Weil das Erzbistum Köln entscheidende Dokumente in einem schweren Missbrauchsfall zurückgehalten haben soll, hat eine Betroffenen-Organisation nun Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Köln erstattet.
Haben die Anwälte des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki in einem Missbrauchsprozess unwahre Angaben gemacht? Matthias Katsch, Gründer und Sprecher der Betroffenen-Organisation "Eckiger Tisch" ist davon überzeugt und hat deshalb gemeinsam mit drei Anwälten Anzeige erstattet. Der Vorwurf: Verdacht auf versuchten Prozessbetrug.
Matthias Katsch weist im WDR-Interview darauf hin, dass Betroffene von sexualisierter Gewalt vor Gericht immer die Schwächeren seien, wenn es gegen die mächtige katholische Kirche gehe. "Der Strafanzeige kommt die wichtige Aufgabe zu, zu prüfen, ob es mit rechten Dingen zugeht, dass die Kirche am längeren Hebel sitzen bleibt, weil sie entscheidet, welche Informationen aus ihren eigenen Akten sie in so einen Zivilprozess einbringt." Das Opfer bleibe in der Beweisnot, weil es keinen Zugang zu diesen Akten habe.

Matthias Katsch von der Betroffenen-Initiative "Eckiger Tisch".
Erzbistum bestreitet Verantwortung für Missbrauch durch Priester
Das Opfer ist in diesem Fall Melanie F.. Über Jahre wurde sie Anfang der 1980er-Jahre von ihrem Pflegevater, einem Geistlichen, schwer missbraucht. Er hatte sie im Alter von 15 Jahren in seinen Haushalt aufgenommen. Strafrechtlich sind die Verbrechen verjährt. Melanie F. kann nicht gegen den Priester, sondern nur noch gegen die Kirche als Institution vorgehen. Sie fordert mehr als 800.000 Euro Schmerzensgeld und Schadensersatz. Das Erzbistum bestreitet die Verbrechen des Priesters nicht, will dafür aber nicht haften.
Dem WDR liegen jetzt Unterlagen vor, die einen Einblick geben in Entscheidungen des Erzbistums vor 40 Jahren. Die acht Schreiben, zum Teil vom damaligen Erzbischof und Kardinal Joseph Höffner persönlich, zeigen, wie intensiv sich die Verantwortlichen Anfang der 1980er-Jahre mit Fragen auseinandersetzen, die nun Teil des Schmerzensgeldprozesses sind.
Dass diese Akten, die eigentlich nur die Kirche besitzt, jetzt vorliegen, ist einem anderen Gerichtsprozess zu verdanken.
Muss die Kirche für das Handeln des Geistlichen haften?
Denn der Täter, Bernd Ue. wurde in einem Strafprozess Anfang 2022 zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Neun Frauen traten als Betroffene von 110 Missbrauchstaten auf, die noch nicht verjährt waren. Melanie F. war damals als Zeugin gerufen worden und hatte zum ersten Mal in ihrem Leben erzählt, dass auch sie sein Opfer war.
Eine zentrale Frage im Schmerzensgeldprozess der Pflegetochter gegen das Erzbistum ist nun: Muss die Kirche für das Handeln des Geistlichen haften oder geschah der Missbrauch im "Privaten", als Pflegevater?
In einem anderen Missbrauchsfall musste das Erzbistum Köln 300.000 Euro Schmerzensgeld und Schadenersatz an einen ehemaligen Messdiener zahlen. Denn Missbrauch an Messdienern geschehe eindeutig im Arbeitsbereich eines Priesters, besagte das Urteil. Bei Melanie F. allerdings zweifelten die Richter in ihren bisherigen Einschätzungen während des Prozesses daran. Erst am 1. Juli ist hier der nächste Gerichtstermin.
Unterlagen belegen: Erzbistum stellte Bedingungen
Was lässt sich nun aus den Unterlagen ablesen? Als entscheidendes Schreiben bezeichnen die Anzeigenerstatter einen Brief, den der damalige Leiter des Priesterseminars seinem Schüler Bernd Ue. schreibt. Darin heißt es: "[…] dass Sie sich in Ihrer Tätigkeit als Kaplan für diese Kinder eine ungewöhnliche Last aufbürden". Die Verfasser der Anzeige betonen, dass es dort eben nicht heiße, "neben der Tätigkeit als Kaplan", sondern "in Ihrer Tätigkeit".
Bernd Ue. selbst schreibt, dass es ihm bei den Kindern vor allem auch um die "geistige Beratung und Führung" gehe. Melanie F. musste sich damals extra katholisch taufen lassen, ging zur Kommunion. Und sie war auch selbst Messdienerin in den Messen ihres Pflegevaters, wie sie berichtete.
Melanie F. zeigte sich im WDR-Gespräch vorsichtig erleichtert über die Briefe und Protokolle aus den 1980er-Jahren: "Endlich Fakten. Schwarz auf weiß. Wahrhaftig existierende Dokumente." Die sollen nun belegen, was sie und ihr Pflegebruder bereits mehrfach betonten. Der Pflegevater war als Priester immer im Dienst. Zu jeder Tages- und Nachtzeit konnte das Telefon klingeln. Und wenn er ihr kurz nach dem Missbrauch in der Badewanne gleich die Beichte abgenommen habe, sei das ja auch eine Amtshandlung gewesen.

Melanie F. berät sich mit ihrem Anwalt.
Bernd Ue. sollte Haushälterin einstellen
Diesen regelmäßigen Missbrauch im Bad, das sagte Melanie F. bereits im WDR-Interview vor drei Jahren, hätte vielleicht eine Haushälterin bemerkt. Aber die gab es nicht. Die Bistums-Dokumente zeigen nun: Eine Haushälterin war die Bedingung von Kardinal Höffner dafür, dass Priester Ue. die Kinder überhaupt aufnehmen durfte.
In einem Schreiben an Ue. vom Mai 1980 heißt es: "Die Erlaubnis zur Übernahme der Kinder in ihren Haushalt […] wird Ihnen erst dann erteilt werden können, wenn Sie eine geeignete Haushälterin gefunden haben." Dass diese Bedingung vom Bistum zwar mehrfach wiederholt, aber dann nicht kontrolliert wurde, werten Melanie F.s Anwälte als Verletzung der Sorgfaltspflicht durch die Kirche.
Hielten die Anwälte der Kirche Unterlagen zurück?
Für die Anzeige wegen Prozessbetrugs könnte entscheidend sein, wie die Anwälte von Kardinal Woelki mit der Bedingung einer Haushälterin umgingen. Als sie ihre erste Klageerwiderung schrieben, hatten nur sie Einblick in die Unterlagen, nicht jedoch die Betroffene und ihre Anwälte. Damals schrieben Woelkis Juristen in der Klageerwiderung "Es war […] angedacht, dass Ue. eine Haushälterin einstellen solle." Die Differenz zwischen "angedacht" und der Haushälterin als Bedingung, nennt Melanie F.s Anwalt "unredlich". Auf eine kurzfristige Anfrage des WDR hat das Erzbistum noch nicht reagiert.
Matthias Katsch, der Anzeigenerstatter und Betroffenen-Vertreter, empfand als Zuhörer vor Gericht das Vorgehen der Bistumsanwälte als "unanständig". Sie hätten "wider besseren Wissens Sachverhalte vor Gericht geleugnet oder anders dargestellt als ihre eigenen Akten es anzeigen".
Melanie F. bleibt nachdenklich: "Ich finde es sehr traurig, dass es diese Dokumente gab und die Kirche es wusste und wir die Beweislast übernehmen mussten und man uns immer mitteilte, dass wir ja mehr oder weniger keine Beweise hätten." Sie hoffe, dass das Gericht jetzt einsehe, "dass das, was mein Pflegebruder und ich erzählt haben, der Wahrheit entspricht".
Denn nur mit Hilfe des Gerichts, sagt Melanie F., könne zumindest ein bisschen Gerechtigkeit einkehren.
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