Inhalt des Artikels:
- Wer bestimmt, wer eine Bedrohung darstellt?
- Jeder Euro muss genehmigt werden
- Wie Redaktionen betroffen sind – auch meine
- Missbrauchspotential: unendlich
Wer bedroht die Souveränität Ungarns? Jeder, der die öffentliche Meinung in Ungarn beeinflusst – sei es in einer Zeitung oder sogar in den sozialen Medien. Und wer Geld aus dem Ausland erhält. Das sieht der Entwurf für das sogenannte Transparenzgesetz unter anderem vor, der am 13. Mai von einem Mitglied der Regierungspartei Fidesz im ungarischen Parlament eingebracht wurde.
Wer bestimmt, wer eine Bedrohung darstellt?
Welche Organisation eine Bedrohung für die ungarische Souveränität darstellt, würde dann faktisch das Amt für den Schutz der Souveränität bestimmen. Das wurde durch ein umstrittenes Gesetz, das Ende 2023 verabschiedet wurde, ins Leben gerufen. Es ist keine Behörde und fasst auch keine Beschlüsse, die vor Gericht anfechtbar wären. Auch im Fall der "schwarzen Liste" würde es dann lediglich Vorschläge an die Regierung richten, welche "vom Ausland geförderten" Organisationen "die Souveränität Ungarns bedrohen". Die Regierung entscheidet dann per Dekret, wer auf die durch das Gesetz geschaffene "schwarze Liste" gesetzt wird.
Und wer kann auf die "schwarze Liste" gesetzt werden? Laut Gesetztesentwurf eigentlich jedes Unternehmen oder jede Nichtregierungsorganisation, die jemals eine Überweisung aus dem Ausland erhalten hat, egal von wem, auf welcher Grundlage und in welcher Höhe. Nicht nur Fördergelder, sondern "Einnahmen aus einem Rechtsverhältnis", falls die Anti-Geldwäsche-Behörden der Meinung sind, dass die Förderung der "Beeinflussung des öffentlichen Lebens dient". Genaue – und damit überprüfbare – Kriterien gibt es aber nicht. Die ungarische Regierung hat sich vielleicht noch nie so offen gegen eine Kernidee der Europäischen Union gestellt: den freien Verkehr von Personen, Kapital, Waren und Dienstleistungen.
Jeder Euro muss genehmigt werden
Ist eine Organisation erst auf der "schwarzen Liste" gelandet, dürfen laut Gesetzesentwurf alle Einnahmen aus dem Ausland nur noch mit Genehmigung einer noch nicht näher benannten Anti-Geldwäsche-Behörde (vermutlich das Finanzamt oder der Rechnungshof) angenommen werden. Diese kann das Unternehmen oder die Organisation auffordern, das Geld zurückzugeben. Wenn eine Organisation ohne Genehmigung Finanzmittel annimmt, kann sie mit einer Geldstrafe in fünfundzwanzigfacher Höhe belegt werden. Die NGO kann sogar aufgelöst und das Unternehmen abgewickelt werden. Ganz zu schweigen von den weitreichenden Ermittlungsbefugnissen, die der Anti-Geldwäsche-Behörde durch das Gesetz eingeräumt werden.
Weiterhin sieht der Gesetzesentwurf vor: Wenn es sich um eine NGO handelt, verliert sie durch die Aufnahme auf die schwarze Liste die Möglichkeit, von den Bürgern ein Prozent ihrer Einkommenssteuer zu erhalten. Das ist eine ungarische Besonderheit: Steuerzahler können jedes Jahr ein Prozent ihrer Steuer an eine NGO ihrer Wahl spenden - eine unverzichtbare inländische Ressource für das Überleben von NGOs und unabhängigen Redaktionen.

Eine weitere Finanzierungsmöglichkeit für NGOs ist das Sammeln von Kleinstspenden, was jedoch durch das neue Gesetz generell unmöglich gemacht würde. Den in Zukunft müsste man von jedem Spender eine Erklärung – handschriftlich und unterschrieben oder von zwei Zeugen unterzeichnet – einholen, dass die Spende nicht direkt oder indirekt aus dem Ausland stammt. Egal ob es sich um einen Euro oder tausend Euro handelt. In der Praxis würde dies das Sammeln von Spenden unmöglich machen – nicht nur im Ausland.
Wie Redaktionen betroffen sind – auch meine
Die unabhängige Wochenzeitung Magyar Hang, für die ich hauptsächlich arbeite, lebt zum großen Teil vom Verkauf der Printausgabe. Deshalb wären wir von dem Gesetz – zunächst zumindest – weniger betroffen als andere unabhängige Medien. Aber auch wir müssen mit dem Verlust von Spendeneinnahmen rechnen. Die wenigen projektgebundenen Fördermittel, die wir in den letzten Jahren aus dem Ausland erhalten haben, fallen zwar im Vergleich zum Gesamtbudget der Zeitung nicht sehr ins Gewicht. Doch es ist sehr wahrscheinlich, dass wir deshalb auf die schwarze Liste gesetzt werden. Es ist aber vor allem die Unsicherheit, die das Gesetz und seine Umsetzung durch die Orbán-Regierung mit sich bringt, die alle Redaktionen bedroht. Viele unabhängige Redaktionen in Ungarn arbeiten zudem nicht gewinnorientiert und sind auf Spenden und Fördermittel angewiesen. Ihnen gilt unsere Solidarität.
Die bedeutenden Summen, die ungarische Steuerzahler über die Zuweisung von einem Prozent ihrer Steuern an NGOs und unabhängige Medien spenden, zeugen von der Legitimität dieser Organisationen. Davon, dass viele Menschen glauben, dass sie wichtig sind und gebraucht werden – unabhängig davon, ob sie jemals Gelder aus dem Ausland erhalten haben oder nicht. Es geht der Regierung offensichtlich nicht nur darum, deren Finanzierung unmöglich zu machen, sondern auch darum, diese Legitimierung durch die Bürger zu ignorieren und die kritischsten Stimmen zum Schweigen bringen.
Dies zeigt auch, dass der Gesetzentwurf nicht nur darauf abzielt, den Fluss von Fördermitteln aus dem Ausland zu verhindern. Es geht um mehr als das. Im Zeitalter des gemeinsamen EU-Binnenmarktes hat ein erheblicher Teil der in Ungarn ansässigen Unternehmen sicherlich mindestens einen Kunden aus dem Ausland gehabt, ganz zu schweigen von den EU-Subventionen. Und es gibt kaum eine zivilgesellschaftliche Organisation, die nie eine private Spende aus dem Ausland erhalten hat, alleine weil Hunderttausende Ungarn ausgewandert sind und außerhalb der ungarischen Grenzen leben. Das Spektrum der potenziellen Betroffenen ist also riesig.
Missbrauchspotential: unendlich
Derartige "Gummiparagraphen", die je nach politischen Interessen flexibel sind, waren immer für Diktaturen typisch, und wenn das Gesetz vom Parlament in dieser Form verabschiedet wird, könnte Ungarn in das Zeitalter der Schauprozesse eintreten. Denn selbst wenn die Regierung von diesem Instrument vorerst keinen Gebrauch macht, ist dieses Maß an Einschränkung und Unsicherheit gleichbedeutend mit dem Ende der Rechtsstaatlichkeit.
Wenn dieses Gesetz mit all seinen Ungenauigkeiten verabschiedet wird, ist nicht abzusehen, wann es missbraucht wird – und wem gegenüber. Oder wie es noch weiter ausgeweitet wird. Sicherlich wird das Amt für den Schutz der Souveränität in naher Zukunft auch gut erklären können, warum die Souveränität Ungarns auch mithilfe inländischer Finanzierung verletzt werden kann. Oder warum das Gesetz zum Beispiel auf Privatpersonen ausgedehnt werden muss. Oder warum die "ausländische Förderung" mit der Zeit durch den noch weniger greifbaren "ausländischen Einfluss" ersetzt werden sollte. Oder warum bestimmte Presseprodukte nicht verkauft werden dürfen. Das Beispiel Russlands beweist, dass die Möglichkeiten endlos sind.
Die Autorin ist Mitbegründerin und Journalistin der ungarischen Wochenzeitung Magyar Hang.
MDR (tvm)
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