Thailand steckte schon vor der militärischen Eskalation mit Kambodscha in einer politischen Krise. Premierministerin Shinawatra ist suspendiert, und ein alter politischer Kampf lebt wieder auf.
Thailands jüngste politische Krise begann mit einem Telefonat. Mitte Juni sprach Premierministerin Paetongtarn Shinawatra mit dem früheren kambodschanischen Regierungschef Hun Sen.
Seit mehr als 100 Jahren streiten sich beide Länder über den Verlauf ihrer 800 Kilometer langen Grenze. Es ist ein alter Konflikt, der jüngst wieder aufgeflammt war - und mittlerweile eskaliert ist. Am Donnerstag setzte das thailändische Militär nach Schusswechseln Kampfjets gegen die Armee Kambodschas ein. Diese reagierte mit Artilleriefeuer, auch auf Wohngebiete. Es gibt zahlreiche Todesopfer.
Premier Paetongtarn versuchte Mitte Juni noch, zu deeskalieren. Was sie nicht wusste: Das Gespräch mit Kambodschas Ex-Herrscher wurde mitgeschnitten und durchgestochen. Darin nannte sie Hun Sen, eigentlich ein politischer Gegner, "Onkel" und bezeichnete ihren eigenen Armeechef in der Region als "Gegner". Es war ein politischer Affront - gerade in einem Land, in dem das Militär maßgeblich mitbestimmt.
Tausende Demonstrierende forderten daraufhin in Bangkok ihren Rücktritt. Eine Koalitionspartei verließ die Regierung, das Verfassungsgericht suspendierte Paetongtarn. Das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens gegen sie wird im Herbst erwartet.
Nach nicht einmal einem Jahr im Amt ist ihre Regierung gescheitert. Wie es weitergeht? Unklar.
Mal wieder in der politischen Krise
Die Situation sei ernst, das Land stehe führungslos da, sagt der thailändische Politikwissenschaftler Pavin Chachavalpongpun, der am Zentrum für Südostasienstudien der Universität Kyoto in Japan lehrt. Die Aussagen Paetongtarns im geleakten Telefonat nennt er sorglos und unintelligent.
Dass Thailand immer wieder in politische Krisen gerät, ist aber für Beobachter nichts Neues. In den vergangenen 50 Jahren hatte das Land 35 Premierminister oder Interim-Premiers - für Pavin ein strukturelles Problem.
"Die thailändische Politik ist das Schlachtfeld zweier Lager, eines gewählt, eines nicht", sagt er. Seit Jahrzehnten dominierten die nicht gewählten Institutionen das politische Geschehen.
Die Macht von Militär und Monarchie
Das gewählte Lager sind die demokratischen Kräfte. Mit dem nicht gewählten Lager meint Pavin vor allem das Militär und das Königshaus. Seit 2016 regiert König Maha Vajiralongkorn, der reichste Monarch der Welt, international wegen seiner Exzentrik bekannt. Immer wieder hat Politikwissenschaftler Pavin den König offen kritisiert, lebt deswegen in Japan im Exil. Denn auf Majestätsbeleidigung stehen in Thailand langjährige Haftstrafen.
Monarchie und Militär sind Pavins Einschätzung nach voneinander abhängig, stärken sich gegenseitig. Institutionen, Behörden, Gerichte - überall haben sie Einfluss, besetzen wichtige Posten. Ihr Ziel sei der Machterhalt um jeden Preis. "Immer wenn demokratische Kräfte zu stark wurden, wurden sie beseitigt", so Pavin.
Zweimal putschte das Militär in den vergangenen 20 Jahren: 2006 gegen Thaksin Shinawatra, Paetongtarns Vater, 2014 gegen ihre Tante Yingluck, die Schwester Thaksins.
Neue Verfassung bremst demokratische Kräfte aus
Nach dem letzten Coup hat die Armee durch eine neue Verfassung die eigene Macht weiter zementiert. Ein Drittel der Parlamentssitze wird vom Militär besetzt.
"Die Verfassung von 2017 hat so viele Fallen und Hürden eingebaut, dass ein demokratisch gewählter Premier kaum effektiv regieren kann", sagt Phil Robertson, Direktor bei der Menschenrechtsorganisation Asia Human Rights and Labor Advocates.
Die letzten beiden Premiers wurden vom Verfassungsgericht abgesetzt. Mehrere politische Parteien wurden aufgelöst, unter anderem die progressive Move Forward-Partei, die die letzte Wahl 2023 gewonnen hatte.
Sie hatte zwar keine Regierung bilden können, war aber Thailands größte Oppositionspartei. Zum Verhängnis wurde ihr, dass sie die drakonisch harten Strafen bei einer Majestätsbeleidigung entschärfen wollte.
Vertrauensverlust in demokratische Parteien
Der Frust vieler Menschen in Thailand, gerade auch in den ärmeren, ländlichen Gebieten, rührt aber auch daher, dass demokratisch gewählte Kräfte Vertrauen verspielt haben - besonders die Shinawatra-Familie. Paetongtarn und ihre Tante Yingluck waren Thailands erste Premierministerinnen. Doch die Strippen zieht bis heute Paetongtarns Vater Thaksin.
Der Selfmade-Milliardär und Ex-Medienmogul punktete in seiner Amtszeit von 2001 bis 2006 bei der ärmeren Landbevölkerung mit Sozialprogrammen. Nach dem Putsch 2006 ging er ins Exil und kehrte erst zurück, nachdem er sich mit Militär und Monarchie arrangiert hatte. Das kostete ihn viel Rückhalt. "Die Menschen haben das Vertrauen in die Familie Shinawatra verloren", sagt Pavin.
Droht ein "wirtschaftlicher Tsunami"?
Trotz politischer Dauerkrise gilt Thailand als Stabilitätsanker in Südostasien - gerade wirtschaftlich. Denn das Land ist eine der 30 größten Volkswirtschaften der Welt. Doch nun drohen US-Zölle in Höhe von 36 Prozent. Sie würden das gesamte Land hart treffen und wohl nachhaltig verändern, meint Phil Robertson.
Denn fast 20 Prozent aller Exporte gehen in die USA. "Ein wirtschaftlicher Tsunami rollt auf uns zu", befürchtet Robertson. Dazu kämpft das Land mit einer Tourismusflaute.
Wie geht es weiter? Droht ein neuer Putsch? Politologe Pavin winkt ab. "Es gibt derzeit keinen Grund. Die Regierung wird ohnehin nicht überleben."
Doch auch Neuwahlen, die viele noch dieses Jahr erwarten, seien keine Lösung. Es ändere sich nichts am System. Ein demokratischer Aufbruch sei nicht möglich. "Wir stecken in einem Teufelskreis."
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