Deutlich unter zwei Grad, aber nach Möglichkeit einskommafünf. Nun ja: Das große Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen klang schon immer etwas vage. Völlig zu Recht wird es deshalb auf "1,5-Grad-Ziel" verknappt und heißt im Grunde: Wärmer sollte es auf der Welt in einem zwanzigjährigen Mittel am besten nicht werden – bis zum Ende des Jahrhunderts. Der aktuelle Weltklimabericht des IPCC zeigt aber: Diese symbolträchtigen 1,5 Grad könnten bereits zwischen 2030 und 2035 geknackt werden.
Forschende der Uni Graz sagen jetzt: Das reicht nicht. Denn schon 2024 lag das langjährige Mittel bei 1,4 Grad. "Und wenn man das dann weiter fortschreibt über ein Jahrzehnt, dann sieht man eben, diese mittlere Zwanzig-Jahre-Temperatur überschreitet 2028 erstmals die 1,5 Grad-Schwelle." Plus-minus zwei Jahre, wohlgemerkt, sagt Gottfried Kirchengast, Klimaforscher an der Uni Graz.
Neue Berechnungsmethode, klarere Daten

Er und sein Team haben sich die Fortschritte in der Klimaphysik zunutze gemacht und konnten die weltweite Oberflächentemperatur genauer berechnen als zuvor. Bisher lag den Berechnungen eine Mischtemperatur aus Luft und der obersten Wasserschicht der Ozeane zugrunde – letztere wurde durch Messbojen aufgezeichnet. Mit der jetzt im Fachblatt Nature Communications Earth & Environment veröffentlichten Methode, basiert die Berechnung nur noch auf der weltweiten Lufttemperatur nahe der Erdoberfläche, egal ob an Land oder zur See. Außerdem lässt sich so der menschengemachte Temperaturanstieg von speziellen Klimaphänomenen wie El Niño und anderen natürlichen Schwankungen besser unterscheiden. Die Erwärmung ist den neuen Daten zufolge bereits sechs Prozent stärker ausgefallen als in bisherigen Berechnungen.
Die neue Methode ist plausibel, so die Einschätzung von Jakob Zscheischler, Klimaforscher am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. "Das ist auch konsistent mit einem Ergebnis von uns vor ein paar Monaten, wo wir uns angeschaut haben, wie schnell wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen, wenn wir schon ein Jahr beobachtet haben, was jetzt 1,5 Grad wärmer war als in vorindustrieller Zeit."
Das ist – wie die derzeitige Serie an Temperaturrekorden zeigt – seit fast zwei Jahren der Fall. Die Forschungsarbeit vom UFZ legt deshalb nahe: Wahrscheinlich befinden wir uns schon jetzt in dem Zwanzig-Jahre-Zeitraum, in dem die Erde 1,5 Grad zu warm ist.
1,5 Grad bald geknackt? Eigentlich wenig überraschend
Auch Johanna Baehr, die an der Uni Hamburg selbst an Klimamodellen arbeitet, schätzt die Ergebnisse aus Graz, auch, wenn sie das Ganze nicht unbedingt überrascht: "Wir sehen schon jetzt, dass an einzelnen Orten die Erwärmung lokal deutlich über 1,5 Grad hinausgeht." Baehr betont, dass nicht nur das Einhalten von politischen Grenzwerten wichtig ist, sondern es schlichtweg um jedes einzelne Zehntel Grad Erwärmung geht, das vermieden werden muss, um Klimafolgen wie Hitze, Dürre und Überschwemmungen zu verhindern.
Die Konsequenzen sprechen eine deutliche Sprache: Wenn das 1,5 Grad-Ziel bereits so früh geknackt wird, muss sich die Menschheit wahrscheinlich noch mehr ins Zeug legen, als sie es ohnehin schon muss, um bis zum Ende des Jahrhunderts wieder den akzeptablen Erwärmungspfad einzuschlagen. Soll heißen: Ein Überschreiten der 1,5 Grad ist zwar drin, macht die Sache unterm Strich aber noch beschwerlicher als ohnehin schon.
Gottfried Kirchengast von der Uni Graz weist noch auf einen weiteren Umstand hin: Wenn die 1,5 Grad näher als gedacht sind, dann wirkt sich das auch auf den Rest an Treibhausgasen aus, die jeder Mensch und jedes Land noch ausstoßen darf. Weltweit bedeutet das, "dass nach dieser Rechnung ungefähr 200 Gigatonnen CO2 weniger zur Verfügung stehen". Für sein Heimatland Österreich hat Kirchengast schon einmal die Konsequenzen durchgerechnet. In dem Industriestaat ist das CO2-Restbudget dann nicht erst 2025 aufgebraucht, sondern war es bereits vor drei Jahren.
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