Russland hat die Ukraine in der Nacht auf Sonntag so heftig mit Drohnen und Raketen angegriffen wie noch nie seit Beginn seines Angriffskriegs auf das Nachbarland im Februar 2022. Mindestens zwölf Menschen wurden getötet, Dutzende verletzt. Und auch in der letzten Nacht überzog die russische Armee die Ukraine erneut mit massiven Luftangriffen. Die Angriffe hat die Journalistin Daniela Prugger in Kiew erlebt.

SRF News: Wie haben Sie diese massiven Luftangriffe auch auf Kiew erlebt?

Daniela Prugger: Die vergangene Nacht war die dritte in Folge, in der in Kiew nach dem Sirenenalarm auch Explosionen zu hören waren. Diese massiven Angriffe bedeuteten für die Menschen zunächst schlaflose Nächte, in denen man sich im Korridor oder Schutzkeller in Sicherheit zu bringen versucht.

Die Angst und die ständige Unsicherheit sind Teil der psychologischen Kriegsführung Russlands.

Der Schlafentzug, die Angst und die ständige Unsicherheit sind Teil der psychologischen Kriegsführung, die Russland gegen die Zivilbevölkerung anwendet. Für die direkt von den herabstürzenden Drohnen und Raketen Betroffenen bedeuten sie Tod und Verletzte und lebenslange Traumata.

Wie gut funktioniert die ukrainische Luftabwehr?

Durch die riesige Anzahl angreifender Objekte versucht Russland, die ukrainische Luftabwehr zu überfordern. Aber noch immer können die meisten Drohnen und Raketen laut ukrainischen Angaben abgefangen werden.

Die Ukraine verfügt über viel zu wenig Luftabwehrsysteme, um alle Städte zu schützen.

Die eher langsam anfliegenden Drohnen können oft mit relativ einfachen Mitteln – zuweilen auch mit Maschinengewehren – abgeschossen werden. Während für die russischen Raketen teure und rare Luftabwehrsysteme wie Patriot oder Iris-T eingesetzt werden müssen. Allerdings verfügt die Ukraine über viel zu wenige der hocheffizienten Abwehrsysteme, um alle Städte im ganzen Land zu schützen.

Warum greift Putin die Ukraine gerade jetzt so intensiv an?

Laut Präsident Wolodimir Selenski ermutigt das Schweigen der USA und der europäischen Verbündeten den Kreml, so massiv anzugreifen. Vor allem aber zeigen die Angriffe, wie wenig Interesse Russland an einer Waffenruhe oder an einem Frieden hat. Allein im April sind bei russischen Luftangriffen in der Ukraine mehr als 200 Zivilistinnen und Zivilisten getötet worden, weit über 1000 wurden verletzt. Unter den Opfern sind auch dutzende Kinder.

Legende: Bei den Angriffen der letzten Tage wurden zahlreiche Wohnhäuser in Mitleidenschaft gezogen – wie hier in Kiew. Mindestens zwölf Zivilistinnen und Zivilisten wurden bei den Luftangriffen der Russen auf die Ukraine allein in der Nacht auf Sonntag getötet. Reuters/Thomas Peter

Sie haben am Wochenende Orte ausserhalb Kiews besucht, wo russische Bomben eingeschlagen sind. Was haben Sie angetroffen?

Ich war bei einem Wohnblock, bei dem mindestens sieben Personen verletzt wurden. Im vierten und fünften Stock war ein Brand ausgebrochen, der bis Mittag gelöscht werden konnte. Die Bewohner warteten sichtlich schockiert auf dem Spielplatz vor dem Haus. Sie erzählten, dass sie von der Explosion aus dem Schlaf gerissen worden waren. Eine alte Frau sagte, sie habe den Luftalarm nicht gehört, weil sie so schlecht höre. Viele Wohnungen sind beschädigt, die Fenster von der Druckwelle zerstört. Und so sind manche Wohnungen vorerst gar nicht mehr bewohnbar.

Man will sich von den russischen Angriffen nicht unterkriegen lassen.

Was bedeuten die Luftangriffe für den Alltag der Menschen?

Es ist erstaunlich, wie schnell jeweils alles möglichst rasch aufgeräumt und repariert wird. In der Stadt mit dem versehrten Wohnhaus öffneten die Cafés wie gewohnt, nur wenige Kilometer weiter fand ein Musikfestival statt. Dort sagte ein französischer DJ seinen Auftritt zwar ab, doch für ihn sprangen umgehend ukrainische Künstler ein, damit der Anlass durchgeführt werden konnte. Das zeigt: Man will sich von den russischen Angriffen nicht unterkriegen lassen, auch die schönen Seiten des Lebens sollen ihren Platz behalten.

Das Gespräch führte Vera Deragisch.

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