Die Vorwürfe gegen Bolsonaro wiegen schwer: Erstmals steht ein brasilianischer Ex-Präsident wegen des Vorwurfs vor Gericht, einen Putsch geplant zu haben. Heute beginnt der Prozess gegen den Mann, der das Land spaltet.
Etwa 4.000 Anhänger des abgewählten Präsidenten Jair Bolsonaro stürmen Präsidentenpalast, Verfassungsgericht und das Parlament in Brasilia. Überzeugt davon, um den Wahlsieg betrogen worden zu sein, zerschlagen sie Fensterscheiben, urinieren in Büros, fordern eine Militärintervention und attackieren Polizisten, die an jenem 8. Januar 2023 Dienst hatten. So wie Isabela Lisboa.
"Überall vor mir Zerstörung, reale Kämpfe, alles am Limit. Uns war nicht wichtig, ob sie sich Patrioten nennen oder welche politische Fahne sie hochhielten. Unsere Mission ist größer als das", erzählt Lisboa.
Es war der schwerste Angriff auf Brasiliens Demokratie seit dem Ende der Militärdiktatur 1985. Die große Frage ist: Hat Ex-Präsident Bolsonaro selbst aktiv einen Umsturz geplant, wollten er und andere Mitglieder seiner Regierung, mit Hilfe des Militärs, den Linkspolitiker Luiz Inácio Lula da Silva von der Machtübernahme abhalten? Darüber muss nun Brasiliens Oberster Gerichtshof entscheiden. Bei einer Verurteilung drohen dem Ex-Präsidenten mehr als 40 Jahre Haft.
Bolsonaro bestreitet Vorwürfe
Bolsonaro selbst hat die Vorwürfe stets bestritten, spricht von politischer Verfolgung. "Sehen Sie, nichts bringt mich in Verbindung mit einem Putschversuch, den es überhaupt nicht gab, und auch die anderen haben damit nichts zu tun", so Bolsonaro. "Das ist völlig übertrieben, ich bin Ex-Präsident der Republik, 70 Jahre alt, das ist eine absolute Demütigung."
Die Staatsanwaltschaft sieht das anders und stützt sich dabei auf umfassende Ermittlungen der Bundespolizei: Chats, Audioaufnahmen, Dokumente wurden gesichtet, Zeugen vernommen.
Demnach soll unter Bolsonaros Führung seit 2021 an einer Strategie zu einem Umsturz gearbeitet worden sein. Dazu seien schon Monate vor der Wahl gezielt Falschnachrichten über einen bevorstehenden Wahlbetrug gestreut worden. Ein Notstandsdekret sollte das Wahlergebnis aufheben und Neuwahlen anordnen.
Bolsonaro wollte Militär von Putsch überzeugen
Bereits im Dezember 2022 soll Bolsonaro außerdem ein Treffen mit Befehlshabern der Streitkräfte einberufen haben, um sie von den Plänen zu überzeugen: Der damalige Armeechef soll jedoch die Unterstützung verweigert haben. Es soll sogar Mordpläne gegen Lula, seinen Vizepräsidenten sowie den Verfassungsrichter Alexandre de Moraes gegeben haben, von denen Bolsonaro Kenntnis hatte.
"Wer behauptet, am 8. Januar habe es nur ein bisschen Krawall gegeben, ein bisschen Durcheinander, der ist entweder völlig ignorant oder war an dem Putschversuch beteiligt", sagte Bundesrichter Moraes, der den Putschprozess begleitet, bereits im vergangenen Jahr. Die Ermittlungen der Bundespolizei und der Generalstaatsanwaltschaft zeigten eindeutig, dass in Brasilien ein Putschversuch stattgefunden habe. "Ich kann ohne Zögern sagen: Hätte es nicht die heftige Reaktion der Institutionen gegeben, würden wir heute hier nicht diskutieren. Denn der Oberste Bundesgerichtshof wäre geschlossen."
Ein historischer Prozess
Es ist ein historischer Prozess: In Brasilien, das eine der längsten Militärdiktaturen Lateinamerikas erlebte, wurden die Mitglieder der Streitkräfte nie zur Verantwortung gezogen, noch nie stand ein Ex-Präsident wegen versuchten Staatsstreichs vor Gericht.
Es ist aber auch ein Prozess, der die Gräben im ohnehin polarisierten Brasilien noch vertieft. Für die einen ist Bolsonaro ein Putschist. für die anderen dagegen ein Märtyrer und Verfassungsrichter Alexandre de Moraes der Tyrann, der aus persönlichen Machtinteressen Brasiliens Gewaltenteilung aushebelt.
"Ich denke, er zahlt heute für das, was er während seiner Präsidentschaft getan hat", sagt die 37-jährige Natalia Tostes. "All sein Spott, seine Lügen, seine Gleichgültigkeit gegen über dem Tod von Menschen in der Pandemie. Alexandre de Moraes‘ Haltung ist also absolut richtig, verstehen Sie?"
Viele Brasilianer glauben an politisch motivierten Prozess
Doch nicht alle denken so. "In meinen Augen sind die Entscheidungen des Richters völlig willkürlich. Er ist ein Diktator, jawohl", sagt der Brasilianer Ailton Campos. "Seit letztem Jahr hat er mehrere völlig inakzeptable und unfaire Maßnahmen ergriffen."
Laut der jüngsten Umfrage von Datafolha glauben 38 Prozent der Brasilianer, der Prozess gegen Bolsonaro sei manipuliert und politisch motiviert. Rückenwind bekommen sie seit kurzem auch aus dem Weißen Haus.
US-Präsident Donald Trump, der wegen des Sturms seiner Anhänger auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021 nie zur Rechenschaft gezogen wurde, spricht von einer Hexenjagd gegen seinen Verbündeten Bolsonaro, forderte die Beendigung des Strafprozesses.
Trumps Regierung verhängte deswegen Rekordzölle gegen Brasilien und harte Sanktionen gegen Richter Moraes. Es ist die wohl schwerste Einmischung der USA in die inneren Angelegenheiten eines lateinamerikanischen Landes seit dem Kalten Krieg. Es zeigt aber auch den Schulterschluss der globalen Rechten - seit Monaten schon betreibt Bolsonaros Sohn Eduardo Lobbyarbeit für seinen Vater in Washington.
Urteil dürfte Brasilien weiter spalten
Richter de Moraes reagierte mit klaren Worten auf die Maßnahmen der US-Regierung: Er werde die verhängen Sanktionen ignorieren und seine Arbeit fortsetzen.
In Brasilia hat die Polizei vor der möglichen Urteilsverkündung im Strafprozess gegen Bolsonaro und seine Mitstreiter die Sicherheitsvorkehrungen hochgefahren. Im Kongress selbst erinnert heute ein großes Bild an die Ereignisse des 8. Januar 2023.
Polizistin Isabela Lisboa hofft, dass die Gesellschaft daraus gelernt hat. "Das Bild erinnert uns daran, dass die Demokratie standhaft ist und dass sie noch stärker zurückkommt", sagt Lisboa.
Das Urteil, unabhängig wie es ausfällt, dürfte Brasilien noch weiter spalten - und das ein Jahr, bevor erneut Präsidentschaftswahlen anstehen.
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