Die Taliban haben das Internet in Afghanistan nahezu vollständig abgeschaltet. Hintergrund ist offenbar ein Erlass, der die Verbreitung "unmoralischer Inhalte" kritisiert. Auch deutsche Helfer sind betroffen.
Seit 17 Uhr herrscht Funkstille in Afghanistan: Christina Ihle, Geschäftsführerin des Afghanischen Frauenvereins in Hamburg, versucht seitdem vergeblich, ihre Kolleginnen und Kollegen vor Ort zu erreichen. Normalerweise steht sie täglich mit ihnen in Kontakt, um Hilfsprogramme im Erdbebengebiet zu koordinieren. "Wir sind komplett im Schock nach dieser Nachricht."
Pünktlich zum Schluss der Büros in Afghanistan sei das Glasfasernetz komplett gekappt worden. "Und unsere Kollegen sind seitdem nicht mehr erreichbar. Wir haben alle Kanäle probiert und können sie nicht mehr kontaktieren", sagt Ihle. "Das ist sehr, sehr besorgniserregend für uns, für unsere Hilfsprogramme vor Ort, für unser weiteres Agieren und Arbeiten vor Ort."
Glasfasernetz und Telefondienste betroffen
Im ganzen Land wurde das schnelle Glasfasernetz nahezu komplett abgeschaltet. Laut der Organisation Netblocks haben Privathaushalte praktisch keinen Zugang mehr zum Netz. Die Rede ist von einem "umfassenden oder gar totalen Blackout". Mehrere Netze wurden im Laufe des Morgens schrittweise getrennt, Telefondienste sind ebenfalls betroffen.
Auch das ARD-Studio Südasien konnte keine seiner Mitarbeiter und zahlreichen Gesprächspartner im Land erreichen. Hintergrund der Maßnahme ist offenbar ein Erlass des obersten Führers der Taliban - er hatte kritisiert, dass über das Internet "unmoralische Inhalte" verbreitet würden.
Konservative Führung hat sich offenbar durchgesetzt
Schon in den vergangenen Wochen hatten die Taliban den Zugang schrittweise eingeschränkt, ganze Regionen wurden vom schnellen Internet abgeschnitten. Lokale Medien berichten von Streitigkeiten innerhalb der Taliban: Das Kommunikationsministerium wollte das Glasfasernetz eigentlich weiter ausbauen, um die Wirtschaft zu stärken. Mit der landesweiten Sperre hat sich offenbar die konservative Führungsspitze durchgesetzt.
Hochrangige Taliban-Beamte hatten in Gesprächen mit dem ARD-Studio Südasien in Kabul in den vergangenen Tagen bereits angedeutet, dass es zu solchen landesweiten Abschaltungen kommen könnte.
Schwerwiegende Folgen vor allem für Frauen
Sollte die Sperre bestehen bleiben, hätte das gravierende Folgen: für Wirtschaft, Verwaltung, den Bankenverkehr - und nicht zuletzt für Hilfsorganisationen. Die Leidtragenden seien aber vor allem Frauen und Mädchen im Land, sagt Christina Ihle. "Das Internet hat für viele Mädchen der Klassen 7 bis 12, die nicht mehr zur Schule gehen können, in den Städten die Möglichkeit eröffnet, weiter zu lernen über Online-Plattformen."
Auch ehemalige Schülerinnen ihrer Schule hätten sie genutzt, um sich fortzubilden und auch Prüfungen zu machen. "Das wird alles jetzt wegfallen."
Denn seit ihrer Machtübernahme verwehren die Taliban Mädchen den Besuch weiterführender Schulen. Der Internet-Blackout nimmt ihnen nun auch die letzte Hoffnung auf Bildung. Ein Taliban-Funktionär erklärte, die Abschaltung werde "bis auf Weiteres" dauern.
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