Russland und die Ukraine haben erneut Gefangene ausgetauscht. Im ukrainischen Tschernihiw wurden die Männer nicht nur mit Tränen der Freude empfangen. Denn viele Angehörige warteten umsonst.
"Willkommen zu Hause", ruft die Menge, als endlich die Busse und Rettungswagen auf das Gelände des Krankenhauses von Tschernihiw in der Ukraine biegen. Es ist 19 Uhr - acht Stunden haben die Menschen hier gewartet. Es sind deutlich mehr Frauen als Männer. Bis vor wenigen Minuten wusste keine von ihnen, ob ihr Mann, Bruder oder Sohn in einem der vier Busse sitzt.
Olga Uman erfährt als erste die Nachricht per SMS. Die rundliche blonde Mutter weint vor Freude und zittert am ganzen Leib. Ihr Sohn ist dabei, noch sieht sie ihn nicht.
Er sei Marineinfanterist der 36. Brigade in Mariupol gewesen und heiße Jewgenij. "Seit 2022 suche ich ihn. Ich bin im Parlament gewesen, auf dem Maidan in Kiew, beim Roten Kreuz. Zu jedem Gefangenenaustausch bin ich gefahren. Einmal rief ein Soldat, als er das Foto sah, dass ich immer von ihm dabei habe: 'Das ist doch Scheka! Wir waren zusammen in derselben Gefängniszelle.' Ich danke Gott." Olgas Freundin kommt auf sie zu und schließt sie in die Arme. Beide weinen erleichtert.
Zehntausende gelten als vermisst
Rund 6.000 Militärangehörige und Zivilisten kehrten bislang per Gefangenenaustausch in ihre Heimat zurück. Doch 70.000 Ukrainer und Ukrainerinnen werden bis heute vermisst. Noch sehr viel mehr Angehörige suchen verzweifelt nach ihnen.
Die Menge bestürmt die angekommenen und erschöpften Gefangenen. Die Wartenden strecken ihnen die Fotos ihrer Männer entgegen. Sie alle hoffen, dass einer einen Kameraden darauf erkennt. Sie rufen den Freigelassenen die Nummer von Armeeeinheiten zu, in denen die verschollenen Soldaten gedient haben. Doch immerzu schütteln sie den Kopf, viele weinen. Eine Lehrerin, die schon beim 14. Austausch dabei ist, trägt es tapfer: "Dann vielleicht beim nächsten Mal", sagt sie.
"Als der Bus kam, habe ich verstanden, dass die Hölle vorbei ist"
Beim misslungenen Vormarsch der russischen Truppen auf Kiew Anfang März 2022 wurde der Journalist Dmytro Hiljuk festgenommen und saß dreieinhalb Jahre in einem russischen Gefängnis. Sein Vergehen: Er war ein ukrainischer Journalist.
Als einzelne Gefangene aus der Zelle geführt und auf Blutergüsse untersucht wurden, wussten sie, dass das ein Anzeichen für einen bevorstehenden Gefangenenaustausch sein konnte. Aber erst als das Flugzeug in Belarus landete und ihm nach anderthalb Tagen die Augenbinde und das Klebeband an den Händen abgenommen wurde, begriff er, dass er nicht in ein anderes russisches Gefängnis verlegt worden war.
"Als der Bus kam, habe ich verstanden, dass die Hölle vorbei ist. Und als wir die Grenze überquert hatten und auf ukrainischem Gebiet waren, sahen wir so viele Menschen mit riesigen blau-gelben Fahnen über zig Meter entlang einer im Grunde menschenleeren Straße. Sie winkten uns zu. Das war so schön und sehr unerwartet."
Die größte Sorge galt seinen Eltern. Er wusste nicht, ob sie noch am Leben sind. Denn während der ganzen Zeit hatte er nur einen Brief von ihnen bekommen - in diesem Jahr. Aber geschrieben hatten sie ihm 2023.
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