Inhalt des Artikels:
- Ein alter Bekannter und ein neues Gesicht
- Das Zünglein an der Waage
- Für beide Seiten steht viel auf dem Spiel
Nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am 18. Mai sind bei der Stichwahl am kommenden Sonntag noch zwei Kandidaten im Rennen: Der liberal-konservative und pro-europäische Oberbürgermeister von Warschau Rafał Trzaskowski und der rechtsnationalistische und PiS-nahe Kandidat Karol Nawrocki. Die beiden hatten im ersten Wahlgang mit 31,4 bzw. 29,5 Prozent der Stimmen am stärksten abgeschnitten. In der Stichwahl zeichnet sich Umfragen zufolge ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab. Amtsinhaber Andrzej Duda durfte nach zwei Amtszeiten nicht noch einmal antreten.
Die Wahl ist auch eine Richtungswahl und wird die Politik des Landes für die nächsten Jahre stark beeinflussen, denn das Amt des polnischen Präsidenten bringt eine Menge Macht mit sich: Er hat einigen Einfluss auf die Außenpolitik, er ernennt den Ministerpräsidenten und ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Und er verfügt auch über eine wahre "Wunderwaffe" im Gesetzgebungsverfahren, dank der er beinahe jedes vom polnischen Parlament beschlossene Gesetz torpedieren kann: Das Vetorecht.
Deswegen ist es für jede polnische Regierung wichtig, den Präsidenten auf ihrer Seite zu haben. Derzeit ist das nicht der Fall: Während Amtsinhaber Andrzej Duda in acht Jahren PiS-Regierung lediglich neun Mal bei Gesetzesinitiativen intervenierte, sprach der PiS-nahe Präsident seit dem Amtsantritt der Tusk-Regierung vor anderthalb Jahren bereits sechs Mal ein Veto aus.
Ein alter Bekannter und ein neues Gesicht
Für die regierende Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska, KO) ist der Oberbürgermeister von Warschau Rafał Trzaskowski im Rennen, der in der Politik schon seit langem bekannt ist und verschiedene Ämter im Sejm und Europaparlament innehatte. Zudem ist er stellvertretender Vorsitzender der Bürgerplattform (PO). Er gilt als einer der Parteilinken, obwohl er sich selbst als Politiker der Mitte positioniert. Er präsentiert sich als reform- und zukunftsorientiert, steht für Chancengleichheit, Toleranz und starke Beziehungen zu EU. Er war bereits im Jahr 2020 Präsidentschaftskandidat und hatte mit fast zehn Millionen Stimmen nur knapp gegen den amtierenden Präsidenten Andrzej Duda verloren.

PiS-Chef Jarosław Kaczyński hatte nach wochenlangem Nachdenken Karol Nawrocki, einen dem breiteren Publikum unbekannten Historiker, aus dem Hut gezaubert. Politisch ist er bisher kaum in Erscheinung getreten und wurde als unabhängiger "Bürger-Kandidat" vorgestellt. Offensichtlich entsprach er aber der vom PiS-Vorsitzenden verkündeten Vorstellung eines Präsidenten: "Der Kandidat für das höchste Staatsamt sollte ein Mann sein. Jung, groß, imposant, mit Familie und Fremdsprachenkenntnissen", sagte Kaczyński dem katholischen Sender Radio Maryja. Nawrocki ist streng katholisch und sieht sich als Vertreter des patriotischen Lagers, sein ideologisches Weltbild deckt sich mit dem der PiS: Er lehnt den EU-Migrations- und Asylpakt ab und fordert dessen Aufkündigung durch Polen, genauso wie den European Green Deal, den er "Ökowahnsinn" nennt. Im Wahlkampf bezeichnete er die Präsidentschaftswahl als "ein Referendum für die Ablehnung der Tusk-Regierung" und machte damit seine Sicht auf die Zusammenarbeit mit ihr mehr als deutlich.

Nawrockis Nominierung war zwar für viele eine Überraschung, doch es steckt wohl eine rationale Begründung dahinter: Wäre ein etabliertes Regierungs- oder Parteimitglied aus der Regierungszeit von 2015 bis 2023 ernannt worden, könnten die Korruptionsskandale dieser Zeit zum Hauptthema des Wahlkampfs werden. Kaczyńskis Entscheidung könnte sich aber dennoch als Fehler erweisen. Denn im Wahlkampf kam heraus, dass die vermeintlich weiße Weste seines "volksnahen" Kandidaten einige hässliche Flecken hat. So war Nawrocki als junger Mann Boxer und Türsteher in seiner Heimatstadt Danzig – und hat aus dieser Zeit noch gute Kontakte ins Rotlicht- und Neonazimilieu und zu Kriminellen. Zudem wird ihm vorgeworfen, einen älteren Mann um eine Wohnung betrogen zu haben. Die Staatsanwaltschaft hat bereits ein Prüfverfahren zu diesem Fall eingeleitet.
Das Zünglein an der Waage
Der Drittplatzierte im ersten Wahlgang war mit 14,8 Prozent Sławomir Mentzen, der Co-Vorsitzende des rechtsextremen Bündnisses Konfederacja (Konföderation). Mentzen wurde durch seine Parole aus dem Jahr 2019 bekannt: "Wir wollen keine Juden, Schwule, Abtreibung, Steuern und EU." Inzwischen distanziert er sich offiziell von dieser Aussage.

Wie sich seine Anhänger in der Stichwahl positionieren, ist unklar – gerade das Verhalten junger Wählergruppen ist schwer zu prognostizieren. "Die Wählerschaft der Konföderation, deren Kandidat eher nicht in die zweite Runde kommt, wird bei der Stichwahl eine wichtige Rolle spielen und über den Sieg entscheiden. Sie wird sich wahrscheinlich in drei Gruppen aufteilen. Einige werden den KO-Kandidaten unterstützen, andere den der PiS und die übrigen werden wahrscheinlich zu Hause bleiben" - vermutet Renata Mieńkowska-Norkiene, Politologin und Soziologin von der Universität Warschau.
Für beide Seiten steht viel auf dem Spiel
Die Lage in Polen ist nach wie vor angespannt und das Land stark polarisiert. Donald Tusk trat nach den siegreichen Parlamentswahlen vom Oktober 2023 mit einem klaren Reformprogramm an. Er wollte das Justizwesen sanieren, das Gesundheitssystem verbessern, das Abtreibungsrecht liberalisieren und die Korruptionsvorwürfe gegen die PiS-Regierung aufklären. Doch er hat bis jetzt auf keinem dieser Gebiete Erfolge zu verzeichnen, was zu einem großen Frust im liberalen Lager führt.
Der angeschlagene Premier braucht nun dringend den Sieg seines Kandidaten um die Handlungsfähigkeit der Regierung zu verbessern und die anhaltende Stagnation zu überwinden. Gelingt das nicht, könnte die Koalition sogar zu Bruch gehen. "Diese Wahl ist noch wichtiger als die im Oktober 2023, denn sie wird darüber entscheiden, ob die angekündigten Veränderungen bestätigt und umgesetzt werden und ob Polen auf dem Weg der Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit und Demokratie bleibt oder wieder auf den Weg des Populismus abweicht. Eine populistisch-nationalistische Koalition – wie etwa die der PiS mit der Konföderation – wäre für Polen äußerst gefährlich", meint Politologin Mieńkowska-Norkiene.

Doch auch für PiS-Chef Kaczyński wird der Wahlausgang ernsthafte Folgen haben. Ein Sieg von Karol Nawrocki könnte die Rückkehr der PiS an die Macht bedeuten. Seine Niederlage aber würde die internen Probleme der Partei verschärfen. "Wenn Karol Nawrocki verliert, dann wird Kaczyński den Status des genialen Strategen in seiner Partei verlieren, weil er auf das falsche Pferd gesetzt hat. Schon jetzt scheint sein politisches Gespür abgestumpft zu sein und es wird ihm nachgesagt, seine Botschaft an die Wähler falsch zu formulieren. Die Partei könnte auseinanderfallen oder er muss das Ruder an Jüngere übergeben, die schon seit langem darauf warten", so Mieńkowska-Norkiene. Somit wird der Ausgang der Wahl den Kurs bestimmen, den Polen in den nächsten Jahren nehmen wird.
MDR (tvm)
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