Die Einigung auf eine Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas ist nur ein erster Schritt in einem langen Prozess, sagt die Friedensforscherin Baumgart-Ochse. Bemerkenswert sei, was die USA schafften, wenn sie ihre Macht gezielt einsetzen.

tagesschau24: Es gibt dramatische Gewalterfahrungen auf beiden Seiten nach gut zwei Jahren Krieg. Wie lässt sich hier überhaupt ein Frieden schließen?

Claudia Baumgart-Ochse: Das wird ein sehr langer Prozess. Beide Seiten haben traumatisierende Gewalterfahrungen gemacht. Die Israelis am 7. Oktober 2023 beim brutalen Überfall der Terrororganisation Hamas und anderer Organisationen auf Israel.

Auf der anderen Seite stehen die Menschen im Gazastreifen, die unter zwei Jahren Krieg gelitten haben. Der Gazastreifen liegt de facto in Trümmern. All das sind Erfahrungen, die nur sehr schwer zu überwinden sind.

Zur Person Dr. Claudia Baumgart-Ochse arbeitet am Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung und leitet dort den Programmbereich Transnationale Politik. Sie ist Redaktionsleiterin des jährlich erscheinenden Friedensgutachtens. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich unter anderem mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt.

"Noch viele offenen Fragen"

tagesschau24: Die USA, Israel und auch andere Politiker feiern die Vereinbarung als Durchbruch. Wie ordnen Sie das ein? Wo hakt es in Ihren Augen noch?

Baumgart-Ochse: Das ist wirklich nur ein Anfang, ein erster Durchbruch. Eben weil die Geiseln freikommen, die noch im Gazastreifen festsitzen und weil die Gewalt und der Krieg enden und es die Möglichkeit bietet, endlich wieder humanitäre Hilfe in den Gazastreifen zu bringen und weitere Schritte anzugehen.

Aber es hakt natürlich noch. Offen ist nach wie vor, wie die Hamas entwaffnet werden soll. Oder die Frage, wohin sich die israelische Armee genau zurückzieht. Stand jetzt soll das nur aus etwa der Hälfte des Gazastreifens passieren.

Es gibt noch viele offene Fragen: Wie wird der Gazastreifen demnächst regiert? Welche Rolle könnte die Palästinensische Autonomiebehörde spielen? Wie können die internationalen Geberländer dabei helfen, die Sicherheit zu gewährleisten?

Die Forschung spricht von einem "negativen Frieden"

tagesschau24: Das Verhältnis zwischen den Verhandlungspartnern ist geprägt von massiven gegenseitigen Misstrauen. In der Vergangenheit gab es immer wieder Vertrauensbrüche. Wie nahe kann man einem Frieden da überhaupt kommen?

Baumgart-Ochse: In der Friedens- und Konfliktforschung würden wir das, was jetzt passiert, einen "negativen Frieden" nennen. Der Konflikt wird dabei nicht mehr mit Gewalt ausgetragen, sondern auf anderem Wege.

Für einen positiven, einen gehaltvollen Frieden wäre es nötig, dass Menschen etwa ein gutes Auskommen und politische Rechte haben. Auch müssen ihre Menschenrechte gewahrt werden und Teilhabe an der Politik muss möglich sein. Gerade auf der palästinensischen Seite gibt es bei dieser Frage unheimlich viel Luft nach oben. Dazu kommt die Frage, ob es zwei Staaten geben kann, die nebeneinander existieren. Was würde dann mit den jüdischen Siedlungen passieren? Das ist ein Projekt für Jahre oder Jahrzehnte.

"Ein kluger Schachzug"

tagesschau24: Noch vor wenigen Tagen war ein Frieden in der Region nicht vorstellbar. Zeichnen wir den Weg dorthin nach, war es vor allem der Druck aus den USA, der Wirkung hatte?

Baumgart-Ochse: Unbedingt. Ich finde, das ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie viel Macht die USA eigentlich haben, wenn sie sie klug und zum richtigen Zeitpunkt einsetzen. Das haben sie jetzt in diesem Fall bewiesen.

Da muss man auch Trump Respekt zollen. Er hat einerseits Druck auf den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu ausgeübt und andererseits auch mit den arabischen Staaten gesprochen, etwa in New York bei der UN-Generalversammlung. Die haben ihrerseits ganz offensichtlich auf die Hamas eingewirkt.

Das war ein kluger Schachzug, die Akteure der Region einzubinden. Die USA, wenn sie wollen, können wirklich viel erzielen.

Nachhaltige Perspektive

tagesschau24: Sie leiten die Redaktion des jährlichen Friedensgutachtens und geben konkrete Ratschläge an die Politik. Was muss denn passieren, um aus diesem fragilen Friedensgerüst eine soliden Frieden entstehen zu lassen?

Baumgart-Ochse: Es geht jetzt vor allen Dingen darum, der Bevölkerung in Gaza humanitäre Nothilfe zur Verfügung zu stellen, dafür die Mittel zur Verfügung zu stellen. Das zu stützen, wie auch Außenminister Johann Wadephul es in Aussicht stellt, finde ich großartig.

Darüber hinaus wird es irgendwann nötig sein, dass wir die Palästinensische Autonomiebehörde stärken und sie ertüchtigen, Regierungsverantwortung zu übernehmen und  auf lange Sicht ein Partner für Frieden zu sein.

tagesschau24: Schauen wir zum Schluss nach Europa. Was kann aus diesem möglichen Friedensprozess für die Ukraine abgeleitet werden?

Baumgart-Ochse: Die Ukraine ist ja ein sehr anders gelagerter Fall. Da hat Russland ohne vorherigen Anlass die Ukraine überfallen, mit ganz deutlichen imperialen expansionistischen Absichten, während in Israel der Krieg als Reaktion auf das Hamas-Attentat am 7. Oktober 2023 folgte.

Trotzdem, was wir natürlich mitnehmen können ist: Klug eingesetzte Diplomatie ist wirklich sinnvoll, also, ganz platt gesagt: Reden hilft immer.

Das Gespräch führte Bibiana Barth für tagesschau24. Für die schriftliche Version wurde es angepasst.

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