Während Frankreichs neuer Premier Lecornu ins Amt eingeführt wird, will "Bloquons tout" das öffentliche Leben lahmlegen. Denn mit der Besetzung des Postens sind die Demonstranten alles andere als zufrieden.
Einige Hundert Demonstrantinnen und Demonstranten stehen vor dem Pariser Bahnhof Gare du Nord. Sie haben Plakate mitgebracht. "Das Volk erhebt sich“, steht auf einem.
"Missachtung erzeugt Wut" hat die Literaturstudentin Perrine auf einen Karton geschrieben. Sie unterstützt die Ziele der Protestbewegung "Bloquons tout". Öffentliche Einrichtungen wie Krankenhäuser oder Schulen hätten viel zu wenig Geld - und dann auch noch dieser Sparhaushalt: "Obendrauf kam auch das Budget von François Bayrou, das noch mehr Austerität bedeutet hätte", sagt sie. Sparen also bei den Sozialausgaben.
Bewegung fordert Rücktritt des Präsidenten
Auf Gabriels Schild steht: "Macron Demission" - auf Deutsch: "Macron muss zurücktreten". Die Politik des Präsidenten befinde sich in einer Sackgasse, meint der Mann, der gerade ein Umschulung macht.
"Wir befinden uns in einem Zustand, in dem sich die politischen Institutionen gegenseitig blockieren", sagt er. Verantwortlich dafür sei Präsident Emmanuel Macron. "Es kommen immer neue Premierminister ohne Aussicht auf eine Mehrheit. Deswegen muss der Präsident sein Amt aufgeben", fordert Gabriel.

Die Politik des Präsidenten befinde sich in einer Sackgasse, meint Gabriel.
Ausschreitungen in ganz Frankreich
Es ist eine der größeren Aktionen heute in der französischen Hauptstadt. Der öffentliche Nahverkehr in Paris läuft weitgehend normal, nur auf einer Linie der Stadtbahn RER gab es größere Störungen.
Überall im Land waren am Dienstag Menschen dem Aufruf von "Bloquons tout" gefolgt. Mülltonnen blockierten Straßen, Gegenstände wurden angezündet, der Bahnverkehr zwischen Toulouse und Bordeaux war nach einem Sabotageakt gestört. Aber von "alles blockieren" - was "Bloquons tout" übersetzt bedeutet - konnte keine Rede sein.

In ganz Frankreich kam es am Dienstag zu Ausschreitungen - auch in Nantes.
Amtierender Verteidigungsminister wird neuer Premier
Während sie am Gare du Nord noch gegen seine Politik demonstrieren, ernennt der Präsident den aktuellen Verteidigungsminister Sébastien Lecornu zum neuen Premierminister. Der gescheiterte Premier François Bayrou erhält seine Entlassungsurkunde. Hinterher stehen beide vor dem Elysée-Palast und der erst 39-jährige neue Regierungschef dankt seinem deutlich älteren Vorgänger.
Er glaube, dass ihm eines Tages Gerechtigkeit widerfahren werde dafür, wie er für seine Überzeugungen gekämpft habe, sagt Lecornu. Gemeint sind Bayrous zuletzt verzweifelte Appelle, dass sich Frankreich grundlegend ändern müsse: weniger Schulden machen und mehr arbeiten.
Auch er wolle, dass sich das Land verändert, sagte Lecornu in seiner kurzen Ansprache. "Ich sage den Französinnen und Franzosen: Wir werden es schaffen! Wir müssen dem besorgniserregenden Missverhältnis zwischen Politik und echtem Leben ein Ende setzen. Aber ich sage auch: Wir werden mit manchen Dingen brechen müssen."
Lecornu plant Treffen mit Gewerkschaften
Bereits für den Nachmittag seien Gespräche mit den Spitzen der Parteien im Parlament geplant. Auch mit den Gewerkschaften, die für die kommende Woche einen großen Protesttag gegen die Regierungspolitik geplant haben, will sich Sébastien Lecornu in den nächsten Tagen treffen.
Ein Gesprächspartner wird Olivier Faure sein, Vorsitzender der sozialistischen Partei (PS). Er hatte sich als möglicher neuer Premier ins Gespräch gebracht. Stattdessen hat sich der Präsident für einen langjährigen Vertrauten entschieden. Eine Zusammenarbeit mit ihm schließt der PS-Chef nicht aus - es gebe keinen Blanko-Scheck, sagt er.
Den Sparhaushalt von Bayrou hatten die Sozialisten abgelehnt. Einem ähnlichen Plan der neuen Regierung könne die Partei ebenso wenig zustimmen, sagt er.
Neuer Premier pflegt Kontakte auch zur Rechten
Der neue Premierminister hat seine Wurzeln im konservativen Lager, und er ist bekannt dafür, dass er den Kontakt mit allen politischen Kräften pflegt - auch mit dem rechtsnationalen Rassemblement National. Parteichef Jordan Bardella fordert von ihm einen Neuanfang. Wenn er nicht mit der Politik von Präsident Macron breche, werde es keine Zustimmung des Rassemblement National geben, meint Bardella.
"Rupture", also ein Bruch, ist auch das Ziel des neuen Ministerpräsidenten. Aber was immer er konkret darunter versteht: Um geplante Reformen auch durchzusetzen, muss er die Parteien links oder rechts der Mitte ins Boot holen. Seinen beiden Vorgängern Michel Barnier und François Bayrou war das nicht gelungen.
Für die Protestbewegung "Bloquons tout" sei der neue Premierminister eher ein Grund, erst recht loszulegen, sagt die Studentin Perrine am Gare du Nord. "Lecornu als Premierminister, das wird die Leute nicht gerade beruhigen. Das ist vielmehr eine Provokation", meint sie. Und: "Die Proteste werden sich verstärken. Das ist wenigstens die Hoffnung."
Wolfgang Landmesser, ARD Paris, tagesschau, 10.09.2025 17:10 UhrHaftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke