Inhalt des Artikels:
- Streitpunkt sowjetische Kriegsdenkmäler
- Pilgerstätte für Unterstützer des russischen Imperialismus
- Ein komplexes Verhältnis auf dem Tiefpunkt
Die Feierlichkeiten zum achtzigsten Jahrestag des Kriegsendes sind in Tschechien zwar längst vorbei. Doch einige Umstände, die sie begleiteten, werden wohl noch für Diskussionen sorgen. Etwa die zwei offiziell als "Friedenskundgebungen" bezeichneten Demonstrationen in der Prager Innenstadt. Eine der beiden fand gar unter dem Motto "Für eine Wiederherstellung der Beziehungen zur Russischen Föderation" statt. Einen Tag später, als fast zeitgleich zur russischen Militärparade auf dem Moskauer Roten Platz, auch die tschechischen Kommunisten eine Versammlung im Zentrum Prags abhielten. Als dort ein Teilnehmer sein T-Shirt mit dem großen Buchstaben "Z", dem Symbol der russischen Invasion in die Ukraine, offen zur Schau stellte, griff die Polizei ein und führte ihn ab. Der Mann steht unter dem Verdacht der Volksverhetzung.
Auf allen diesen Veranstaltungen wurden nicht nur eifrig sowjetische Fahnen mit Hammer und Sichel geschwungen, sondern auch jene der Russischen Föderation. Trotz des seit mehr als drei Jahre dauernden russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, betrieben viele der Teilnehmenden eine offene Täter-Opfer-Umkehr.
Dabei ist das Verhältnis einer Mehrheit der Tschechen gegenüber den Russen eindeutig. Aus einer Anfang April 2025 veröffentlichten Studie geht hervor, dass knapp 60 Prozent der Tschechen eine sehr negative Einstellung und weitere zwanzig Prozent eine eher negative Haltung gegenüber Russland haben.
Streitpunkt sowjetische Kriegsdenkmäler
Das Verhältnis zu Russland sorgt regelmäßig an verschiedenen Jahrestagen für Diskussionsstoff. Den Stein des Anstoßes bilden oft die vielen sowjetischen Kriegsdenkmäler, die über das ganze Land verstreut sind. Darin unterscheidet sich Tschechien markant von anderen Staaten der einstigen sowjetischen Einflusszone, etwa Polen, wo diese Denkmäler unmittelbar nach der Wende beseitigt wurden. Von den baltischen Staaten ganz zu schweigen.
Da die sowjetischen Kriegsdenkmäler oft für große Kontroversen sorgen, haben die wenigsten Kommunen Interesse das Thema anzufassen und sind eher für die Beibehaltung des Status quo. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sich dann oft ein mächtiger Gegenspieler einschaltet: die Botschaft der Russischen Föderation in Prag.

Der tschechische EU-Abgeordnete Ondřej Kolář weiß ein Lied davon zu singen. Der liberale Politiker war von 2014 bis 2022 Bürgermeister des 6. Prager Stadtbezirks, in dem sich auf einem der Plätze eine riesengroße Statue des sowjetischen Marschalls Iwan Stepanowitsch Konjew befand. Konjew leitete im Frühjahr 1945 jene Militäroperation, die in den ersten Mai-Tagen zur Befreiung Prags von der deutschen Besatzung führte. Im Jahr 1956 befehligte er allerdings ebenso die blutige Niederschlagung des Volksaufstands in Ungarn durch das sowjetische Militär. Konjews genaue Rolle bei der gewaltsamen Unterdrückung des Prager Frühlings in der damaligen Tschechoslowakei 1968 ist umstritten. Sicher ist aber, dass er an der Stabilisierung des Regimes beteiligt war.
Deswegen wurde die Prager Konjew-Statue über die Jahre wiederholt Ziel von Farb-Attacken und ähnlichem Vandalismus. Irgendwann war es Kolář Leid, das ungeliebte Denkmal immer wieder aufs Neue reinigen lassen zu müssen. Er setzte im Bezirksparlament die Beseitigung des Standbildes durch. Es wurde abmontiert und eingelagert. Die russische Botschaft protestierte massiv, der Bürgermeister sah sich mit anonymen Morddrohungen konfrontiert, musste sich eine Zeitlang mit seiner Familie an einem sicheren Ort verstecken. Bis heute ist ein Haftbefehl in Kraft, den Russland gegen ihn verhängt hat.

Die russische Botschaft liegt übrigens ebenfalls im 6. Prager Stadtbezirk – und hat seit 2022 eine interessante Adresse: Sie liegt an der Straße der ukrainischen Helden. In direkter Nachbarschaft befinden sich der Boris-Nemzow-Platz, der Alexei-Nawalny-Aussichtspunkt und die Anna-Politkowskaja-Promenade. Nemzow war wie Nawalny ein russischer Oppositionspolitiker und wurde 2015 ermordet. Die Journalistin Politkowskaja berichtete über russische Greueltaten in Tschetschenien und Korruption im russischen Verteidigungsministerium wurde 2006 im Aufzug ihres Wohnhauses erschossen. Zuständig für die Straßennamen ist die Stadtverwaltung.

Das Konjew-Thema scheint die russische Seite immer noch aufzuregen. Erst wenige Tage vor den diesjährigen Feierlichkeiten zum Kriegsende schickte Moskau eine offizielle diplomatische Note nach Prag mit der Frage, wo denn die Statue des Marschalls gelagert und wie ihr Zustand sei. Die Antwort folgte prompt: Die russische Seite könne das aus offen zugänglichen Quellen feststellen. "Russland hat keinen Anspruch auf diese Statue. Die tschechischen Bolschewiken haben sie 1980 errichten lassen als Ausdruck ihrer Unterwürfigkeit gegenüber Moskau. Und die tschechischen Demokraten haben über ihre Beseitigung entschieden, um auf Konjews dunkle Rolle bei der Unterjochung der europäischen Völker zu verweisen," schrieb dazu Tschechiens Außenminister Jan Lipavsky auf der Plattform X.
Pilgerstätte für Unterstützer des russischen Imperialismus
Die Konjew-Statue wurde schon 2020 entfernt, also noch vor Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Die noch bestehenden sowjetischen Kriegsdenkmäler bekamen in Folge dessen ein neues Gewicht. Das zeigt das Beispiel aus Litoměřice, dem früheren Leitmeritz. Dort haben die Abgeordneten des Stadtparlaments nach vielen Jahren hitziger Debatten beschlossen, das massive Denkmal eines sowjetischen Soldaten abzumontieren und es in eine ehemalige Kaserne zu bringen.
Der Stadtverordnete Filip Hrbek, der die Demontierung ins Leben gerufen hat, erklärt, warum der Beschluss gerade jetzt fiel: "Ein im Prinzip unbedeutendes Denkmal ist in letzter Zeit zum Gegenstand des Interesses verschiedener Antisystem-Gruppen und Medien geworden, was nicht nur dem Denkmal an sich, sondern auch der ganzen Stadt wie auch der öffentlichen Debatte nicht gut tut", erklärte der studierte Historiker Hrbek gegenüber dem Portal novinky.cz. Mit anderen Worten, das Denkmal ist zu einer Pilgerstätte von Unterstützern der imperialen Politik Russland geworden.

Seit der russischen Invasion in die Ukraine wurde das Standbild Ziel von zahlreichen Angriffen. Nicht nur, dass die Hände des Soldaten mit roter Farbe beschmiert wurden, die Blut an den Händen symbolisieren sollte. Außerdem malten Unbekannte eine Waschmaschine auf den Sockel des Denkmals – ein Verweis darauf, dass russische Soldaten in der Ukraine in den besetzten Dörfern und Städten die Häuser plündern, und dabei sogar Haushaltsgeräte entwendeten.
Ein komplexes Verhältnis auf dem Tiefpunkt
Der Streit um die sowjetischen Kriegsdenkmäler ist nur eine Facette des äußerst komplexen Verhältnisses der Tschechen gegenüber Russland. Wurden die Russen, bzw. Sowjets unmittelbar nach 1945 als Befreier von Nazi-Deutschland gesehen, stellte das Jahr 1968 mit der Niederschlagung des Prager Frühlings eine wichtige Zäsur da. Auch deshalb, weil es seither eine ständige sowjetische militärische Präsenz im Land gab, die mehr als 70.000 Soldaten zählte.
Nach der Wende gelang es der Regierung unter Führung von Präsident Václav Havel als erstem Land des Ostblocks überhaupt die sowjetischen Truppen aus dem Land zu bekommen. Das geschah sogar noch vor dem versuchten Putsch im Sommer 1991 gegen den reformorientierten sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow. Nach dem Beitritt Tschechiens zur NATO im Jahr 1999, verschlechterte sich das Verhältnis zunehmend. Und die gegenwärtige Eiszeit zwischen Prag und Moskau begann irgendwann ab dem Jahr 2008. Damals sollte in Tschechien ein Teil des US-Abwehrsystems gegen Raketen gebaut werden, worin Russland einen feindlichen Akt sah. Auch wenn dieses Vorhaben nie verwirklicht wurde, ist Tschechien seitdem verstärkt im Blickfeld Russlands geblieben und auch Ziel von hybriden Angriffen geworden.
Der absolute Tiefpunkt wurde wohl im Frühjahr 2021 erreicht. Damals verwies Tschechien eine große Zahl von russischen Diplomaten des Landes, weil sich der Verdacht verdichtete, dass russische Agenten für die Explosion in einem großen tschechischen Munitionslager verantwortlich waren. Seitdem rangiert Tschechien auf einem Verzeichnis der Feinde Russlands ziemlich weit oben, noch vor den baltischen Ländern.
Ob sich daran etwas ändern wird, hängt nicht zuletzt auf vom Ausgang der tschechischen Parlamentswahlen ab, die im Herbst stattfinden werden. Sollten etwa die Kommunisten wieder den Einzug ins Abgeordnetenhaus schaffen und in die Lage kommen der Königsmacher einer künftigen Regierung zu werden, würden wohl deren prorussische Parolen öfter zu hören sein, als nur bei Demonstrationen an Jahrestagen des Kriegsendes.
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