Immer wieder machen Gewalttaten Schlagzeilen, bei denen der Täter psychisch erkrankt ist. Politiker propagieren einfache Lösungen, Experten sehen dagegen ein systemisches Problem und fordern Abhilfe.
Ob in Aschaffenburg, Hamburg oder Mannheim - bei aufsehenerregenden Gewalttaten in den vergangenen Monaten wurde beim Täter oder bei der Täterin eine psychische Krankheit festgestellt. Einige von ihnen hatten bereits eine längere psychiatrische Vorgeschichte.
Mehrere Politiker forderten zuletzt ein Register psychisch kranker Straftäter. "Für diese Typen haben wir keine Raster", sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann im Januar dem Deutschlandfunk. Es reiche nicht aus, Register für Islamisten und Rechtsextremisten anzulegen, sondern das müsse in Zukunft auch für psychisch Kranke gelten. Sicherheitsbehörden könnten so zum Schutz vor Gewalttätern besser mit Psychiatrien und Psychotherapeuten zusammenarbeiten, heißt es in einem Beschluss der CDU.
Massiver Widerstand gegen Register
Der Vorschlag wirft nicht nur massive rechtliche Fragen auf. Daniel Ehmke, ärztlicher Direktor der AMEOS Klinika Neustadt und Eutin, zu denen auch eine der größten forensischen Kliniken in Norddeutschland gehört, lehnt diesen Vorstoß ab. Über diese Menschen gebe es bereits eine Datenlage.
Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie gehört zu den Mitunterzeichnern einer Online-Petition, laut der ein solches Vorhaben psychisch Kranke in eine Reihe mit politischen Extremisten stellt und dadurch suggeriert, diese seien potenziell ebenso gefährlich. Die implizit geforderte Aufhebung der ärztlichen Schweigepflicht lege "die Axt an die Wurzel des Therapeuten-Patienten-Verhältnisses: das vertrauensvolle Gespräch im geschützten Raum".
Forensische Psychiatrie Die forensische Psychiatrie ist ein Teilgebiet der Psychiatrie und befasst sich mit der Begutachtung und der Therapie von Menschen, die aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung oder Suchterkrankung eine rechtswidrige Tat begangen haben und bei denen die Gefahr der Begehung weiterer rechtswidriger Taten zu befürchten ist.Die Präsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer, Andrea Benecke, sieht in dem CDU-Vorstoß eine "vollkommen rückständige und stigmatisierende Schaufensterpolitik". Menschen mit psychischen Erkrankungen seien als Gesamtgruppe nicht mit höherer Wahrscheinlichkeit gewalttätig.
"Register und eine Aufweichung der Schweigepflicht sind gefährlich, weil sie erkrankte Menschen stigmatisieren und die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen wirksame Behandlung suchen, reduzieren", heißt es in einer Stellungnahme.
Prävention und Behandlung statt Registrierung
Experten meinen, dass die Wahrscheinlichkeit für solche Straftaten vielmehr durch eine konsequente Präventionsarbeit verringert werden könnte. Allerdings scheitert dies oft an organisatorischen, rechtlichen und finanziellen Hürden.
Norbert Nedopil hat jahrzehntelang als forensischer Psychiater gearbeitet. Als Professor lehrte er an den Universitäten in Würzburg und München, als Gutachter ist er international geschätzt. Zu Nedopils Schwerpunkten gehören Rückfallprognosen sowie ethische und juristische Fragen.
Rechtslage setzt enge Grenzen
"Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass Unterbringungen gegen den Willen eines Betroffenen nur bei akuter Gefährdung und psychische Krankheit möglich sind", sagt er. Sobald ein solcher Patient nicht mehr akut psychotisch und eine Gefährlichkeit nicht zu erkennen sei, müsse er aus der Klinik entlassen werden, sofern er das wünsche. "Wir haben dann keine rechtliche Handhabe, um ihn weiter festzuhalten."
Zwar sei die zu Grunde liegende Gesetzeslage durchaus wohlwollend und sinnvoll gestaltet worden, so Nedopil: "Ein freier Mensch hat auch die Freiheit zur Krankheit." Nur wenn ein Patient nicht mehr einsichtsfähig in seine Krankheit sei, dann könne man ihn gegen seinen Willen behandeln. Dies setze jedoch die Entscheidung durch einen Richter voraus.
Hier wünscht sich Nedopil ein flexibleres Vorgehen, um weitere Eigen- oder Fremdgefährdung verhindern zu können: "Ein Teil der Psychiater hat schon länger davor gewarnt, dass es Patienten gibt, deren Psychose nicht abgeklungen ist, die aber rechtlich geschäfts- und einwilligungsfähig sind." Diese können dann ihre Behandlung abbrechen und zu einer Gefahr für sich und andere werden.
Zu wenig Behandlungsplätze
Die Betreuung solcher Patienten nehme zudem viel Personal in Anspruch, sodass Kliniken tendenziell eher dazu neigten, diese auf eigenen Wunsch zu entlassen, erklärt Nedopil. Die Problematik werde zudem durch einen Mangel an Behandlungsplätzen verstärkt. "Wenn man heute einen Jugendlichen, der nicht als Notfall gilt, weil er zum Beispiel akut suizidgefährdet ist, in einer jugendpsychiatrischen Einrichtung unterbringen will, dann dauert das bis zu einem halben Jahr."
Bei Erwachsenen sei die Wartezeit zwar im Durchschnitt etwas kürzer, allerdings seien insgesamt die Betreuungsmöglichkeiten innerhalb der Einrichtungen auch wegen Personalmangel deutlich schlechter geworden. Zudem seien die Kostenträger zurückhaltender, je länger der Klinikaufenthalt dauert.
Drehtüreffekt verschlimmert oft Krankheit
Die Folge: Das Phänomen der sogenannten Drehtürpatienten - psychisch Erkrankte, die immer wieder zu ein Einrichtungen aufgenommen werden, nach ihrer Entlassung oder Abbruch ihrer Therapie jedoch mit ihren Problemen alleingelassen zu werden, um dann erneut einen stationären Aufenthalt zu beginnen, ohne dass gesundheitlich eine Besserung eintritt. Im Gegenteil: Oft verschlimmert sich die Krankheit, während die Patienten das Gesundheitssystem besonders belasten und hohe Kosten verursachen.
Neben der individuellen Erkrankung spielen der teils in der jeweiligen Person liegende mangelnde Wille zur Mitarbeit oder auch ein derzeit nicht ausreichend bestehendes ambulantes System eine Rolle, so Klinikleiter Ehmke. Zudem fehle solchen Patientinnen und Patienten aufgrund ihrer schweren Erkrankung oft die Einsicht in die Notwendigkeit einer konsequenten Behandlung.
Sollte eben diese nicht vorhanden sein, werde den Betroffenen oft aufgrund der aktuell bestehenden Gesetzgebung und Rechtsauffassung die Möglichkeit zu einer konsequenten, häufig vollstationär notwendigen Behandlung im notwendigen Umfang verwehrt.
"Die Situation ist in den vergangenen fünf Jahren zunehmend dramatischer geworden", beklagt der forensische Psychiater Nedopil. "Man muss sich jetzt überlegen, wie man die Situation in den Kliniken verbessert, aber auch, wie man die gesetzlichen Möglichkeiten so handhabt, dass im Falle der Gefährdung durch eine psychische Krankheit eine Unterbringung noch möglich ist, wenn der Patient nicht mehr einwilligungsunfähig ist", fordert er.
Präventionsambulanzen als mögliche Abhilfe
Mehrere Bundesländer haben inzwischen Präventionsstellen geschaffen, die als niedrigschwellige ambulante Einrichtungen dazu beitragen sollen, solche Taten zu verhindern. In Hamburg ist eine solche Einrichtung ebenfalls geplant, das Vorhaben wurde aber noch nicht umgesetzt.
"Aus unserer Sicht wäre zum Beispiel die bundesweite Schaffung von Gewaltpräventionsambulanzen ein sinnhafter Schritt", sagt Ehmke. Diese könnten dazu beitragen, besonders risikobehaftete Patientengruppen vor der Begehung von Gewaltdelikten zu schützen. Diese hätten häufig keine ausreichende sozialtherapeutische Anbindung, finden keine Psychotherapie, sind überfordert im Umgang mit Behörden und haben keine Form von Betreuung.
Risikopatienten benötigen externe Unterstützung
"Im sozialen Bereich erleben die betroffenen Menschen viel Frustration aufgrund von verschiedensten Beziehungsabbrüchen, aufgrund mangelnder sozialer Kompetenz bei gleichzeitig geringer Frustrationstoleranz", so Ehmke. Viele von ihnen wünschten sich eine Veränderung, seien aber nicht in der Lage, diese ohne entsprechende Hilfe zu erreichen.
Auch hier gilt das Prinzip der Freiwilligkeit, die den Willen und die Fähigkeit zur Einsicht bei dem Betroffenen voraussetzt, erklärt Psychiater Nedopil. So sei der Täter von Aschaffenburg nicht in eine Präventionsstelle gegangen.
Kommunikation notwendig, aber nicht immer möglich
Zur Vorbeugung könnte auch eine konsequente Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Behandlern und Institutionen beitragen, sagt Facharzt Ehmke. "Aus meiner Sicht besteht gerade auf regionaler Ebene in vielen Fällen eine gute Kommunikation zwischen den ambulanten Behandlerinnen und Behandlern, den behördlichen Institutionen und den teil- sowie vollstationären Behandlungseinrichtungen."
Häufig beruhe die Kooperation auf der persönlichen Kenntnis untereinander und den hier bestehenden Vernetzungen, die jedoch ihre Grenzen habe. "Einschränkend kann hierbei teils die selbstverständlich und sinnhafterweise geltende Schweigepflicht sein, die auch nicht behandelnden Institutionen wie zum Beispiel der Polizei gegenüber besteht."
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