. Doch es ist nicht abwegig anzunehmen, dass Julia Klöckner mit dem Dreiklang "Mode. Macht. Politik." durchaus vertraut ist.

Ihr Outfit zur Amtseinführung war daher womöglich kein Zufall: Statt wie gewohnt farbenfroh, erschien Klöckner an diesem Tag ganz in Weiß. Es wirkt, als wollte sie damit jene Neutralität unterstreichen, die sie in ihrer Antrittsrede betonte. Sie habe den festen Willen, das ihr übertragene Amt unparteiisch auszuüben.

Ganz in Weiß: Julia Klöckner nach ihrer Wahl zur Bundestagspräsidentin

Neue Strenge im Bundestag

Klöckner strebt den Wandel an - von der meinungsstarken Parteipolitikerin zur überparteilichen Präsidentin. Seit ihrem Amtsantritt führt sie das Parlament mit bemerkenswerter Strenge: viele Ordnungsrufe und Härte bei der Kleiderordnung, die für mediale Aufmerksamkeit sorgten. Zuletzt beklagte sie in einem Interview, es gebe im Bundestag einen regelrechten "Wettlauf um Ordnungsrufe" zwischen AfD und Linkspartei.

Klöckner scheut den Konflikt nicht - und erhält Rückendeckung von ihrem Vorgänger. Wolfgang Thierse sagte gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio, sie habe seine "ausdrückliche Unterstützung". Parlamentarische Debatten, so seine Begründung, müssten über Argumente geführt werden - nicht über symbolische Bekenntnisse.

Regenbogenflagge und die Frage der Neutralität

Klöckners zentrales Mantra ist die Neutralitätspflicht - und diese macht auch vor der Regenbogenflagge nicht halt. Zum Christopher Street Day soll sie künftig nicht mehr am Bundestag wehen. Auch die offizielle Teilnahme der Bundestagsverwaltung an der Veranstaltung wurde gestrichen. Die Entscheidung schlägt hohe Wellen: Diese Woche protestierten Abgeordnete der Grünen Fraktion im Bundestag mit einer abgestimmten Kleiderwahl in Regenbogenfarben. CSU-Chef Markus Söder twitterte: "Bayern ist weltoffen und tolerant" - in München werde auch dieses Jahr die Regenbogenflagge gehisst.

Was Klöckner als Akt der Neutralität versteht, wird zunehmend zum Politikum. Zumal die AfD seit jeher gegen die Regenbogenbeflaggung ist und ein Verbot an öffentlichen Gebäuden fordert. Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Bernd Baumann, frohlockte nach der Entscheidung Klöckners: "Das ist natürlich die richtige Richtung. Das haben wir die ganze Zeit gefordert."

Im Kern geht es um die Frage: Handelt es sich bei der Rücknahme der Entscheidung, die einst ihre Vorgängerin Bärbel Bas getroffen hatte, um die notwendige Wahrung der Neutralität - oder hat die Neutralitätsfrage beim Bekenntnis zu Toleranz, Gleichstellung und Vielfalt schlichtweg nichts zu suchen?

SPD-Fraktionschef Matthias Miersch machte diese Woche deutlich, dass er Klöckners Entscheidung ablehnt - gerade in Zeiten zunehmender queerfeindlicher Übergriffe. "Die letzten Jahre haben gezeigt, wie wichtig es ist, in solchen Momenten Flagge zu zeigen - im wahrsten Sinne des Wortes.“

Grüne beschweren sich bei Klöckner wegen Blockade

Klöckners Amtszeit ist noch jung, doch sie eckt bereits häufiger an. Auch, weil mancher ihre Unparteilichkeit infrage stellt. So äußerten die Grünen jüngst Kritik: Ihre Kleine Anfrage zur Maskenbeschaffung - mit Bezug auf Klöckners Parteifreund Jens Spahn - sei blockiert worden.

Für die Opposition ist die Kleine Anfrage ein wichtiges Recht, um von der Regierung Auskunft zu bekommen. Zwar wurde die Kleine Anfrage der Grünen später doch weitergeleitet, doch bleibt die Frage: War es ein übliches Verfahren oder ein bewusster Versuch, die Anfrage zu verzögern? Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann mahnt: "Die Bundestagspräsidentin muss sich darüber im Klaren sein, dass wir erwarten, dass sie Präsidentin des Parlaments ist - und nicht Sprachrohr der Bundesregierung."

Eines lässt sich bereits nach wenigen Wochen im Amt sagen: Julia Klöckner sorgt für Aufsehen - und polarisiert. Mit ihrer strengen Auslegung der Neutralitätspflicht steht ihr kaum jemand neutral gegenüber.

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