Vor dem Treffen von Trump und Putin wird über Gebietsabtretungen der Ukraine an Russland spekuliert. Welche Gebiete könnte das betreffen - und was wären die Folgen?
Äußerungen von Präsident Donald Trump gegenüber Reportern versetzen die Ukraine, aber auch die Partner der USA in Aufregung. Bereiten die USA und Russland eine Übereinkunft vor, die die Ukraine zu einer Aufgabe einiger Territorien zwingen würde - möglicherweise im Gegenzug für einen Rückzug Russlands aus anderen Gebieten?
Wie ist die militärische Lage?
Fast dreieinhalb Jahre nach dem vollumfänglichen Überfall auf die Ukraine kontrolliert Russland nahezu ein Fünftel des Territoriums des Nachbarlandes. Die russische Armee befindet sich insbesondere seit dem vergangenen Jahr auf dem Vormarsch und hat in den vergangenen Monaten immer mehr Territorium im Osten der Ukraine eingenommen.
Wie das britische Verteidigungsministerium in seinem regelmäßigen Geheimdienst-Update zum Ukraine-Krieg schreibt, eroberten die russischen Bodentruppen im Juli höchstwahrscheinlich etwa 500 bis 550 Quadratkilometer an ukrainischem Territorium. Ähnlich viel Fläche sei im Juni eingenommen worden, nachdem diese Vorstöße bereits seit März zugenommen hätten.
Internationale Beobachter sind sich einig in der Einschätzung: Russlands Präsident Wladimir Putin ist weiter davon überzeugt, dass ihm die Zeit und Russlands große Überlegenheit in Sachen Armeestärke und Material in die Hände spielen. Deshalb habe er sich bislang auch weitgehend unbeeindruckt von Drohungen und Ultimaten seitens Trump gezeigt.
Offiziell hat Russland bislang keines seiner Kriegsziele zurückgenommen. Diese gehen weit über territoriale Ambitionen hinaus und sind darauf angelegt, die Ukraine in einen von Russland abhängigen Staat zu machen, der sich zur Neutralität bekennt, nicht Mitglied der NATO wird, die Armee drastisch verkleinert und keine Militärhilfe mehr aus dem Westen bekommt.

Karte der Ukraine und Russlands, hell schraffiert: von Russland besetzte Gebiete
Welche ukrainischen Gebiete kontrolliert Russland?
Seit dem Aufbegehren der ukrainischen Bevölkerung gegen die damalige prorussische Regierung unter Präsident Wiktor Janukowitsch hat Russland dem Nachbarland völkerrechtswidrig nach und nach einen signifikanten Teil seines international - auch von Russland vertraglich - anerkannten Staatsgebiets entrissen. 2014 annektierte Russland handstreichartig die Halbinsel Krim und sorgte dafür, dass sich die Regionen Donezk und Luhansk im Osten von der Ukraine lossagten.
Inzwischen hat Russland die Regionen Luhansk und Donezk annektiert und beansprucht nach einer Verfassungsänderung 2022 auch die ukrainischen Regionen Cherson und Saporischschja für sich. Allerdings hat die russische Armee keine dieser Regionen in Gänze unter ihre Kontrolle gebracht. Am weitesten ist sie in der Region Luhansk vorangekommen. Dort hält die ukrainische Armee nur noch einen schmalen Streifen von wenigen Quadratkilometern an den Grenzen zu den Regionen Charkiw und Donezk. Luhansk ist also fast komplett unter russischer Kontrolle.
Die Region Donezk wird von der russischen Armee zu rund zwei Dritteln kontrolliert, auch hier ist ihr Vormarsch unter erheblichen Verlusten stetig. Hier hat die Ukraine aber seit 2014 einen sogenannten Festungsgürtel errichtet, der sich in einem Bogen von Nord nach Süd entlang der Autobahn H-20 erstreckt und mehrere große Städte wie Kramatorsk, Slovjansk, Druschkiwka und Konstjantyniwka umfasst. Das Institute for the Study of War beschreibt ihn als ein wesentliches Hindernis für die russische Armee auf ihrem Versuch, die Ukraine zu erobern. Ein Rückzug würde für die ukrainische Armee einen erheblichen strategischen Rückschlag bedeuten.
In den südlichen Gebieten Cherson und Saporischschja verläuft die Front entlang des Flusses Dnipro - hier verteidigt die ukrainische Armee die Gebiete auf der nördlichen Seite des Ufers.
Welche russischen Gebiete hat die Ukraine eingenommen?
Im August 2024 startete die Ukraine einen überraschenden Vorstoß auf die Region Kursk, die an die ukrainische Region Sumy grenzt, und nahm dort vorübergehend ein Gebiet von rund 1.300 Quadratkilometern ein.
Davon ist allerdings wenig geblieben - bis zum Frühjahr musste die ukrainische Armee fast das gesamte eroberte Terrain nach und nach aufgeben. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte zwar zum Jahrestag, die ukrainische Armee operiere dort immer noch, aber ohne nähere Details zu nennen.
Wie könnte ein Gebietsabtretung aussehen?
Mit Verweis auf seine Verfassung hat Russland bislang auf einer Übergabe der vier Regionen Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson bestanden, auch wenn sie gar nicht zur Gänze unter russischer Kontrolle stehen. Von dieser Linie scheint Russland aber nun abzuweichen.
Wie mehrere US-Medien berichten, soll Russland in den Gesprächen mit Trumps Sondergesandtem Steve Witkoff verlangt haben, dass sich die Ukraine aus Luhansk und Donezk zurückzieht und die Zugehörigkeit der Krim zu Russland anerkennt. Dafür würde der Frontverlauf in den Regionen Saporischschja und Cherson eingefroren - diese Regionen würde also zum Teil bei der Ukraine bleiben. Danach könne es dann zu Verhandlungen über eine Waffenruhe kommen.
Der italienische Corriere della Sera veröffentlichte am Montag ein Interview mit Kreml-Berater Wiktor Suslow. Dort schilderte er zwei Optionen für das Treffen Trump-Putin. Option Nummer eins sei für Putin eine Übereinkunft über den Rückzug der Ukraine aus der Donbass-Region, dafür einen Rückzug der russischen Armee aus den Regionen Sumy, Dnipropetrowsk und Charkiw. Dazu kämen weitere politische Forderungen wie ein Verzicht der Ukraine auf einen NATO-Beitritt, Entmilitarisierung des Landes, Reform des föderalen Systems.
Diese Punkte sollten in einem bilateralen Abkommen zwischen den USA und Russland festgelegt werden - eine Beteiligung der Ukraine und der Europäer sei nicht vorgesehen. Suslow betonte dabei, dass Russland vor einem Jahr noch die Überlassung von vier Regionen gefordert habe und jetzt nur noch den Donbass fordere. Mit Donbass dürfte Suslow vor allem die Region Donezk meinen, da Luhansk ohnehin fast gänzlich eingenommen worden ist.
Sollte Selenskyj das ablehnen, sehe Putin als zweite Option, dass die USA jedwede militärische Unterstützung für die Ukraine einstellten und auch dafür sorgten, dass US-Waffen nicht über den Umweg Europa in die Ukraine gelangten.
Was ist an den Gerüchten über einen Gebietstausch dran?
Ein Gebietstausch würde bedeuten, dass nicht nur die Ukraine Gebiete aufgibt, sondern auch Russland sich seinerseits aus Territorien zurückzieht. Trump befeuerte das durch seine Bemerkung auf der Pressekonferenz am vergangenen Freitag. "Es wird einen Tausch von Territorien geben, der für beide Seiten von Vorteil ist", sagte er vor Reportern und ergänzte: "Wir werden etwas zurückbekommen, wir werden etwas tauschen", und das sei sehr kompliziert. Näher ins Detail ging der Präsident nicht. Am Montag verwendete Trump erneut die Formulierung und sagte voraus: "Es wird irgendeinen Gebietsaustausch geben."
Bislang ist völlig unklar, ob Russland dazu tatsächlich bereit sein könnte - und worauf sich diese Bereitschaft beziehen könnte. Andeutungen russischer Seite dazu gibt es nicht. Vielmehr steht nach wie vor Putins Wort vom Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg im Juni im Raum. Dort sagte er: "Wohin der Stiefel eines russischen Soldaten tritt, das gehört uns." Das klingt nicht nach Bereitschaft, eroberte Gebiete aufzugeben.
Gut möglich auch, dass der Sondergesandte Witkoff Putin bei der Begegnung am vergangenen Mittwoch in entscheidenden Details falsch verstanden hat. Mehrere Medien, darunter die Bild, berichteten am Wochenende, Witkoff habe Putins Forderungen und Ausführungen hinsichtlich Saporischschja und Cherson dahingehend gedeutet, dass sich Russland aus der Region zurückziehen werde. Das habe Trump, nachdem er von Witkoff entsprechend informiert worden sei, auch europäischen Regierungschefs in einem Telefongespräch am vergangenen Mittwoch mitgeteilt. Als die darüber irritierten europäische Vertreter weitere Informationen verlangten, habe Witkoff in zwei weiteren Telefongesprächen seine Darstellung nach und nach geändert. Das habe bei den europäischen Vertretern Fassungslosigkeit ausgelöst.
In mehreren internationalen Medienberichten war darüber hinaus von weiteren Missverständnissen Witkoffs hinsichtlich eines möglichen Waffenstillstands die Rede.
Ist die Idee einer Gebietsaufgabe neu?
Nein, dieses Szenario ist in der Vergangenheit immer mal wieder aufgebracht worden. Dabei kommt es aber darauf an, ob es sich um eine faktische Anerkennung der Kontrolle Russlands über einen Teil des ukrainischen Staatsgebiets handelt oder um eine juristische Anerkennung. Die Möglichkeit einer faktischen, also der Idee nach vorübergehenden Anerkennung hat auch Ukraines Präsident Selenskyj in der Vergangenheit angedeutet, unter anderem in der ARD-Sendung maischberger.
Dort betonte er im vergangenen Februar, dass die Ukraine nicht bereit sei, dauerhaft auf Teile ihres Staatsgebiets zu verzichten: "Juristisch werden wir unsere Gebiete nicht aufgeben." Eines Tages würden die völkerrechtswidrig von Russland eroberten und annektierten Teile seines Landes wieder Teil des Staatsgebiets sein werden: "Natürlich werden wir alles wieder zurückbringen. Die Achtung des internationalen Rechts wird zurückkehren. Wenn nicht heute, dann morgen."
Vor allem seit dem erneuten Amtsantritt von Trump im Januar haben die Mutmaßungen über eine solche Übereinkunft mit Russland zugenommen. Im April soll Trumps Sondergesandter Witkoff europäischen Vertretern bei einem Treffen in Paris einen Entwurf für ein Abkommen über eine Waffenruhe vorgelegt haben. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, es habe robuste Sicherheitsgarantien für die Ukraine, deren Verzicht auf eine NATO-Mitgliedschaft, die de-jure-Anerkennung der Zugehörigkeit der Krim zu Russland durch die USA und eine de-facto-Anerkennung der Zugehörigkeit der eroberten Teile von Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson zu Russland gesehen. Die Ukraine hätte im Gegenzug Gebiete in der Region Charkiw zurückbekommen und die Kontrolle über das bislang von Russland besetzte Atomkraftwerk Saporischschja, das unter US-amerikanische Leitung gestellt werden sollte.
Zuletzt sagte NATO-Generalsekretär Mark Rutte, es werde sich kaum vermeiden lassen, auch über die Zukunft der von Russland kontrollierten ukrainischen Gebiete zu sprechen. Man müsse die Gegebenheiten zur Kenntnis nehmen, forderte Rutte in einem TV-Interview. Er sei aber wichtig, zwischen einer "de facto" und einer "de jure" Anerkennung zu unterscheiden. Als Beispiel verwies er auf die jahrzehntelange Haltung des Westens zur sowjetischen Besetzung der baltischen Staaten.
Entscheidend bei einer Frage nach eventuellen Gebietsabtretungen sind auch die Schritte dahin: Steht eine solche Anerkennung am Beginn einer Übereinkunft - oder an ihrem Ende, nachdem es vorher zum Beispiel zu einer umfassenden Waffenruhe gekommen ist, die womöglich auch mit internationalen Garantien versehen ist? Hier gehen die Positionen der Ukraine und Russlands fundamental auseinander. Während die Ukraine erst nach einer umfassenden Waffenruhe über weitere Schritte sprechen möchte, macht Russland den Rückzug der Ukraine aus den vom Kreml beanspruchten Gebieten zur Voraussetzung für eine Waffenruhe.
Was würde eine Gebietsaufgabe für die Ukraine bedeuten?
Sollte Russland verlangen, dass die Ukraine sich komplett aus den Regionen Luhansk und Donezk zurückzieht und deren Zugehörigkeit zur russischen Föderation anerkennt, müsste Selenskyj die Verfassung ändern lassen - und das gilt auch für den Status der Krim. Artikel 133 definiert das Staatsgebiet der Ukraine. Dort wird in Artikel 1 die Autonome Republik Krim als Teil der Ukraine bezeichnet. Auch Artikel 2 führt die Krim auf und benennt die weiteren Oblaste, die das Staatsgebiet bilden - unter anderem die Regionen Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson.
Ob Selenskyj dafür die nötige Mehrheit bekäme, ist derzeit unwahrscheinlich. Außerdem müsste laut Verfassung die Bevölkerung über eine Änderung des Staatsgebietes abstimmen. Nach einer Umfrage des Kiewer Razumkow-Instituts von Ende April/Anfang Mai sind fast 60 Prozent der Ukrainer gegen eine solche Abtretung. Präsident Selenskyj selbst hat einen kampflosen Verzicht auf Territorium auch am Wochenende noch einmal kategorisch ausgeschlossen.
Militärisch würde das geschilderte Szenario der russischen Armee einen erheblichen strategischen Vorteil verschaffen und ihr, sofern die Ukraine nicht genügend Zeit für den Aufbau neuer Verteidigungsanlagen hat, eine neue Attacke auf die Region Charkiw mit der zweitgrößten gleichnamigen Stadt der Ukraine und das ukrainische Kernland erleichtern.
Die Ukraine würde zudem endgültig eine Region verlieren, in der viele wertvolle Bodenschätze liegen - an denen auch die USA ein erklärtes Interesse haben. Vor allem aber würde es Hunderttausende Menschen schutzlos russischen Besatzern ausliefern, die für ihr menschenverachtendes Vorgehen in eroberten Gebieten der Ukraine bekannt sind. Nach einer Erhebung des ukrainischen Statistikamtes lebten 2022 in den vier Regionen rund 8,8 Millionen Menschen. Durch Eroberung, Zerstörung und Flucht hat sich diese Zahl dramatisch reduziert. Aber in den ukrainisch kontrollierten Gebieten der Region Cherson lebten im vergangenen Jahr nach einer Schätzung des Instituts für Demografie immer noch mehr als 600.000 Menschen.
Sollte ihnen russische Besatzung drohen, würden viele Bewohner vermutlich fliehen, sofern sie können - in andere Regionen der Ukraine oder in europäische Staaten.
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